„Er hat für eine gerechtere Weltordnung gekämpft“ – Der Theologe Silvio Meincke trauert um seinen Kollegen Emilio Castro – Ein Nachruf

Der methodistische Pfarrer Emilio Castro ist am 6. April 2013 in Montevideo (Uruguay) im Alter von 85 Jahren gestorben. Er war katholisch getauft, hat aber in Erlangen, Basel und Lausanne evangelische Theologie studiert. Ein Nachruf seines Kollegen Silvio Meincke aus Schwäbisch Hall.

Von Silvio Meincke, Schwäbisch Hall

Sicht der marginalisierten Menschen und Gesellschaften eingenommen

Nach dem Abschluss seiner theologischen Ausbildung war Emilio Castro Gemeindepfarrer in Uruguay bis er im Jahr 1973 nach Genf berufen wurde, zuerst als Direktor für die Weltevangelisation im Ökumenischen Rat der Kirchen (ÖRK) und dann, von 1985 bis 1992, als Generalsekretär. Als Befreiungstheologe forderte er in seinen Predigten und Stellungnahmen Erneuerungen der internationalen Ökonomie und Politik aus der Sicht der marginalisierten Menschen und Gesellschaften.

Die besonderen Ziele seiner Amtsführung im ÖRK waren:

– die Integration der lateinamerikanischen Pfingstkirchen in den ÖRK, was ihm aber nur mit geringem Erfolg gelungen ist.

– die ökumenische Suche – mit Teilnahme der Katholischen Kirche – nach einer gerechteren Weltordnung.

Für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung

Emilio Castro wird als maßgeblicher Initiator des Konziliaren Prozesses für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung angesehen. Einer der Konkretisierungen dieser Bewegung war dann die erste Europäische Ökumenische Versammlung zum Thema Frieden und Gerechtigkeit, im Jahr 1989, in Basel.

„Bewahrung der Schöpfung“ bedeutet „Nachhaltigkeit“

Auch nach seinem Ausscheiden aus der Spitze des ÖRK wirkte Emilio Castro in allen seinen Lebensbereichen darauf hin, dass die Ziele von Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung Hauptaugenmerk der Kirchen bleiben. Der Begriff „Bewahrung der Schöpfung“ ist später auf dem Klimaweltgipfel in Rio de Janeiro in den Begriff „Nachhaltigkeit“ übergegangen.

Ich bin dem Kollegen Emilio Castro sehr dankbar und trauere um ihn.

Silvio Meincke, Schwäbisch Hall, den 12. April 2013.

Weitere Informationen über Emilio Castro:

http://www.oikoumene.org/de/press-centre/news/wcc-mourns-the-death-of-former-general-secretary-emilio-castro

http://www.oikoumene.org/en/resources/documents/general-secretary/tributes/tribute-to-emilio-castro

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„Pestizid-Aktionsplan hält nicht, was er verspricht“ – Kommentar des Bundestagsabgeordneten Harald Ebner (Grüne)

„Der Kabinettsbeschluss ist ein Papiertiger und wird dem selbst formulierten Ziel nicht gerecht, sowohl Gefahren für Mensch und Umwelt als auch die Pestizidabhängigkeit der Landwirtschaft zu verringern“, kritisiert der Grünen-Bundestagsabgeordnete Harald Ebner die Verabschiedung des „Nationalen Aktionsplans Pflanzenschutz“ (NAP) durch das Bundeskabinett.

Kommentar von Harald Ebner, Sprecher für Agro-Gentechnik der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, Wahlkreis Schwäbisch Hall-Hohenlohe

Konkrete Reduktionsziele sowie verbindliche Vorgaben fehlen

Konkrete Reduktionsziele sowie verbindliche Vorgaben und Maßnahmen, wie  eine Verringerung der Belastung erreicht werden soll, fehlen weitgehend. Wie bereits im Pflanzenschutzgesetz versäumt es die Bundesregierung, den „integrierten Pflanzenschutz“ mit konkreten Standards und kulturspezifischen Vorgaben zu unterlegen, obwohl er von  allen landwirtschaftlichen Betrieben ab 2014 umzusetzen ist. Die unzureichenden Ergebnisse bestätigen nachträglich die Entscheidung von Umweltverbänden, Berufsimkern und der Wasserwirtschaft im November 2011, ihre Mitarbeit im Forum zum NAP zu beenden.

Fruchtbarkeitsstörungen und Missbildungen der Geschlechtsorgane

Der NAP beweist einmal mehr, dass der Bundesregierung die Interessen der Agroindustrie wichtiger sind als der Schutz von Mensch und Umwelt. Dabei belegen aktuelle Studien, dass die Gefahren durch Pestizide bislang unterschätzt werden und Zulassungsverfahren mangelhaft sind. Beschäftigte in Gärtnereien beziehungsweise ihre Kinder leiden vermehrt unter Fruchtbarkeitsstörungen und Missbildungen der Geschlechtsorgane. Ebenfalls höchst besorgniserregend ist, dass deutsche Gewässer  erheblich stärker belastet sind als nach früheren Modellrechnungen angenommen und einige Pestizide selbst in praxisüblichen Dosen tödlich auf erwachsene Frösche wirken.

Aigner und Merkel tun nichts gegen die Gefahren

Trotz dieses Handlungsdrucks tun Aigner und Merkel nichts gegen die Gefahren, im Gegenteil: Die Bundesregierung torpediert in Brüssel hinter den Kulissen den sinnvollen Vorschlag der EU-Kommission für ein Teilverbot der bienengiftigen Neonicotinoide, vor denen inzwischen sogar die sonst pestizidfreundliche EU-Behörde EFSA warnt. Statt weitere wohlklingende Pressemitteilungen und Sonntagsreden zum Bienenschutz zu halten, muss die Regierung Merkel endlich konsequentes Handeln beweisen, um beim Umwelt- und Verbraucherschutz glaubwürdig zu sein.

Weitere Informationen und Kontakt:

Büro Harald Ebner, MdB, Sprecher für Agrogentechnik, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Platz der Republik 1, 11011 Berlin

Telefon: 030 / 227-73028
Fax: 030 / 227-76025
E-Mail: harald.ebner.ma11@bundestag.de

Internet:

www.harald-ebner.de

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„Mangelnde Zivilcourage hat einen zu hohen Preis“ – Gedenken in Stuttgart an die Deportation von Sinti und Roma vor 70 Jahren

„Die Gedenkveranstaltung erinnert an die Deportationen der Sinti und Roma aus Baden-Württemberg. Insgesamt wurden unter der Nationalsozialistischen Herrschaft rund 500.000 Sinti und Roma ermordet. Dieses unfassbare Verbrechen erinnert uns daran, was menschenverachtender Hass anrichtet“, sagte Ministerpräsident Winfried Kretschmann.

Informationen zusammengestellt von Ralf Garmatter, Hohenlohe-ungefiltert

Ausgrenzung und Diskriminierung von Sinti und Roma ist heute noch Realität

Vor kurzem fand in Stuttgart der Empfang der Landesregierung statt in Zusammenarbeit mit dem Verband Deutscher Sinti und Roma – Landesverband Baden-Württemberg e.V. zum 70. Jahrestag der Deportation von Sinti und Roma aus Baden-Württemberg nach Auschwitz.

„Wir dürfen dabei nicht so tun, als sprächen wir hier nur über Vergangenes. Ausgrenzung und Diskriminierung von Sinti und Roma aufgrund von Ressentiments und Vorurteilen sind auch heute europäische und leider auch deutsche Realität“, betonte Kretschmann.

Sinti und Roma seien seit Jahrhunderten Teil unserer deutschen und europäischen Geschichte und Teil unserer gemeinsamen Zukunft. Um jeglicher Diskriminierung von Angehörigen von Sinti und Roma entgegenzuwirken und um die Anerkennung und gemeinsame Zusammenarbeit weiter zu stärken, wird derzeit ein Staatsvertrag zwischen dem Land und dem Verband Deutscher Sinti und Roma Baden-Württemberg vorbereitet, so Kretschmann. „Wir wollen dem Vertrag mit dem Landesverband durch Landesregierung und Landtag Gesetzeskraft verleihen, mit der das gesellschaftliche Miteinander und die Beachtung der kulturellen Identität von Sinti und Roma in Baden-Württemberg gesichert und gestärkt wird“, kündigte der Ministerpräsident an.

Daniel Strauß, Vorsitzender des Verbands Deutscher Sinti und Roma – Landesverband Baden-Württemberg e.V., dankte dem Ministerpräsidenten: „Es hat 37 Jahre gedauert, bis der Völkermord an den Sinti und Roma im Jahre 1982 durch den damaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt anerkannt wurde. Weitere dreißig Jahre vergingen, bis im Oktober letzten Jahres, das Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas, durch die Bundeskanzlerin, der Öffentlichkeit übergeben wurde. Siebzig Jahre nach der Deportation der Sinti und Roma aus Baden-Württemberg nach Auschwitz, gibt es erstmals in dieser Form, eine würdige Gedenkveranstaltung. Im Jahre 2013, 605 Jahre nach der ersten urkundlichen Erwähnung, am 20. September 1407, soll ein Staatsvertrag erarbeitet werden, der die baden-württembergischen Sinti und Roma neben den nationalen Minderheiten, der Dänen, Friesen und Sorben gleichstellt. Mit dem geplanten Staatsvertrag soll erstmals nicht nur der Status Quo aufrecht erhalten, sondern für Deutschland beispielhaft und zukunftsgerichtet, die Minderheitenkultur gestärkt und gefördert werden. Dies kann auch ein politisches Signal in die europäische Gemeinschaft sein, die Minderheitensituation der Roma in ihren Heimatländern zu stärken und zu sichern.“

Weitere Informationen:
Die Gedenkveranstaltung erinnerte an die Deportationen der Sinti und Roma aus Baden-Württemberg: Am 15. März 1943 verließ ein erster Deportationszug mit 211 Sinti aus Württemberg und 22 Sinti aus Baden den Stuttgarter Nordbahnhof. Insgesamt wurden bei den März-Deportationen 456 Sinti aus 52 Orten in Baden-Württemberg und deutschlandweit 12.000 Sinti und Roma in das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau deportiert.

Vor der Gedenkfeier fand ein ökumenischer Gottesdienst von der Landeskirchen in der Domkirche St. Eberhard in Stuttgart statt.

Weitere Informationen und Kontakt zur Landesregierung Baden-Württemberg:

http://www.baden-wuerttemberg.de/de/service/presse/pressemitteilung/pid/gedenkfeier-anlaesslich-des-70-jahrestags-der-deportation-von-sinti-und-roma-aus-baden-wuerttemberg/

Informationen auf Youtube und im Südwestrundfunk (SWR) über die Gedenkfeier:

„Ich bin ein deutscher Sinti“ – Gedenkfeier für deportierte Sinti aus Stuttgart

http://www.youtube.com/watch?v=h7Y5QIAOIXQ

http://www.swr.de/international/de/-/id=233334/nid=233334/did=11145620/1t1x2lb/index.html

Maßstäbe der Menschlichkeit verloren

Kirchen gedenken der Deportation von Sinti und Roma vor 70 Jahren

Rottenburg/Stuttgart. 7. März 2013. Mit einem Gottesdienst in der Stuttgarter Domkirche St. Eberhard am 15. März (Freitag) gedenken die vier großen Kirchen in Baden-Württemberg der Deportation von Sinti und Roma vor 70 Jahren.

Im März 1943 verschleppten die Nationalsozialisten 456 Sinti und Roma aus Baden-Württemberg ins Konzentrationslager Auschwitz, von denen nur wenige überlebten. Insgesamt wurden in dem Monat aus Deutschland 12.000 Sinti und Roma nach Auschwitz deportiert.

Der um 15 Uhr beginnende Gottesdienst wird geleitet von Bischof Gebhard Fürst (Diözese Rottenburg-Stuttgart); die Predigt hält Landesbischof Ulrich Fischer (Evangelische Landeskirche in Baden). Mitgestaltet wird die Feier vom Musiker Ferenc Snetberger, von Mitgliedern des Landesverbandes Deutscher Sinti und Roma sowie von Schülern der Bischof-von-Lipp-Schule in Mulfingen. Am 9. Mai 1944 wurden auf NS-Befehl aus der dortigen St. Josefspflege 33 Sinti-Kinder deportiert.

Vor dem Gottesdienst lädt der Landesverband der Sinti und Roma zu einer Gedenkfeier ab 13.30 Uhr am Deportations-Mahnmal beim Nordbahnhof. Nach dem Gottesdienst gibt das Land Baden-Württemberg einen Empfang in geschlossenem Rahmen im Neuen Schloss.

„Pflicht zum Erinnern“

Deportation von Sinti und Roma vor 70 Jahren gedacht – Gottesdienst mit Bischof Fürst und Landesbischof Fischer in Stuttgart

Stuttgart. 15. März 2013. Mit einem Gottesdienst haben die vier großen Kirchen in Baden-Württemberg am Freitag der Deportation von Sinti und Roma vor 70 Jahren gedacht.

Der Tod von einer halben Million Sinti und Roma unter den Rassegesetzen der NS-Zeit reihe sich ein in eine lange Geschichte der Ausgrenzung und Verfolgung, sagte der Bischof der Diözese Rottenburg-Stuttgart, Gebhard Fürst.

Der Landesbischof der Evangelischen Landeskirche in Baden, Ulrich Fischer, betonte in seiner Predigt, die aktuelle Diskussion über die Öffnung der Grenzen zu Rumänien und Bulgarien stehe mit dieser Leidensgeschichte im Zusammenhang. Bischof Fürst sagte, das Elend, in dem Sinti und Roma heute noch in manchen ost- und südosteuropäischen Ländern leben müssten, sei eine „Schande für Europa“. Es sei aber auch beschämend, dass die deutschen Sinti und Roma nach langer Diskriminierung zwar offiziell als Minderheit anerkannt seien, „dass aber denen, die als Flüchtlinge hierher kommen, keinerlei Existenzmöglichkeiten gewährt werden“.

Im März 1943 verschleppten die Nationalsozialisten 456 Sinti und Roma aus 52 Orten im Gebiet des heutigen Baden-Württemberg ins Konzentrationslager Auschwitz. Die Hälfte von ihnen waren Säuglinge, Kleinkinder und Kinder. Nur wenige überlebten. Insgesamt wurden in dem Monat aus Deutschland 12.000 Sinti und Roma in das Vernichtungslager deportiert.

In dem Gottesdienst in der Stuttgarter Domkirche St. Eberhard bekannten Fürst und Fischer eine Mitschuld der Kirchen an diesen Gräueltaten, „durch Amtshilfe, aber auch durch Wegsehen und Schweigen“, wie Fischer sagte.  Allzu lange sei später dann verdrängt und vergessen worden, dass die Sinti und Roma Opfer nationalsozialistischen Rassenhasses gewesen seien.

Es gebe eine biblische „Pflicht zum Erinnern eigener Schuld und bösartiger Schuldgeschichte“. Aus ihr erwachse die Kraft, „allen Tendenzen von Diskriminierung und Ausgrenzung, vor allem auch allen Tendenzen zu neuem Nazismus in unserem Land frühzeitig zu widerstehen“, unterstrich Landesbischof Fischer. Bischof Fürst sagte, er bitte, dass Gott „uns den Mut zum offenen Wort und zum wirksamen Handeln schenkt, wenn Menschen neben uns Unrecht geschieht“.

Mitgestaltet wurde die Feier in der Domkirche vom Musiker Ferenc Snetberger, von Mitgliedern des Landesverbandes Deutscher Sinti und Roma sowie von Schülern der Bischof-von-Lipp-Schule in Mulfingen. Am 9. Mai 1944 waren aus der dortigen St. Josefspflege 33 Sinti-Kinder deportiert worden.

Am Ausgang des Gottesdienstes, an dem Ministerpräsident Winfried Kretschmann teilnahm, wurden Rosen verteilt, an denen Zettel mit dem Namen eines deportierten Menschen hingen. Im Anschluss hatte das Land Baden-Württemberg zu einem Empfang in geschlossenem Rahmen im Neuen Schloss geladen.

Weitere Informationen und Kontakt:

http://www.drs.de/index.php?id=8566&tx_ttnews[tt_news]=24888&tx_ttnews[backPid]=93&cHash=4b8d9bc2f4

Gemeinsamer ökumenischer Gottesdienst

Kirchen und Land gedenken der Deportation von Sinti und Roma vor 70 Jahren
Zum ersten Mal gedenken die katholischen Bistümer und die evangelischen Landeskirchen in Baden-Württemberg an diesem Freitag (15. März) mit einem gemeinsamen ökumenischen Gottesdienst der Deportation von Sinti und Roma. Vor 70 Jahren, im März 1943, verschleppten die Nationalsozialisten 456 Sinti und Roma aus Baden-Württemberg ins Konzentrationslager Auschwitz. Nur wenige überlebten. Insgesamt wurden in dem Monat aus Deutschland etwa 12.000 Sinti und Roma nach Auschwitz deportiert.

Bei dem Gedenkgottesdienst in der Stuttgarter Domkirche St. Eberhard werden sowohl die beiden evangelischen Landeskirchen in Baden und Württemberg als auch die Diözese Rottenburg-Stuttgart und die Erzdiözese Freiburg an die Deportation erinnern.
Vor dem Gottesdienst am Freitag in Stuttgart veranstaltet der Landesverband der Sinti und Roma eine Gedenkfeier am Deportations-Mahnmal beim Stuttgarter Nordbahnhof.

Der Gottesdienst in St. Eberhard wird geleitet von Bischof Gebhard Fürst von der Diözese Rottenburg-Stuttgart, die Predigt hält der badische Landesbischof Ulrich Fischer. Mitgestaltet wird die Feier von dem Musiker Ferenc Snetberger, von Mitgliedern des Landesverbandes Deutscher Sinti und Roma sowie von Schülern der Bischof-von-Lipp-Schule in Mulfingen.

Bereits am Donnerstag beschäftigt sich die württembergische Landessynode bei ihrer Frühjahrstagung in Biberach schwerpunktmäßig mit dem 70. Jahrestag der Deportation von Sinti und Roma. Dazu sprechen Daniel Strauß vom Landesverband Deutscher Sinti und Roma in Baden-Württemberg sowie Landesbischof Frank Otfried July. (0549/13.03.2013)

Weitere Informationen im Internet:

http://www.epd.de/landesdienst/landesdienst-südwest/kirchen-und-land-gedenken-der-deportation-von-sinti-und-roma-vor-7

GEDENKFEIER – 70. Jahrestag der Deportation von Sinti und Roma aus Baden-Württemberg

„Die Gedenkveranstaltung erinnert an die Deportationen der Sinti und Roma aus Baden-Württemberg. Insgesamt wurden unter der Nationalsozialistischen Herrschaft rund 500.000 Sinti und Roma ermordet. Dieses unfassbare Verbrechen erinnert uns daran, was menschenverachtender Hass anrichtet“, sagte Ministerpräsident Winfried Kretschmann in Stuttgart anlässlich des Empfangs der Landesregierung in Zusammenarbeit mit dem Verband Deutscher Sinti und Roma – Landesverband Baden-Württemberg e.V. zum 70. Jahrestag der Deportation von Sinti und Roma aus Baden-Württemberg nach Auschwitz. „Wir dürfen dabei nicht so tun, als sprächen wir hier nur über Vergangenes. Ausgrenzung und Diskriminierung von Sinti und Roma aufgrund von Ressentiments und Vorurteilen sind auch heute europäische und leider auch deutsche Realität“, betonte Kretschmann.

Sinti und Roma seien seit Jahrhunderten Teil unserer deutschen und europäischen Geschichte und Teil unserer gemeinsamen Zukunft. Um jeglicher Diskriminierung von Angehörigen von Sinti und Roma entgegenzuwirken und um die Anerkennung und gemeinsame Zusammenarbeit weiter zu stärken, wird derzeit ein Staatsvertrag zwischen dem Land und dem Verband Deutscher Sinti und Roma Baden-Württemberg vorbereitet, so Kretschmann. „Wir wollen dem Vertrag mit dem Landesverband durch Landesregierung und Landtag Gesetzeskraft verleihen, mit der das gesellschaftliche Miteinander und die Beachtung der kulturellen Identität von Sinti und Roma in Baden-Württemberg gesichert und gestärkt wird“, kündigte der Ministerpräsident an.

Daniel Strauß, Vorsitzender des Verbands Deutscher Sinti und Roma – Landesverband Baden-Württemberg e.V., dankte dem Ministerpräsidenten: „Es hat 37 Jahre gedauert, bis der Völkermord an den Sinti und Roma im Jahre 1982 durch den damaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt anerkannt wurde. Weitere dreißig Jahre vergingen, bis im Oktober letzten Jahres, das Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas, durch die Bundeskanzlerin, der Öffentlichkeit übergeben wurde. Siebzig Jahre nach der Deportation der Sinti und Roma aus Baden-Württemberg nach Auschwitz, gibt es erstmals in dieser Form, eine würdige Gedenkveranstaltung. Im Jahre 2013, 605 Jahre nach der ersten urkundlichen Erwähnung, am 20. September 1407, soll ein Staatsvertrag erarbeitet werden, der die baden-württembergischen Sinti und Roma neben den nationalen Minderheiten, der Dänen, Friesen und Sorben gleichstellt. Mit dem geplanten Staatsvertrag soll erstmals nicht nur der Status Quo aufrecht erhalten, sondern für Deutschland beispielhaft und zukunftsgerichtet, die Minderheitenkultur gestärkt und gefördert werden. Dies kann auch ein politisches Signal in die europäische Gemeinschaft sein, die Minderheitensituation der Roma in ihren Heimatländern zu stärken und zu sichern.“

Weitere Informationen:

Die Gedenkveranstaltung erinnert an die Deportationen der Sinti und Roma aus Baden-Württemberg: Am 15. März 1943 verließ ein erster Deportationszug mit 211 Sinti aus Württemberg und 22 Sinti aus Baden den Stuttgarter Nordbahnhof. Insgesamt wurden bei den März-Deportationen 456 Sinti aus 52 Orten in Baden-Württemberg und deutschlandweit 12.000 Sinti und Roma in das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau deportiert. Vor der Gedenkfeier fand ein ökumenischer Gottesdienst von der Landeskirchen in der Domkirche St. Eberhard in Stuttgart statt.

Internet:

http://www.baden-wuerttemberg.de/de/service/presse/pressemitteilung/pid/gedenkfeier-anlaesslich-des-70-jahrestags-der-deportation-von-sinti-und-roma-aus-baden-wuerttemberg/

Aktivitäten des Recherche-Netzwerks Sinti und Roma

Wenn man der historischen Literatur zu Stuttgart in der NS-Zeit glauben will, müsste man beinahe annehmen, es hätten in Stuttgart zu keiner Zeit Roma gelebt. Stuttgart jedenfalls scheint am nationalsozialistischen  Völkermord an den Sinti und Roma keinen Anteil gehabt zu haben. Könnte man meinen.

Am 12. Januar 2006 bildete sich aus Bürgerinnen und Bürgern der Stuttgarter Stolperstein Initiativen das ?Recherchenetzwerk Sinti und Roma? ? um sich gegenseitig bei der Spurenlese und Quellensuche zu unterstützen, die Recherchearbeiten mit- und aufeinander abzustimmen. Unser Arbeitskreis wird fachlich begleitet vom Archiv der Diözese Rottenburg-Stuttgart. Wir verstehen uns als Teil der Stolperstein-Initiativen, die ?Gegen das Vergessen? arbeiten, die Opfer des Nationalsozialismus aus der Anonymität von Denkmälern herausholen wollen, um deren persönliches Schicksal dort zu verorten und mit Stolpersteinen zu verankern, wo sie einmal gelebt haben.
Uns geht es insbesondere darum, den Opfern aus dem Kreis der Stuttgarter Sinti und Roma ein ehrendes Gedenken vor Ort zu ermöglichen und sie nachhaltig in das öffentliche Bewusstsein zu rücken.

Wir verstehen uns auch als Erweiterung und Fortführung der Initiative der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Jugendamts der Stadt Stuttgart, die sich mit der Verstrickung sozialer Berufe und der Sozialbürokratie in die menschenverachtenden Aussonderungs- und Mordprogramme im Nationalsozialismus beschäftigt haben. Im Jahr 2000 wurde daraufhin ein ?Denk-Mal? im Foyer des Jugendamts geschaffen, das am Beispiel der Sintikinder von Mulfingen auf die Verschleppung von Sinti- und Roma-Kindern aus Heimen der Fürsorgeerziehung aufmerksam machen will.

Nicht zufällig erinnern deshalb die ersten Stolpersteine für Sinti und Roma im Stuttgarter Weichbild an ?Mulfinger Kinder? aus Stuttgart, den Cannstatter Geschwistern Kurz. Auf Empfehlung der Stuttgarter Initiativen setzte ihnen der Kölner Aktionskünstler Gunter Demnig am 29. April 2006 vor dem Haus Badergasse 6 in Bad Cannstatt Stolpersteine.

Die Steine für die Geschwister Kurz symbolisieren Unüberbietbares ! Die Ermordung von unschuldigen Kindern: im Wahn einer Ideologie ? im Räderwerk einer perfektionierten Vernichtungsmaschinerie ? in der Verdrängung von Verantwortung und Schuld.

Eines unserer nächsten, längerfristig angelegten Projekte hat die Entschlüsselung des größten Transports württembergischer Sinti und Roma in das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau zum Ziel. Von dieser Deportation erfahren Sie Näheres unter »Abfahrt Stuttgart: 15. März 1943«.

Werden Sie „Stolperstein-Pate“

Indem Sie 95 Euro (oder einen Teilbetrag) mit dem Stichwort „Stolpersteine für Sinti“ an  Die AnStifter InterCulturelle Initiativen e.V. auf das Konto 2 292 342 bei der BW Bank (BLZ 600 501 01) einzahlen. Wenn Sie eine Spendenbescheinigung wünschen, vermerken Sie dies bitte auf dem Überweisungsträger.

Internet: http://www.stolpersteine-stuttgart.de/index.php?docid=176

Abfahrt: 15. März 1943

Nach Einbruch der Dunkelheit verließ ein langer Güterzug den ?Stuttgarter Güterbahnhof?. Seine Fracht: Menschen, in Viehwaggons gepfercht ? Sinti und Roma aus Württemberg. Sein Ziel: das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau ? tausendeinhundertfünfzig Bahnkilometer entfernt.

» Was war das für ein Weinen und Schreien damals, als sie die Menschen abgeholt haben …? erinnert sich Olga Reinhardt aus Weil im Schönbuch. ?Die alte Mutter, sie war doch eine alte, kleine Frau. Sie ist zusammengesackt, aber um nichts in der Welt hat man sie oder wenigstens ein Kind dagelassen.«

Die älteste Teilnehmerin ist 83 Jahre alt. Das jüngste Baby zwei Monate. Mehrere Frauen sind schwanger. Die Reise ins völlig Ungewisse wird vielleicht 53 Stunden dauern. Möglicherweise sterben unterwegs bereits die Ersten? Was wird aus diesen Menschen werden?

Hildegard Franz aus Ravensburg berichtet von diesem grauenvollen Ereignis:
» Sie brachten viele, viele Menschen von überall her, es waren einige Hundert Menschen. Die Polizei und die Gestapo sind mit schußbereiten Gewehren auf und ab marschiert. Es kann sich niemand vorstellen, was sich dort abspielte. Noch am gleichen Tag ging unser Transport von Stuttgart nach Auschwitz, jetzt aber in Viehwaggons. Ich weiß nicht mehr, wie lange die Fahrt gedauert hat. Zwei oder drei Nächte waren es. Wir sind spät abends oder nachts, es war schon dunkel, in Auschwitz-Birkenau angekommen. Nach dem Öffnen der Waggons sah man überall die Scheinwerfer, die alles beleuchteten.  …«
Hildegard war damals jung verheiratet. » Meine kleinen Mädchen waren drei und zwei Jahre alt, die Kleinste erst sieben Monate alt. « (Ausschnitt aus dem Film »MUT OHNE BEFEHL / Widerstand und Verfolgung in Stuttgart 1933-1945«, Katrin Seybold Film GmbH 1994)
Interview mit Hildegard Franz, geb. Reinhardt, als mov-Datei (1,5 MB)

Innerhalb von nur zehn Wochen starben ihre Kinder im ?Zigeunerlager? von Auschwitz-Birkenau. Ihr Mann, der sich zuletzt im KZ Bergen-Belsen befand, erlebte die dortige Befreiung nicht mehr.

Das Stolperstein-Recherche-Netzwerk Sinti und Roma forscht erst seit Januar zur Verfolgung und Vernichtung württembergischer Sinti und Roma. Im Moment können wir für Zweidrittel der Deportierten des Stuttgarter Transports nachweisen, dass sie Opfer des nationalsozialistischen Völkermords an den Sinti und Roma geworden sind.

Literaturhinweis: Die zitierten Texte von Olga Reinhardt und Hildegard Franz sind dem von uns empfohlenen Buch entnommen: … weggekommen. Berichte und Zeugnisse von Sinti, die die NS-Verfolgung überlebt haben. Herausgegeben von Daniel Strauß, Berlin 2000.

Internet: http://www.stolpersteine-stuttgart.de/index.php?docid=199

Das jüdische Zwangsaltenheim in Eschenau und seine Bewohner – Herausgegeben von Martin Ulmer und Martin Ritter

Im Herbst 1941 zwangen die NS-Behörden die Jüdische Kultusvereinigung Württemberg im Schloss in Eschenau (Landkreis Heilbronn) ein Zwangsaltenheim für 93 alte und gebrechliche jüdische Bürgerinnen und Bürger einzurichten. Die Unterbringung und Versorgung im Zwangsaltenheim war so schlecht, dass elf Bewohnerinnen und Bewohner dort nach kurzer Zeit starben. Am 22. August 1942 wurden die noch Lebenden und das jüdische Personal über den Stuttgarter Nordbahnhof in das KZ Theresienstadt deportiert. Viele starben dort an den katastrophalen Haftbedingungen. Andere wurden in die Vernichtungslager Treblinka und Auschwitz gebracht und ermordet. Nur zwei Deportierte überlebten. Einwohner von Eschenau zogen aus der Versteigerung des zurückgebliebenen Eigentums ihre Vorteile.
In dem neuen Buch wird die Geschichte des jüdischen Zwangsaltenheims Eschenau erstmals umfassend dargestellt. Kurze Biografien geben Auskunft über alle Bewohnerinnen und Bewohner sowie das jüdische Personal.
Das Buch mit 244 Seiten und zahlreichen Abbildungen erscheint im Barbara Staudacher Verlag Horb und kostet 14,00 EURO (ISBN-13: 978-3928213202). Es kann über die Geschichtswerkstatt Tübingen bezogen werden. info@geschichtswerkstatt-tuebingen.de

Internet:

http://www.stolpersteine-stuttgart.de/index.php?docid=812

Die Geheime Staatspolizei in Württemberg und Hohenzollern – Ingrid Bauz, Sigrid Brüggemann, Roland Maier

Mehr als 67 Jahre nach der Befreiung vom Nationalsozialismus liegt seit Dezember 2012 nun endlich die erste grundlegende Untersuchung über die Gestapo in Württemberg und Hohenzollern vor. Die Neuerscheinung behandelt das Geschehen am Hauptsitz der Politischen Polizei beziehungsweise der Stapoleitstelle Stuttgart im ehemaligen „Hotel Silber“, aber auch an den zahlreichen übers Land verteilten Außendienststellen, von denen manche längst dem Vergessen überantwortet wurden. Ebenso die verschiedenen Haftstätten (Schutzhaftlager, Polizeigefängnis, Arbeitserziehungslager…), an die man bisher nicht überall erinnert werden wollte.

Der umfangreichste Teil des Buches spürt der gegnergruppenspezifischen Verfolgung nach und veranschaulicht das Vorgehen der Gestapo gegen politische GegnerInnen aus dem linken Spektrum; Georg Elser; MitstreiterInnen der Widerstandsgruppe „Weiße Rose“; Repräsentanten der katholischen und evangelischen Kirche; Zeugen Jehovas; die jüdische Bevölkerung; Homosexuelle; sogenannte „Asoziale“; Swing-Jugend sowie ausländische ZwangsarbeiterInnen.

Weitere Einblicke in die Thematik bieten Beiträge über die geheimen Referate der Gestapo und über den Auslandseinsatz von Gestapo-Angehörigen aus Württemberg und Hohenzollern. Am Ende des über 400 Seiten umfassenden Bandes führt der Weg in die bundesrepublikanische Geschichte. Er verfolgt die Spur der ehemals bei der Gestapo Beschäftigten und stellt die Frage nach dem Umgang mit den TäterInnen.

Internet: http://www.stolpersteine-stuttgart.de/index.php?docid=815

Weitere Informationen und Kontakt:

Landesverband Deutscher Sinti und Roma Baden-Württemberg:

http://www.romnokher.de/Romnokher/Landesverband.html

Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma:

http://www.sintiundroma.de/start.html

Zentralrat deutscher Sinti und Roma:

http://zentralrat.sintiundroma.de/

Rede des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmanns bei der Gedenkfeier 2013:

Begrüßungsrede des Herrn Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann

Gedenkfeier und gemeinsamer Empfang der Landesregierung und des Landesverbandes der Sinti und Roma Baden-Württemberg e.V. am 15. März 2013 in Stuttgart anlässlich des 70. Jahrestages der Deportation von Sinti und Roma aus Baden-Württemberg

Neues Schloss Stuttgart, 15. März 2013

„Meine sehr geehrten Damen und Herren,

die heutige Gedenkveranstaltung erinnert an die Deportationen der Sinti und Roma aus Baden-Württemberg: Am 15. März 1943 verließ ein erster Deportationszug mit 211 Sinti aus Württemberg und 22 Sinti aus Baden den Stuttgarter Nordbahnhof. Insgesamt wurden bei den März-Deportationen 456 Sinti aus 52 Orten in Baden-Württemberg und deutschlandweit 12.000 Sinti und Roma in das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau deportiert. Die erschütternden Erinnerungen von Frau Hildegard Franz an diese Deportation haben wir vorhin im Gottesdienst gehört. Insgesamt wurden unter der Nationalsozialistischen Herrschaft an die 500.000 Sinti und Roma ermordet. Dieses unfassbare Verbrechen erinnert uns daran, was menschenverachtender Hass anrichtet – und dass neben dem Antisemitismus auch der Antiziganismus eine Geschichte lange vor und auch nach dem NS-Regime hat.

„Wir sprechen hier nicht nur über Vergangenes“

Wir dürfen dabei nicht so tun, als sprächen wir hier nur über Vergangenes. Ausgrenzung und Diskriminierung von Sinti und Roma aufgrund von Ressentiments und Vorurteilen sind auch heute europäische und leider auch deutsche Realität. So muss es uns schockieren und aufrütteln, dass laut der repräsentativen Studie „Deutsche Zustände“ in 2011 über 40 Prozent der Befragten angaben, Probleme damit zu haben, wenn sich Roma in ihrer Wohngegend aufhalten. Und mit 28 Prozent plädierte mehr als ein Viertel der Befragten dafür, sie aus den Innenstädten zu verbannen.

Auch die Presseberichterstattung zahlreicher Medien in den letzten Wochen hat erneut aufgezeigt, dass Vorurteile und Klischees über Sinti und Roma weiterhin weit verbreitet sind. Ein respektvolles, freundschaftliches Miteinander braucht einen Blick, der Sinti und Roma nicht auf eine bestimmte Lebensweise oder bestimmte Themen festlegt, der sie nicht bös- oder auch gutwilligen Klischees unterwirft, sondern sie selbst zu Wort kommen lässt und aktiv beteiligt. Sinti und Roma sind seit Jahrhunderten Teil unserer deutschen und europäischen Geschichte und sie sind Teil unserer gemeinsamen Zukunft.

Sinti und Roma sind in Deutschland eine anerkannte Minderheit

Sie sind eine anerkannte nationale Minderheit der Bundesrepublik Deutschland. Ihre Sprache und Kultur sind durch deutsches und europäisches Recht geschützt. Im Bewusstsein der besonderen geschichtlichen Verantwortung gegenüber Sinti und Roma und mit dem Ziel jeglicher Diskriminierung von Angehörigen von Sinti und Roma entgegenzuwirken, beabsichtigt die Landesregierung, gemeinsam mit den Fraktionen im Landtag, Anerkennung und Zusammenarbeit endlich auf eine tragfähige, sichere Grundlage zu stellen. Eine gemeinsame Vereinbarung in Form eines Staatsvertrages zwischen dem Land und dem Verband Deutscher Sinti und Roma Baden-Württemberg befindet sich derzeit in der Abstimmung. Dem Vorsitzenden des Landesverbandes, Herrn Daniel Strauß, und Herrn Staatssekretär Murawski sei für die guten und wichtigen Verhandlungen an dieser Stelle herzlich gedankt. Wir wollen gemeinsam noch in diesem Sommer dem Vertrag mit dem Landesverband durch Landesregierung und Landtag Gesetzeskraft verleihen, mit der das gesellschaftliche Miteinander und die Beachtung der kulturellen Identität von Sinti und Roma in Baden-Württemberg gesichert und gestärkt wird.

Musik von Ferenc Snetbérger

Meine Damen und Herren,
ich möchte nun an Herrn Ferenc Snetbérger überleiten, dem ich herzlich für die würdige musikalische Umrahmung der Gedenkveranstaltung danke. Ein besonderer Dank gilt auch Ihnen, Herrn Prof. Dr. Peter Steinbach, für Ihren anschließenden Vortrag über den nationalsozialistischen Völkermord an den Sinti und Roma.

Ich danke Ihnen.

Informationen im Internet:

http://www.romnokher.de/Romnokher/Willkommen_files/2013-03-15%2043%20MP%20Gedenkfeier_Sinti_Roma%20Grußwort%20zur%20Veröffentlichung.pdf

Rede von Peter Steinbach:

Der nationalsozialistische Völkermord an den Sinti und Roma

Am 15. März 1943 wurden mehr als 450 Menschen aus Württemberg und Baden deportiert, weil die nationalsozialistischen Machthaber beschlossen hatten, Menschen, die sie damals als „Zigeuner“ bezeichneten, auszurotten. Nach der Diffamierung, der Konzentrierung, der Entrechtung hatte eine neue Phase der Verfolgung eingesetzt, die auf Vernichtung aller Angehörigen die europäischen „Minderheit“ zielten. Die meisten von ihnen überlebten das Kriegsende nicht.

Im Jahre 1933 hatten rund 33000 Sinti und Roma in Deutschland gelebt. Ihre Mitmenschen nannten sie „Zigeuner“ – glücklicherweise verwenden wir diesen Begriff nur noch dann, wenn er uns aus den Quellen anspringt. Dann brauchen wir ihn, weil er schlagartig deutlich macht, wie Ausgrenzung funktioniert: Man benennt diejenigen, die man ablehnt, ausgrenzt, aussondert, mit einem Begriff, der sie von allen anderen trennen sollte. Denn diese 33000 Angehörige der Minderheit der Sinti und Roma waren Deutsche. Sie besaßen die deutsche Staatsangehörigkeit. Bis dahin hatten sie das Schicksal Deutschlands und der Deutschen geteilt. Viele hatten im ersten Weltkrieg gekämpft, waren verwundet worden, manche waren „im Feld geblieben“, wie man damals sagte. Nach 1918 hatten sie sich auf den neuen Staat eingelassen, hatten ihn getragen, ausgebaut, verteidigt. Sie hatten viel gegeben, um anerkannt zu werden in ihrem Patriotismus, in ihrem Wunsch, dazuzugehören wie andere Landsmannschaften, Konfessionen, Nationalitäten. Denn Deutschland galt als unvollendeter Nationalstaat: Dänisch, friesisch, polnisch, französisch, belgisch, jiddisch, sorbisch, also fast tschechisch und polnisch sprechende Deutsche gehörten dazu.

Die Sinti und Roma teilten die Erfahrungen dieser Gruppe. Wie für die Juden bedeutete für sie das Jahr 1933 eine Zäsur, trotz aller Kontinuitäten kriminalpolizeilicher Überwachung und Bedrängnis, die bis in die Kaiserzeit reichten. Denn nun wurde es entscheidend, wie die Hitler-Regierung die Zugehörigkeit zur Minderheit definierte und begründete.

Uns steht heute ein Arsenal von Erklärungsmustern zur Verfügung, wenn wir die Vielfältigkeit der Gesellschaft, in der wir leben, erklären wollen. Akzeptiert ist die landsmannschaftliche Unterscheidung, auch die konfessionelle, sogar die politische. Umstrittener ist die kulturalistische, abwegiger erscheint die ethnische, und bösartig ist die rassische, die im Blut den entscheidenden Unterscheidungsfaktor erblickt. Manche Muster können sich überlagern, gewiss. In der Weimarer Republik und im Dritten Reich begründete man Unterschiede vor allem rassenbiologisch und rassenideologisch. Ideologisch sage ich deshalb, weil diese Art Begründung kein Gegenargument zulässt, man lässt sich verblenden, man wird geblendet, und dies nicht selten mit damals tödlichen Folgen. Wir müssen uns diese Ausgangslage ins Gedächtnis rufen, um zu begreifen, was es bedeutet, heute abstrakt begrifflich über eine Frage zu diskutieren, die den Kern des Selbstverständnisses der Minderheit berührt, die vielgestaltig ist und die nicht nur die Nationalsozialisten, sondern auch viel zu lange Zeit die Nachlebenden „Zigeuner“ nannten.

Denn zwischen der heutigen Debatte über die Inschrift am Denkmal, das die Ausrottung Hundertausender von Sinti, Roma und Angehörigen anderer Stämme der Minderheit zu erinnern hat, und der Vergangenheit, die sie vor das Auge rückt, scheinen Welten zu liegen. Wir sind heute von der Kultur der Sinti und Roma fasziniert, wie mögen ihre Musik, die Django Reinhardt verkörperte, begreifen ihre Kultur, ihre Sprache, und die Erzählungen der Sinti und Roma sind wirkliche mündliche Erzählungen. Aber wenn wir die Zeiten einfach überbrücken, indem wir eine weit zurückliegende Vergangenheit einfach in unsere Gegenwart verpflanzen, gehen wir in zumindest einer Hinsicht leichtfertig mit der Geschichte um. Denn wir überspielen, wie schwer es in den vergangenen fünfzig und sechzig Jahren war, die Erinnerung an das Volk der „Zigeuner“, der Sinti, der Roma und anderer kleinerer Stämme, im Gedächtnis zu halten.

Davon muss zunächst gesprochen werden. Denn obwohl wir wissen, dass auch Gedenken und Erinnerung ihre Geschichte haben, scheinen wir immer wieder überrascht, wenn wir mit Zuständen aus den Fünfziger Jahren konfrontiert werden, die so gar nicht zu dem Stand passen, den unser Gedenken erreicht hat. So führt unsere Konfrontation mit der Erinnerungsgeschichte in der Regel direkt in das Erstaunen über die Geschichte unseres Gedenkens.

Gab es wirklich, so fragte man sich vor einigen Jahren, wirklich eine Zeit, in der man sich
nicht nur schwer tat, an das zu erinnern, was heute fester Bestandteil politisch-pädagogischer Besinnung ist? Peter Novick hat mit seiner anregenden und Aufsehen erregenden Studie über den „Umgang mit dem Massenmord“ in den Vereinigten Staaten daran erinnert.

Gab es wirklich eine Zeit, in der das Wissen von der systematischen Ausrottung von Mitmenschen, die sich als Sinti und Roma bezeichneten und die von anderen als Fremde empfunden und „Zigeuner“ genannt worden , nicht allgemeiner Bestandteil unserer Erinnerung an die Schrecken des Dritten Reiches war?

Ist es wirklich vorstellbar, dass eine juristische Dissertation aus den frühen sechziger Jahren
noch in den frühen sechziger Jahren der Frage nachging: „Hat die bei vielen Zigeunern mehrjährige Haft in den Konzentrationslagern zu einer Besserung ihres Verhaltens gegenüber der sesshaften Bevölkerung geführt, oder sind sie für Jahre aus ihren arteigenen Lebensgewohnheiten gerissen nach wiedererlangter Freiheit zu Verbrechern geworden, die auch vor schweren Gewalttaten nicht mehr zurückschreckten?

Ist es vorstellbar, dass ein südwestdeutscher Obermedizinalrat namens Arnold, der als Fachmann für sogenannte „Zigeunerfragen“ galt, vor allem „polizeiliche Erwägungen“ der Reichskriminalpolizei bemühte, um die Verfolgung der Zigeuner zu erklären? Er machte „erblich bedingte Dispositionen“ aus, um die angebliche Besonderheit der Zigeuner zu erklären, sprach von „prädiluvialen Erbcharakteristika“ und identifizierte „Nomadismus“ schließlich als ein genetisches Merkmal der so diffamierten Gruppe. Auf dem Boden dieser Vorteile gründeten sich Fahndungskarteien, in den dreißiger Jahren angelegt, in den vierziger Jahren fortgeschrieben, bis in die siebziger Jahre benutzt und als Anschauungsmaterial bemäntelt.

Die Zitate provozieren. Die Argumente sind uns viel weniger fremd, als wir uns eingestehen
können. Selbst ein aufgeklärter britischer Historiker wie Richard Evans erlag in seiner Abrechnung mit dem Historikerstreit diesen Vorurteilen, wenn er davon sprach, die Zigeuner hätten sich nicht am „Arbeitsprogramm“ der Nationalsozialisten beteiligen wollen und seien „keiner regelmäßigen Arbeit nachgegangen.“. Kein Vorurteil jedoch, das andere haben, ist uns ganz fremd. Wir müssen uns das nur eingestehen, um es korrigieren zu können. Ich möchte mit den Zitaten von Döring, Arnold und Evans darauf aufmerksam machen, welch langer Weg der Erinnerungsarbeit zurückzulegen war, bis es zu einer vorurteilsfreien Erforschung der Geschichte der Gruppe kam, die man lange Zeit „Zigeuner“ nannte.

Dass es dazu kommen konnte, ist das Verdienst einer Bürgerrechtsbewegung, die viele Widerstände und Anfeindungen bewältigen musste, die sich nicht beirren und ablenken ließ, die Anfeindungen ausgesetzt war, die aus vielen Vorurteilen resultierten, die vor einigen Jahren wieder mit der Finkelstein-Debatte angeklungen sind. Die Bürgerrechtsbewegung der Sinti und Roma konnte in den neunziger Jahren wichtige Teilziele erreichen, indem sie aufklärte, kritisierte, herausforderte, auch provozierte. Nur wenig mehr als zwanzig Jahre sind vergangen, seitdem dieser Kampf um die Respektierung der Leidens der Sinti und Roma begann. Damals besetzte eine kleine Gruppe von Sinti und Roma mit Romani Rose einen Teil des Konzentrationslagers Dachau. Das verlangte Mut, denn diese Aktion wurde nur von kleinen Teilen der Öffentlichkeit als die so oft geforderte Zivilcourage gedeutet und als legitim akzeptiert.

Dabei wurde deutlich: Das Bekenntnis zum bürgerschaftlichen Engagement in der Erinnerungsarbeit schließt auch die Verteidigung von Bürgerrechtsbewegungen ein, die sich vor allem dann auf die Geschichte besinnen, wenn in der Verfolgung eine neue Studie der Identitätsbildung erreicht worden ist. In der Tat haben die Nationalsozialisten immer wieder Menschen durch Verfolgung ein Gefühl tiefer Gemeinsamkeit gegeben. Das hat nichts Künstliches, sondern stellt eine Reaktion auf Gewaltsamkeit dar. Es hat deshalb nichts geschichtspolitisch Verkrampftes an sich, mögen Nachlebende, die nicht in dieser Opfertradition stehen, das auch immer wieder behaupten.

So, wie viele jüdische Deutsche durch die Verfolgung wieder sich auf eigene Traditionen besannen und von Assimilierten und dem jüdischen Glauben entfremdeten wieder zu selbstbewussten Juden oder zu Zionisten wurden, so wurden aus gejagten, gehetzten, verachteten „Zigeunern“ durch den Verfolgungsterror der Nationalsozialisten und ihre Kriminalpolizei sehr bald ihrer selbst bewusste und auf die eigene Geschichte bezogene Sinti und Roma. Natürlich stehen Nachlebende stets in der Gefahr, dem Sinnlosen rückblickend einen Sinn zu geben und so das Leiden erträglicher zu machen. Ein wichtiges Ergebnis der ständigen Ausgrenzung und Verfolgung der Sinti und Roma war, dass sich die Zusammengehörigkeit und das Selbstverständnis der Überlebenden auch auf die Erfahrung einer brutalen Verfolgung und Ausrottung bezog.

Die Zäsuren der Jahre 1933 bis 1945 wurden in ein neues Bewusstsein von der eigenen Gruppe und Kultur integriert, die ziganische Kultur wurde durch den Schrecken und durch die qualvolle Selbstbehauptung der Überlebenden gegenüber ihren Verfolgern eben eine andere als sie vorher war. Mich hat diese bürgerrechtliche Bemühung um die Vergegenwärtigung der Geschichte immer beeindruckt, zunächst als Ausdruck eines bürgerschaftlichen Engagements, dann aber auch als Praktizierung des Versuches, an die Auslöschung „bedrohter Völker“ in unserer Mitte zu erinnern. Der Kampf gegen diese Auslöschung wurde in unseren Sonntagsreden immer wieder beschworen, aber als Verteidigung des Lebens- und Entfaltungsrechtes der Bedrohten wurde die historische Erfahrung selten bemüht. Dies zeigt sich bis heute an unserer Wahrnehmung der Verfolgung von Roma in Südosteuropa, auf dem Balkan, die wieder zu den Opfern der ethnischen Konflikte auf dem Balkan gehören, bis heute.

Nach dem Schweigen der Fünfziger, nach den Diffamierungen noch in den sechziger und
siebziger Jahren und nach den heftigen geschichtspolitischen Kämpfen in den Achtzigern
kann man sich als Zeitgenosse schwer vorstellen, gegen welche Widerstände es der Minder-
heit der Sinti und Roma gelungen ist, einen festen Platz in der Erinnerung an die nationalso-
zialistische Zeit zu finden.

Drei Gruppen hatten die nationalsozialistischen Rassenideologen sehr früh als angeblich minderwertig identifiziert: Geisteskranke, Juden und Zigeuner. Sie hatten bereits vor 1933 die ideologischen Grundlagen ihres Rassenstaates gelegt, in den ersten Monaten ihrer Herrschaft die rechtlichen Voraussetzung angeblich eugenischer Maßnahmen geschaffen und etwa, ein bezeichnender zufälliger Zusammenhang und Gegensatz, das Gesetz zur Verhütung des erbkranken Nachwuchses am 14. Juli 1933 verkündigt, an selben Tag, an dem die Franzosen den Jahrestag des Sturmes auf die Bastille feierten.

Niemals haben die Nationalsozialisten in ihren Maßnahmen gegen Geisteskranke, gegen Juden und Zigeuner Unterschiede gemacht. Deshalb konnten Menschen, die Hand an Geisteskranke gelegt hatten, auch zum Gegenmenschen von Juden, Sinti und Roma werden. Dies machen viele der zeithistorischen Forschungen über den Völkermord an den Sinti und Roma klar und leistet auf diese Weise gerade keinen, wie man behauptet hat, Beitrag zur Relativierung nationalsozialistischer Gewaltverbrechen, sondern zur genauen Erkenntnis der Voraussetzungen, Umstände und Weiterungen eines Völkermords, der seinen Ursprung in dem Rassenwahn der Nationalsozialisten hatte.

In der Tat: Menschen, die am der Ermordung Geisteskranker beteiligt waren, wurden in die
Vernichtung der Juden einbezogen, Einsatzgruppen, die im Osten Juden erschossen hatten,
registrierten ebenso die Zahl der ermordeten „Zigeuner“, Gesetze, die sich gegen Juden rich-
teten, wurden innerhalb kürzester Zeit auch auf „Zigeuner“ ausgedehnt. Fand sich in Auswei-
sen von Juden ein „J“, so in den Ausweisen der „Zigeuner“ ein „Z“, wurden europäische Ju-
den in die Gettos des Generalgouvernements deportiert, so wurden auf „Zigeuner“ zusam-
mengetrieben, ausgeplündert, ihrer Erkrankung ausgesetzt, immer wieder selektiert, schließlich wie die europäischen Juden nach Auschwitz-Birkenau verschleppt, dort erneut selektiert, in Lagerbaracken zusammen gepfercht und schließlich bis auf wenige Überlebende ermordet. Wie die europäischen Juden, so wurden die europäischen Sinti und Roma im Zigeunerlager Birkenau, wie man den Lagerabschnitt B II a nannte, unter denselben Bedingungen ausgerottet.

Diese Zusammenhänge sind durch viele Forschungen deutlich gemacht worden. Man wende
nicht ein, man hätte dabei leichtfertig nach Parallelen gesucht! Diese drängen sich auf, sie
sind ein Umstand der Verfolgungsgeschichte von Minderheiten, die im Wahn von der Rassenreinheit als Gefahr gedeutet wurden. Vernichtung von Minderheiten aus Angst vor der Zukunft, vor dem Fremden, vor den Folgen der Mitmenschlichkeit.

Sehr schnell wurden von der neuen politischen Führung nach der nationalsozialistischen
Machtergreifung Fremdrassige definiert, Juden ebenso wie Sinti und Roma oder Menschen,
die Schwarze als Vorfahren hatten und als Rheinlandbastarde bezeichnet wurden. Bereits in
der Weimarer Republik hatte man „Zigeuner“ und Farbige erfasst. Diese Registrierung von
sogenannten Zigeunern wurde wenige Jahre später sogar als Forschungsanliegen verbrämt
und begünstigte doch nur die Konzentration der Ausgegrenzten in Lagern, die in einzelnen
Ortschaften entstanden waren.

Wir haben vor allem die Verfolgung der Juden erforscht, auch erst seit den sechziger Jahren
und viel zu spät, gewiss, aber unvergleichlich intensiver als die Verfolgung der Sinti und Ro-
ma. Dabei entsprach der Entrechtung der Juden die Entrechtung der Sinti und Roma ebenso
wie ihre gemeinsame Verfolgung. Schüler mussten die Schulen verlassen, Freundschaften
wurden zertrennt, und dies alles bereitete die Deportation vor. Sie wurde genau so organisiert wie die Deportation polnischer Juden. Kranke und behinderte „Zigeuner“ wurden ermordet, im Osten kam es zu Massenerschießungen durch Einsatzgruppen, die in ihren Ereignismeldungen auch die ermordeten „Zigeuner“ auflisteten, und auch medizinische Experimente wurden, nicht zuletzt an „Zigeuner-Kindern“, durchgeführt.

Im Dezember 1942 ordnete Himmler die Deportation der meisten „Zigeuner“ nach Auschwitz an. Sein Befehl wird auch nicht relativiert durch abstruse, völlig abwegige Vorstellungen, angeblich rassenreine Zigeuner irgendwo anders anzusiedeln. Derartige Überlegungen betrafen zu dieser Zeit auch Versuche, die europäischen Juden zu vertreiben. Ausnahmen gab es in der faktischen Verfolgung nicht. Diese Vorstellungen haben denselben Erklärungs- und Stellenwert wie Überlegungen, irgendwo weit im Osten oder in Madagaskar Juden anzusiedeln oder Zeugen Jehovas in unwirtlichen Grenzgebieten siedeln zu lassen. Die systematische Ausrottung der Juden und der „Zigeuner“ sind miteinander verwoben und
deshalb nicht genau zu unterscheiden. Dies mag erklären, weshalb bis heute Historiker weiterhin ihre Überlegungen zur genauer Bestimmung der Ermordetenzahlen anstellen, und
selbst hier ähneln sich die Untersuchungen des Völkermords an den Juden mit denen zur
Erforschung der Tragödie der Sinti und Roma.

In zwei Punkten unterscheiden sich die beiden Versuche des Völkermordes. Bereits in der
Weimarer Republik lassen sich Versuche nachweisen, die Sinti und Roma zu erfassen, zu
benennen, zu beobachten. Hier ist die Kontinuität zwischen der Weimarer Republik und dem NS-Staat zu greifen und ähnelt der Erfassung der sogenannten „Rheinland-Bastarde“, also der Nachfahren französischer farbiger Soldaten, die vor allem während der Besatzungszeit und der Ruhrbesetzung gezeugt worden waren, die polizeilich erfasst und durch Amtsärzte sterilisiert und zu einem erheblichen Teil nach 1933 ermordet wurden.

Und ebenso bemerkenswert wie die über das Jahr 1933 rückwärts ausstrahlende Kontinuität
ist die über das Jahr 1945 hinaus gehende Kontinuität der Ablehnung, der Befremdung, der
Gleichgültigkeit, ja der Verachtung, die sich gegen jene wenigen Sinti und Roma richtet, die
den Schrecken der NS-Zeit überlebt haben. Diese Kontinuität der Ablehnung überlagert sich
mit der Kontinuität der Täter, die vor allem polizeiliche Maßnahmen gegen die „Zigeuner“ in
der NS-Zeit verantwortet haben, nach 1945 weiterhin im Dienst bleiben und im Geist der
dreißiger Jahre weiter handeln. Sehr spät, in den Achtziger Jahren, werden „Landfahrer-Karteien“ als Fahndungsunterlagen aus dem polizeidienstlichen Geschäftsgang gezogen.

Dies war ebenso wie die Auseinandersetzung der Geschichtswissenschaft und der Öffentlichkeit das Ergebnis von Bemühungen, die mit dem Namen von Romani Rose verbunden sind. Er hat in den Achtziger Jahren mutige und konsequente Zeichen gesetzt, öffentliche Kontroversen nicht gescheut, Demonstrationen vorbereitet und durchgehalten, sogar Besetzungen besonders symbolträchtiger Orte wie Dachau auf sich genommen. Er hat einiges, keineswegs alles, aber doch erstaunlich und bewundernswert viel erreichen können. Diskussionen über Ermordetenzahlen, in die sie Kritiker verwickeln wollten, sind geschmacklos, denn sie lenken von der wesentlichen und nicht zu bestreitbaren Erkenntnis ab, dass der Völkermord an der „Minderheit“, für die heute ein Zentralrat spricht, aus denselben rassenideologisch motivierten Vorurteilen, Gefühllosigkeiten und Vernichtungsabsichten resultierte, die sich gegen die europäischen Juden richtete. Die Konsequenz, mit der die deutschen Sinti und Roma ihr Ziel verfolgten, lässt sich nur mit Zustimmung und Respekt hervorheben. Die „Minderheit“ hat viel erreicht, was Menschen, die es als Verantwortliche besser wussten, in den Jahrzehnten unmittelbar nach der Befreiung von der nationalsozialistischen Herrschaft nicht vollbracht haben.

Wir haben begonnen, – „begonnen“, sagte ich, – die Geschichte des Völkermords an den Sinti
und Roma und an den anderen Stämmen der Minderheit in unser Bild von den Nationalsozialistischen Gewaltverbrechen zu integrieren. Dies ist nicht allein die Frage schwebender Denkmalsentscheidungen, sondern dies ist eine Frage unserer Bereitschaft, die Ereignisse zur Kenntnis zu nehmen, die zur Ermordung Hunderttausender Sinti und Roma führten. Täter sind oft leichter identifizierbar als Opfer, vor allem, wenn ihre Zahl in die Hunderttausende geht. Und zugleich wird deutlich, dass zeithistorische Forschung Konturen zeichnete und zugleich auch vielen Menschen, die „entheimatet“ und „enthaust“, ihrer Angehörigen beraubt und ermordet wurden, ein Gesicht gab, in dem ihre Angst und ihre Würde sichtbar wurde. Augenblicklich droht das Erreichte in einem Inschriftenstreit zerstört zu werden, den sich auch dann nicht entschärfen lässt, wenn man den Begriff des „Zigeuners“ durch den des Ghipsy ersetzt. Das würde bedeutet, noch einmal der Verfremdung eines Völkermords Vorschub zu leisten, wie dies möglicherweise durch den Begriff „Holocaust“ oder „Shoah“ gelungen ist.

Mich haben die Menschen, die etwa in der Gedenkstätte der Minderheit in Heidelberg zu sehen sind, berührt und nicht losgelassen, seitdem ich sie zum ersten Male sah. Dies war kein Begleitumstand der Tatsache, dass ich noch niemals zuvor mit derartig vielen Opfern konfrontiert wurde, die meinen eigenen Namen tragen – „Steinbach“ ist ein häufig im Südwesten zu findender Sinti-Name. Dies war viel eher die Folge einer Erinnerung, die ich als kleines Kind machte: Anfang der fünfziger Jahre, ich muss vier Jahre alt gewesen sein, zog durch die Straße, in der unser Wohnhaus lag, in endloser Reihe ein Zug von Wagen vorbei, die damals, Anfang der fünfziger Jahre, noch von Pferden gezogen wurden. Sie fuhren vom Bahnhof meiner lippischen Heimatstadt durch die Straßen, irgendwohin. Ich stand und stand und guckte. Ich merkte, wie Eltern ihre Kinder ins Haus holten und erfuhr erst später, warum. Zigeuner, so hörte ich, sollten doch Kinder klauen. Selbst Elias Canetti, selbst Hilde Spiel, überliefern in ihren hinreißenden Erinnerungen diese dunkle Furcht.

Meine Mutter holte mich nicht ins Haus, warnte mich nicht, kein abschätziges Wort störte
mein Staunen, meine Neugier, meine Aufmerksamkeit an Menschen, Wagen und Tieren. Ab
und zu erblickte ich auch ein Kind, eigentlich aber, ich erinnere mich heute noch daran, wunderte ich mich, dass man keine Kinder sah. Heute kann ich mir das erklären. Und wenn ich rückblickend nachdenke, empfinde ich außer Dankbarkeit dafür, dass ich diesen Zug von
Menschen einfach staunend ansehen konnte, vor allem Zorn auf jene, die uns einreden woll-
ten, Zigeuner würden Kinder klauen, weil sie völlig verdrängt hatten, dass den vorbeiziehen-
den Familien der Minderheit selbst die Kinder von denen geraubt worden waren, die ihnen
Kinderraub unterstellten.

Manche derjenigen, die den Zigeunern in ihren wissenschaftlichen Untersuchungen weiterhin Kinderraub unterstellten, hatten sich selbst an den Kindern vergangen, indem sie diese aus ihren Familien rissen, an Kindern, die für ihre Eltern Zukunft und Sicherheit verkörperten und die als das größte Glück und der größte Reichtum überhaupt empfunden wurden. Deshalb auch finde ich Diskussionen über Zahlen der Ermordeten so abstoßend, denn in der kollektiven Erinnerung handelt es sich neben den nachweisbaren Zahlen immer auch um die Einschätzung von verschütteten, abgeschnittenen, vernichteten Möglichkeiten, Lebenschancen zu entfalten und zu realisieren.

Das Schicksal der Minderheit der „Zigeuner“ macht deutlich: Wer einem Menschen die Würde streitig macht, leugnet sehr schnell sein Lebensrecht und bezweifelt seinen Lebenswert, gefährdet dessen Leben. Die Erklärung von „Lebensuntauglichkeit“ führt zur Bestreitung des „Lebensrechtes“, tötet das Mitleid und erleichtert, das Recht auf Überleben anzuzweifeln, das jeder hat, der ein Menschenantlitz trägt oder tragen wird. Denn wer den „Lebenswert“ seines Mitmenschen anzweifelt, gewöhnt sich an seine Verfolgung, verliert die Kraft zur Empörungsfähigkeit, zum selbstvertretenden mitmenschlichen Handeln, dessen Verfolgte oft bedürfen.

Wer diese Kraft nicht hat, hat auch keine Chance, bürgerlichen Mut als „letzte verantwortliche Tat“ (Dietrich Bonhoeffer) zu beweisen, also Zivilcourage, die wir heute bereits reklamieren, wenn wir machtvoll für unsere ureigensten Interessen eintreten. Zivilcourage rechtfertigt sich aus dem Eintreten für andere, nicht als Selbstartikulation, als Technik der Ego-Taktiker, die sich empören über die Grenzen ihrer Selbstverwirklichung, nicht aber für die Beschneidung der Rechte und Freiheiten des Anderen eintreten. Empörungsfähigkeit muss geübt werden, nicht als „sterile Aufgeregtheit“, wie der Soziologe Simmel einmal feststellt, sondern als die Kraft, das „Entsetzen im Auge“ des bedrängten, verfolgten Mitmenschen zu sehen, wie es in der alttestamentarischen Josephs-Geschichte heißt, und Folgerungen für das eigene Handeln zu ziehen.

Lebensrecht ist ein absolutes Recht, es lässt sich nicht ableiten aus Nützlichkeitserwägungen.
Es gilt einfach, und man kann nicht darüber streiten, unter welchen Bedingungen, seit wann,
wie lange es gilt oder gelten soll. Nicht alles lasse sich definieren, sagte Jaspers, denn eine
Definition legt Grenzen fest, unwiderruflich, auf Leben und Tod. Nicht bestimmte Grenzen
begründen den Raum einer Verantwortung, die jeder durch tägliche Entscheidung neu be-
gründen und vor allem beweisen kann. Dies macht die historische Reflexion zum wichtigen
Bezugspunkt moralphilosophischer Überlegungen, denn politisches Bewusstsein bezieht sich
häufig auf zeitgeschichtliche Erfahrungen. Vielleicht lernt man nicht aus der Geschichte. Aber man hat durch eine Konfrontation mit der Vergangenheit die Chance, nicht jede Erfahrung noch einmal machen – und zufügen! – zu müssen.

Das geplante Denkmal erinnert nicht nur an ein Verbrechen, sondern zugleich auf eine bewegende Weise an das Schicksal einer europäischen Volksgruppe, die zu unserer Geschichte und zu unserer Kultur gehört, obwohl sie im Laufe ihrer Geschichte exotisiert oder als fremd empfunden wurde wie jede Minderheit, die aber niemals bedrohlich war, sondern von Machthabern als Bedrohung vor die Augen der Zeitgenossen gerückt wurde und deshalb die Maßstäbe eines gebotenen mitmenschlichen Verhaltens verrutschen ließ.

Ausgrenzung hat Folgen: „Zu den artfremden Rassen“, teilte Frick als Reichs- und Preußischer Minister des Innenminister am 3. Januar 1936 den deutschen Landesregierungen, den preußischen Standesämter und den Gesundheitsämtern mit, „gehören alle anderen Rassen, das sind in Europa außen den Juden regelmäßig nur die Zigeuner.“ Wenige Monate nach dem Erlass der Nürnberger Rassegesetze wurde festgestellt, dass die Nationalsozialisten keinen Unterschied zwischen Juden und „Zigeunern“ machten. Alles, was folgte, erklärte sich aus dieser Gleichsetzung: Verfolgung, Entrechtung, Deportation, Ermordung.

Der Völkermord, den die Nationalsozialisten an den Sinti und Roma begingen, macht deutlich, dass der industriemäßig betriebene Mord an den Juden und an der Volksgruppe, die man „Zigeuner“ nannte, aus einer gemeinsamen, gleichen rassenideologischen Wurzel legitimiert wurde. Deshalb ist es geschichtswissenschaftlich völlig unangemessen, die parallel verlaufenden Vernichtungsversuche – den Völkermord an den Juden und an den Sinti und Roma – zu isolieren, um die Unvergleichlichkeit und Einzigartigkeit des einen Völkermordes zu betonen und die Bedeutung des anderen zu relativieren.

Aus einem gemeinsamen Prinzip zielten die Nationalsozialisten auf ethnische Säuberungen,
vermischten den Kampf gegen ein Volk mit dem gegen den anderen, politisierten ihren Wahn, legitimierten sich durch ideologisch aufgeladene und moralisch völlig in die Irre führende Begriffe wie „Volksgesundheit“, „Volksschädling“, „Artreinheit“, erzeugten Nachfolgebereitschaft durch die Anfachung von Zukunftsängsten.

Es ist unbestreitbar, dass sich der Völkermord an den europäischen Sinti und Roma, die wie
die Juden seit Jahrhunderten in Europa lebten, ähnlicher Methoden bediente, dass die Praktiken der Vernichtung von Juden und Sinti und Roma völlig identisch waren. Insofern ist es völlig müßig, irreführend und abwegig, die Sinti und Roma auszugrenzen oder zu isolieren, wenn es um die Beschreibung des nationalsozialistischen Völkermordes geht.

Dabei geht es nicht um eine Relativierung des Völkermords an den Juden, den „Holocaust“ zu nennen ich mich trotz des im amerikanischen Sprachgebrauchs üblichen Verwendungszu-
sammenhangs konsequent weigere, weil ich in den Opfern des Völkermords kein Opfer erkennen kann und will, das Gott gefallen könnte, gleich, ob Holocaust amerikanisiert geschrieben oder eingedeutscht, wie seit einer Fernsehserie vorgeschlagen, mit „k“ geschrieben wird.

Singulär war die Energie, mit der die nationalsozialistische Führung ihr Kriegsziel der Ausrottung von Juden und Zigeunern verwirklichten, unvergleichlich war auch die Konsequenz, mit der Tötungsfabriken errichtet wurde, die nur zwei Ziele hatte: Menschen zu töten und Leichname zu vernichten. Und singulär war die Selbstverständlichkeit, mit der unter den Bedingungen der erkennbar gewordenen Niederlage an diesem Kriegsziel einer umfassenden ethnischen „Säuberung“ Europas festgehalten wurden.

Mit dieser Betonung der Einmaligkeit des Völkermords an den Juden und an den Sinti und
Roma soll nicht das eine Verbrechen durch andere relativiert werden, sondern deutlich ma-
chen, auf welche Weise beide Verbrechen des Völkermords miteinander verbunden sind und
zum “Menschheitsverbrechen“ im Sinne von Karl Jaspers werden. Diese Feststellung macht
den Mord an beiden Minderheiten, die in der deutschen und in der europäischen Gesellschaft leben und weiter gefährdet sind, nicht geringer, sondern schafft neue, wichtige, für die „humane Orientierung“ unverzichtbare  Vergleichsmaßstäbe.

Wenn diese Singularität bestritten wird, so erfolgt das aus geschichtspolitischen Gründen, die als erinnerungs- und gedenkpolitische Erklärungen verständlich sind, jedoch aus geschichtswissenschaftlichen nicht nachvollziehbar sind. Dies macht das Schlusskapitel des vorzüglich gestalteten Katalogs zur Heidelberger Dauerausstellung im Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma mit der Kontroverse zwischen Yehuda Bauer und Romani Rose deutlich. Behauptet wird die Singularität des Völkermords an den europäischen Juden aus Gründen, die ihre Erklärung nicht in den Tatsachen und Fakten, sondern in einer kontextabhängigen Deutung des Gedenkens an die nationalsozialistischen Gewaltverbrechen finden.

Diese Zusammenhänge der Erinnerung sind in den letzten Monaten in die öffentliche Diskussion gerückt worden, insbesondere durch die bereits erwähnte Untersuchung von Peter Novick, der deutlich machen kann, wie die Erinnerung an der „Endlösung“, der „Final Solution“, an Völkermord, an den „Holocaust“, an die „Shoah“ eine Geschichte hat, die auf unsere Verantwortung für Form und Ziel einer Erinnerung verweist, die in das Gedenken führen kann.

Die Ermordung der Sinti und Roma ist ebenso singulär, weil es keine andere Minderheit gibt, die jener Gruppe gleicht, die man in Deutschland „Zigeuner“ nannte. Sie hatte eine ganz spezifische Kultur, die man nicht nur ahnen kann, wenn man den Jazz-Gitarristen Django Reinhardt liebt. Denn es handelte sich bei der Kultur der Sinti und Roma stets um mehr als um Zigeunerjazz – es handelte sich um einen wichtigen Bestandteil europäischer Kultur, der
durch Sinti und Roma, die seit der Mitte des 15. Jahrhundert nachweislich unter uns gelebt haben, verkörpert wurden und unsere europäische Kultur in ihre ganz charakteristischen Vielfältigkeit bereicherte.

Vielleicht kann man sich sehr schnell darauf einigen, dass jeder Mensch einmalig ist, dass es
sich bei jedem Mord um ein singuläres Verbrechen handelt, dass jeder Täter, der ein Leben
auslöscht, eine Welt vernichtet, dass jeder Helfer eines bedrohten Menschen eine Welt be-
wahrt, indem er ein Leben rettet. Aber das sind letztlich Sinngebungen, die nicht dazu beitra-
gen, die vergangene Wirklichkeit in den Blick zu nehmen.

Als einer der ersten hat dies Simon Wiesenthal ausgedrückt, vor fast fünfzig Jahren. Aber es
hat viele Jahrzehnte gedauert, bis diese Tatsache anerkannt wurde. Zwar wird weiterhin in der Forschung kontrovers das eine oder andere Detail bewertet, diskutiert man Opferzahlen, Entscheidungsfindungen. Das ist legitim, das ist auch notwendig, soll die Erinnerung den Tatsachen entsprechen und in der Entsprechung standhalten.

Aber Kontroversen zielen nicht auf Infragestellung und schon gar nicht auf die Relativierung
der Tatsachen durch bloße Meinungen. Die Realität des Völkermords an den Sinti und Roma
muss man aushalten, so schwer es fällt. Die Auseinandersetzung hilft, der Geschichte in der
Erinnerung standzuhalten. Und wer in dieser Weise standhält, der hat auch die Kraft zum Gedenken. Dies fliegt einen nicht an wie eine Emotion – Gedenken ist eine aktive Tätigkeit, dessen Kern dann die Erinnerung festigen kann.

Manche leben unter uns, die derartige Anstöße nicht brauchen, denn sie tragen sie als Wunden in ihrer Seele, ein Ergebnis der Ausrottung von Angehörigen, von Eltern, von Großeltern, von Elterngeschwistern. Wir können jetzt teilhaben am Schrecken, am Leiden, aber auch an der Vergegenwärtigung des Schrecklichen. Lassen wir uns als Nachlebende in der Konfrontation mit dieser geschichtspolitischen Debatte auf Zusammenhänge ein, stellen wir Verbindungen her, schauen wir auf die Vergangenheit, vergessen wir nicht, dass sich die ethnisch legitimierte Ausrottung von Menschen nach wie vor täglich vor unseren Augen ereignet. Flüchten wir uns nicht in das rhetorische „Nie wieder!“.

Bewahren wir uns das Gefühl unserer eigenen Gefährdung. Sagen wir uns: „Wir stecken mitten drin!“ Diese Satz drückt eine Erfahrung der Zeit unter nationalsozialistischer Herrschaft aus, artikuliert von einem Regimegegner, dem Heidelberger Theologen Hermann Maaß, der sich nicht außerhalb seiner Gesellschaft aufstellte und sich mit dem Ruf besänftige: „Gott sei Dank, ich bin nicht so!“. Er wusste, dass er Teil der Gesellschaft war, manche ihre Vorteile teilte und deshalb gefährdet war: „Nichts von dem, was wir im Anderen verachten, ist uns selbst ganz fremd.“ Manche der vergangenen Erfahrungen müssen wir nicht machen, glücklicherweise. Aber immer wird der historisch wache Zeitgenosse spüren und ahnen, auf welcher schiefen Ebene er weiterhin steht, nicht nur er, auch ich, wir alle, ein jeder von uns. Und er ahnt in der Wahrnehmung des nationalsozialistischen antiziganischen Rassenhasses, welcher Preis das Versagen hat.

Internet:

http://www.romnokher.de/Romnokher/Willkommen_files/SintiuRomaStuttgart%2015.3.-2_aktuell.pdf

 

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„Überhitzte Räume und ätzender Lösungsmittelgeruch“ – Stadtverwaltung Kirchberg und Hohenloher Tagblatt haben über die neue Schulmensa miserabel informiert

„Gestärkt durch den Tag“ (19. März 2013) und „Ruhebereich für Leib und Seele“ (25. März 2013) lauten die beschönigenden Überschriften im Hohenloher Tagblatt (HT) über den Neubau der Schulmensa in Kirchberg an der Jagst. In beiden Artikeln des Crailsheimer Lokalblattes steht kein Wort von überhitzten Räumen. Es fehlt der Sonnenschutz und starker Lösungsmittelgeruch reizt die  Augen und Schleimhäute.

Kommentar von Ralf Garmatter, Kirchberg/Jagst

Wie konnten die eklatanten Mängel in zwei HT-Artikeln unerwähnt bleiben?

Ralf Garmatter, der Autor dieses Kommentars hat sich auf die Spurensuche begeben. Das Ergebnis: Nach Gesprächen mit anderen Eltern, Mitarbeitern der Kirchberger Schule und der Stadtverwaltung erhielt die Kirchberger Stadtverwaltung am 12. März 2013 vom Autor dieses Kommentars per E-Mail einen Mängelbericht über die neu in Betrieb genommene Schul-Mensa. Darin drängte der betroffene Vater auf schnelle Abhilfe der Mängel. Im HT-Artikel von Katharina Behr vom 19. März 2013 gibt die HT-Mitarbeiterin ein Gespräch mit Kirchbergs Stadtbaumeister Peter Marx wieder. Dort ist zu lesen: (…) „Seit Januar 2013 sind die Bauarbeiten größtenteils abgeschlossen und die Resonanz auf das Gebäude ist durchweg positiv (…). Kein Wort von beißendem Geruch in dem Neubau und Zimmertemperaturen von 35 Grad Celsius bereits Anfang März 2013.

HT-Journalistin offensichtlich falsch informiert

Recherchen von Hohenlohe-ungefiltert und ein Gespräch mit Peter Marx vom Kirchberger Stadtbauamt haben ergeben, dass Marx die von Elternseite gerügten Mängel bewusst unterdrückt hat. Kirchbergs Bürgermeister Stefan Ohr kommentierte den Fauxpas seines Mitarbeiters lapidar mit den Worten: „Ich fand den Artikel gut.“ Dass sein Stadtbaumeister die HT-Journalistin offensichtlich belogen hat und dadurch die Öffentlichkeit in wichtigen Punkten falsch informiert worden ist, scheint dem Bürgermeister egal zu sein.

Wortlaut der E-Mail vom 12. März 2013 an die Stadtverwaltung Kirchberg/Jagst:

Sehr geehrte Damen und Herren der Stadtverwaltung Kirchberg/Jagst,
am neuen Gebäude für die Ganztagsbetreuung an der Kirchberger Schule sind schnellstmöglich folgende Punkte zu verbessern:

1. Im Gebäude riecht es stark nach Lösungsmittel. Vermutlich kommt dieser Geruch vom Kleber des erst vor kurzem verlegten Bodens. Es gibt Menschen, die dadurch Kopfschmerzen bekommen, tränende Augen und einen unangenehmen Geschmack auf der Zunge.
Fragen: Welcher Kleber wurde verwendet? Aus welchem Material besteht der Fußboden?

Verbesserung der Luftqualität: Es muss dringend immer gelüftet werden, wenn keine Schüler im Gebäude sind, damit die giftigen Dämpfe abziehen können.

2. Im Gebäude ist es ständig zu warm. Ich habe gestern (Montag, stark bewölkter Himmel) am späten Nachmittag in den Räumen 27 Grad Celsius gemessen. Sogar im Raum der Schülerbibliothek (Nordseite des Gebäudes) ist es zu warm und die Luft stickig.

Vorschlag: Die Heizung herunterdrehen. Auf eine Temperatur von maximal 20 Grad Celsius einstellen.

3. In der vergangenen Woche schien die frühe März-Sonne. Bereits diese schwache Sonnenstrahlung hat ausgereicht, um die Zimmer des Gebäudes auf 35 Grad Celsius aufzuheizen. Die großen Fenster befinden sich auf der Südseite des Gebäudes. Dadurch entsteht ein Raumklima wie in einem Glasgewächshaus.
Es muss dringend ein wirkungsvoller Sonnenschutz eingebaut werden – Außen-Rollos oder ähnliches. Das Anbringen von UV-Folie reicht im späten Frühjahr und Sommer nicht aus, um in den Räumen eine Temperatur zu ermöglichen, bei der die Kinder noch arbeiten, essen und spielen können.

4. Beim Essen muss jemand dafür sorgen, dass die Kinder (vor allem die Grundschüler) auch ihren Salat und/oder ihr Gemüse mitnehmen und essen. Da manche der kleinen Grundschüler mit den großen Tabletts überfordert sind, verzichten sie darauf, sich auch noch einen Salat aus der Kühltheke zu holen und aufs Tablett zu stellen. Sie holen sich dann auch keinen Salat mehr, wenn sie an ihrem Platz sitzen. Zu einer ausgewogenen Ernährung gehört auch Salat, Obst und Gemüse.

5. Das Gebäude muss von außen zugänglich sein. Es war gestern (Montag) nicht möglich, die Kinder gegen 15 Uhr abzuholen, da alle Türen des Gebäudes abgeschlossen waren. Dies muss aber gewährleistet sein, da Kinder auch für – beispielsweise Arzttermine – vor 15.20 Uhr abgeholt werden müssen.

Mit der Bitte um schnelle Abhilfe verbleibe ich mit freundlichen Grüßen

Ralf Garmatter

Im HT kein Wort über die Gebäudemängel

Während das Hohenloher  Tagblatt beim Artikel „Gestärkt durch den Tag“ (veröffentlicht am 19. März 2013) von der Stadtverwaltung Kirchberg offensichtlich getäuscht worden war, ist die Lokalzeitung beim Artikel „Ruhebereich für Leib und Seele“ (erschienen am 25. März 2013) selbst verantwortlich für die mangelhafte Information der Öffentlichkeit.  Über die offizielle Mensa Einweihung vom 21. März 2013 schrieb der in Kirchberg wohnende freiberufliche HT-Mitarbeiter Hartmut Volk. Er hatte unmittelbar nach der Einweihungsfeier ein Exemplar des E-Mail-Briefes (siehe oben) an die Stadtverwaltung Kirchberg erhalten. Volk fragte: „Kann ich das in meinem Artikel verwenden?“ und erhielt daraufhin eine positive Antwort. Erschienen ist in seinem HT-Artikel vom 25. März 2013 allerdings kein Wort über die gerügten Gebäudemängel.

Dafür könnte es zwei Erklärungen geben:

1. Die HT-Redaktion in Crailsheim hat die Beschreibung der Gebäudemängel aus dem Volk-Text herausgestrichen – oder:

2. Hartmut Volk hat die gerügten Gebäudemängel in seinem beim HT abgelieferten Text überhaupt nicht erwähnt.

Hartmut Volk will als Journalist offensichtlich gleich zwei Herren dienen

Für die zweite Erklärung spricht folgende Verstrickung des freiberuflichen Journalisten Hartmut Volk mit der Stadtverwaltung Kirchberg/Jagst: Hartmut Volk hat über die Mensa-Einweihung nicht nur den Artikel fürs Hohenloher Tagblatt (25. März 2013) geschrieben. Im amtlichen Teil des Mitteilungsblatts der Stadt Kirchberg/Jagst über die „Einweihung der Schulmensa Kirchberg“ erschien am 28. März 2013 eine ganze Seite. „Text und Fotos: Hartmut Volk, Kirchberg“. Im ganzen sind dort zwölf Bilder und ein kurzer Text Volks über die „feierliche Einweihung der neuen Schulmensa an der August-Ludwig-Schlözer-Schule“ veröffentlicht worden.

Vom journalistischen Standpunkt aus ist folgendes anzumerken:

Der freie Journalist Hartmut Volk muss sich entscheiden,

1. Will er die Leserinnen und Leser umfassend und wahrheitsgetreu über Dinge und Geschehnisse in Kirchberg/Jagst informieren, dann darf er nur für nicht-städtische Medien schreiben und fotografieren. Keinesfalls darf er kritische Punkte bewusst unterdrücken.

2. Wenn er die Stadtverwaltung Kirchberg/Jagst in einem möglichst positiven Licht darstellen will, dann darf er seine PR-Texte und PR-Bilder nur in städtischen Medien veröffentlichen.

Diener zweier Herren kann ein Journalist nicht sein.

Anmerkung von Ralf Garmatter:

Ein Exemplar des Mängel-Briefes haben auch der Architekt Christian Beck vom Berliner Architektenbüro Wiechers Beck, der zuständige Bauleiter sowie die drei Gemeinderatsfraktionen (UWV, UGL und Aktive Bürger) erhalten.

Mal sehen, ob die Mängel noch abgestellt werden.

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„Wir alle sind Huber!“ – Protestaktion in Öhringen gegen Werksschließung in Bottrop

200 Beschäftigte protestierten vor einigen Tagen in Öhringen gegen die Schließung des Huber-Werkes in Bottrop. Sie sind solidarisch mit den Bottroper Kolleginnen und Kollegen und fürchten Auswirkungen auf Öhringen.

Von der IG Metall Schwäbisch Hall

Kein weiterer Stellenabbau bei HUBER – Werksschließung in Bottrop verhindern

Stellungnahme des Betriebsrates am Standort Öhringen zur Schließung des Werkes in Bottrop:

Am Dienstag 26. Februar 2013 wurde dem Gesamtbetriebsrat und den Standort-Betriebsräten in Öhringen und Bottrop in einer knappen mündlichen Erklärung durch die Geschäftsführer mitgeteilt, dass das Werk Bottrop bis Ende 2013 geschlossen und eine Bierfass-Linie im Öhringer Werk 2 abgebaut werden soll.

Kein betriebswirtschaftlicher Grund für Standortschließung und Personalabbau

HUBER Packaging ist laut Herrn Hagen, dem neuen Vorsitzenden der Geschäfts-führung, ein Unternehmen, „das keine roten Zahlen“ schreibt und somit Gewinne aus seinem Geschäft erzielt. Auch in Bottrop. HUBER hat darüber hinaus eine Eigenkapitaldecke die seinesgleichen sucht. Nach unserer Auffassung gibt es damit grundsätzlich keinen betriebswirtschaftlich haltbaren Grund, ganze Standorte zu schließen und in Öhringen nochmals einen einschneidenden Perso-nalabbau zu provozieren.

Wegen Banken- und Finanzkrise sparen viele Kundenfirmen

Die konjunkturellen Einbrüche, die HUBER seit 2009 mit Kurzarbeit gut umschiffen konnte, rühren in hohem Maße auch von der europäischen Banken- und Finanzkrise her. Der damit einhergehende Sparkurs vieler Kundenfirmen, der sich auch in einer erheblichen Verringerung der Warenbestände niederschlägt, führt zu größeren Ausschlägen bei der Auftrags- und Beschäftigungslage.

Auf Auftragsschwankungen mit flexibler Arbeitszeit reagiert

Da HUBER an allen Standorten seit Jahren über ein außerordentlich flexibles Arbeitszeitmodell verfügt, kann das Unternehmen hervorragend auf Auftragsschwankungen reagieren. Dazu zählt auch die Möglichkeit, an zwei Standorten in Deutschland produzieren zu können, was die Liefersicherheit zu den Kundenfirmen enorm verstärkt. So lässt sich auch der immer noch große Marktanteil von HUBER an Blechverpackungen – der eine hohe Wertschätzung bei den Kunden genießt – erklären. Nun sind verlagerungsbedingte Umsatzeinbrüche wegen der Schließung Bottrops zu befürchten.

Blech hat Zukunft

Obwohl der Gesamtverbrauch an Blechverpackungen rückläufig ist, ist der Werkstoff „Blech“ im Verpackungsmittelbereich ein unersetzliches Segment – mit einer einzigartigen Ökobilanz und Nachhaltigkeit – die immer noch nicht ausreichend beworben wird. Während Kunststoffverpackungen die Weltmeere und ihre empfindliche Ökostruktur enorm belasten wird der Werkstoff Blech zu weit über 90 Prozent wieder dem stofflichen Kreislauf zugeführt. Blech hat Zukunft und kann im Hinblick auf die Erhaltung unserer natürlichen Lebensgrundlagen besonders innovativ sein.

Der „halbe“ HUBER ist Bottrop

Das Werk in Bottrop hat nach unserem Kenntnisstand – nach der absehbaren Überwindung der Kurzarbeit – eine Auftrags- und Beschäftigungslage, die einen Personalabbau oder gar eine Schließung in keinem Fall rechtfertigt. Mehr als 40 Prozent des Inland-Umsatzes von Huber wird in Bottrop realisiert. Das Werk Bottrop hat im Jahre 2010 nochmals eine personelle Anpassung in Form von 14 Prozent weniger Personal hinter sich gebracht. In Öhringen sind seit Sommer 2011 etwa 90 Stellen abgebaut worden. Seither sind die Belegschaften an beiden Standorten so ausgedünnt, dass es schwierig wird, termingerecht Kundenaufträge abzuwickeln und notwendige Maschinenbesetzungen einzuhalten. Nur der hohen Identifikation unserer Beschäftigten mit dem Unternehmen ist es zu verdanken, dass es noch keine größeren Verwerfungen gegeben hat.

HUBER Russland – ein Fass ohne Boden

Seit nunmehr sechs Jahren wird das Unternehmen immer mehr „beratergesteuert“ geführt. All diese „Ratschläge“ haben letztendlich zu einer Situation geführt, die heute die Begründung für Werksschließungen und Stellenabbau sind. In diesem Sinne ist es uns erst recht unverständlich, dass ein Standort wie Bottrop geschlossen werden soll, aber das Werk in Russland ausgebaut wird, obwohl es seit seinem Bestehen am „Tropf“ der profitablen Werke Öhringen und Bottrop hängt. Solange die Geschäftsführung von Huber bereit ist, das Werk in Russland mit Arbeit aus Öhringen zu subventionieren und darüber hinaus Verluste in Millionenhöhe ausgleicht, so lange gibt es keinerlei Begründung, das Huber-Werk in Bottrop, das mit Gewinn arbeitet, zu schließen.

Neue Gefahren: weiterer Personalabbau und Kostensenkungsprogramme

Die „Berater“ der Geschäftsführung haben zudem für Öhringen und Bottrop ein Kosteneinsparungsprojekt ins Leben gerufen, das in zehn Teilprojekten ein Kosteneinsparpotential von weit über zwei Millionen Euro zusätzlich bringen soll.
Diesen Projekten, sofern sie realisiert werden, sollen noch einmal weit über 20 Arbeitsplätze in Öhringen zum Opfer fallen. Sollte die zweite Bierfasslinie stillgelegt werden, werden in Öhringen insgesamt mehr als 40 Arbeitsplätze vernichtet.

Kunden sind bisher zufrieden

Wir sind der Meinung, dass mit dieser Politik das Unternehmen nicht „nachhaltig“ abgesichert wird, sondern sich schwer beschädigt. Zumal bislang keinerlei aussichtsreiche Perspektiven der Geschäftsführung für die Themen Beschäftigung und Zukunft vorliegen.
Die positiven Rückmeldungen bei den Kundenbefragungen über Liefertreue, Flexibilität und Qualität werden mit einem weiteren Stellenabbau und der Schließung von Bottrop zunichte gemacht.

Wir setzen auf die Unterstützung aller Beschäftigter in Bottrop und Öhringen

Reibungsverluste und verminderte Flexibilität werden ihren negativen Niederschlag im Werk Öhringen finden. Ob wir dann an dem seitherigen Umsatz festhalten können ist fraglich. Aus Verantwortung für unsere Kolleginnen und Kollegen und aus Verantwortung für den Erhalt des Unternehmens können wir Betriebsräte die geplante Schließung Bottrops und den weiteren Personalabbau in Öhringen nicht mittragen. Wir sind laut Gesetz dazu gehalten, zum Wohle des Unternehmens zu wirken, aber nicht zur Gewinnmehrung der Kapitaleigner. Wir werden unsere ganze Kraft dafür einsetzen, das Werk Bottrop zu erhalten und einen weiteren Stellenabbau in Öhringen zu verhindern. Dabei setzen wir auf die Unterstützung aller Beschäftigten aus Bottrop und Öhringen.

Weitere Informationen und Kontakt:

hhttp://www.schwaebisch-hall.igm.de/news/meldung.html?id=57992

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„Odelo Oberrot: Arbeitsplätze erhalten“ – Belegschaft protestiert gegen Werksschließung

Die Belegschaft von Odelo in Oberrot protestiert gegen die Schließung des Werkes. 130 Arbeitsplätze sind betroffen.

Von der IG Metall Schwäbisch Hall

Klenk Holz AG, AS-Motor und Mahle-Ventiltrieb protestieren mit

100 Kolleginnen und Kollegen der Firma Odelo in Oberrot protestieren bei einer Protestkundgebung der IG Metall mit anschließender Demo gegen die Vernichtung von 130 Arbeitsplätzen in Oberrot. Unterstützt wurden sie von Kolleginnen und Kollegen der Klenk Holz AG, AS-Motor aus Bühlertann und Mahle-Ventiltrieb aus Gaildorf.

Für 24 Monate in Transfergesellschaft

Inzwischen haben sich IG Metall und die Bayraktarlar-Gruppe auf ein Eckpunktepapier verständigt: Die rund 130 Beschäftigten von Odelo in Oberrot sollen nach dem Auslaufen der Mietverträge für die Werkhallen zum 31. Dezember 2014 für die Dauer von 24 Monaten in eine Transfergesellschaft überführt werden. Unterm Strich, so Gerhard Wick von der IG Metall-Bezirksleitung, ist beabsichtigt, dass keine/r Ende 2016 den Gang in die Arbeitslosigkeit antreten muss.

Weitere Informationen und Kontakt:

http://www.schwaebisch-hall.igm.de/news/meldung.html?id=58124

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„Nazis ermordeten mindestens 55 Sinti und Roma aus Hohenlohe“ Vortrag Udo Grausam in Waldenburg

Im März 2013 war es genau 70 Jahre her, dass die Nationalsozialisten hunderte Sinti und Roma aus ganz Baden und Württemberg in Sonderwaggons der Deutschen Reichsbahn nach Auschwitz deportierten, so auch auf der Strecke Heilbronn-Waldenburg-Schwäbisch Hall – darunter auch in Hohenlohe geborene.

Von Hans A. Graef, Kulturkneipe Gleis 1 in Waldenburg

NS-Deportationszug fuhr von Waldenburg nach Auschwitz

Eine Gedenktafel am Gleis1 Bahnhof Waldenburg erinnert seit 2011 an Klara Winter (1941 bis 1944, in Bretzfeld-Schwabbach gebürtig). Dem Kulturforscher Udo Grausam (Tübingen) gebührt der Verdienst, die rassistische Verfolgung der deutschen Zigeuner in Hohenlohe aufgearbeitet zu haben, wie er in der Kulturkneipe darlegte. Aus der Gruppe der Sinti und Roma wurden mindestens 73 in Hohenlohe (das heißt auf dem Gebiet der heute bestehenden drei Landkreise Hohenlohe, Main-Tauber und Schwäbisch Hall) geborene Personen inhaftiert und deportiert. Sie wurden in die nationalsozialistischen Haftstätten und Konzentrationslager verschleppt. Von ihnen sind 55 dort umgekommen oder sie wurden ermordet. 17 Personen haben überlebt und eine Person ist in den Lagern verschollen.

Diskriminierung von Sinti und Roma ist noch weit verbreitet

Gleis1-Kulturvorstand Hans A. Graef wies in seiner Begrüßung auf die historische und moralische Notwendigkeit hin, das Gedenken an diese insgesamt eine halbe Million Menschen umfassende deutsche Opfergruppe endlich in die öffentliche regionale Gedenkkultur aufzunehmen – gerade auch deshalb, weil der Anti-Ziganismus in Europa noch weit verbreitet ist und gegen deren Diskriminierung ein Denk-Mal gesetzt werden müsse. Ein nationales Denkmal wurde erst im Oktober 2012 in Berlin eingeweiht.

In der Adenauer-Ära gab es keine Wiedergutmachung

Udo Grausam konnte als besonderen Gast des Geschichtsabends den Sohn der in Bretzfeld-Bitzfeld gebürtigen Paula Schneck, Herrn Franz D. begrüßen, der nach dem Krieg geboren wurde und dessen sechs ältere Brüder im Zuge der Verfolgung in Polen ums Leben kamen. Herr D. berichtete in seinem berührenden Rückblick über die Biografie seiner Familie und wie noch in der Adenauer-Ära die Anerkennung der Verfolgung und Wiedergutmachung von der bundesdeutschen Verwaltung und demokratischen Gerichten abgelehnt wurden – was erst später korrigiert wurde. Seine Mutter habe nach dem deutschen Martyrium der diskriminierenden NS-Verfolgung auch darunter sehr gelitten.

In neun von 16 Gemeinden des Hohenlohekreises gab es Deportationen von Sinti

Auf dem Gebiet des heutigen Hohenlohekreises waren in neun der heute bestehenden 16 Städte und Gemeinden Menschen geboren worden, die von den Nationalsozialisten als „Zigeuner“ und „Zigeunermischlinge“ inhaftiert und deportiert wurden. Das waren wie bisher festgestellt 25 Menschen, die in 21 Ortschaften geboren worden waren. 15 von ihnen kamen in den Lagern um oder wurden er­mordet, zehn überlebten. Fast alle Akten dieser Verfolgung wurden von den Nazi-Schergen vernichtet oder verbrannten im Krieg. Auf Umwegen fand Udo Grausam in Düsseldorf die Unterlagen auch über die Familie D., die heute in Unterfranken beheimatet ist.

Landkreis Hall: 21 von 24 Deportierten starben

Auf dem Gebiet des heutigen Kreises Schwäbisch Hall wurden damals 24 Sinti geboren, die von den Nazis dann inhaftiert und deportiert wurden. Ihre 22 Geburtsorte liegen heute in 15 der 30 Städte und Gemeinden des Kreises Schwäbisch Hall. Von den 24 Personen kamen 21 ums Leben oder wurden ermordet, drei überlebten. Es gab noch weitere dort geborene Sinti, die aber nicht deportiert wurden, deshalb sind die hier nicht mitgezählt; sie waren aber rassisch verfolgt, weil man ihnen vom Lohn die sogenannte „Sozialausgleichsabgabe“ für Juden und „Zigeuner“ abzog. Diese rassistische Sondersteuer wurde dann nach 1945 bei den sogenannten „Wiedergutmachungsverfahren“ auch tatsächlich am ehesten entschädigt; im Staatsarchiv Ludwigsburg gibt es dazu Entschädigungsakten.

Ab 1936 in Arbeitshäuser und ab 1938 ins KZ verschleppt

Sinti gehörten dazu, wie dezidiert in der verdienstvollen Forchtenberger Schrift „Versperrte Wege, zerstörtes Leben“ (Dezember 2012) von Fritz Roschmann und Werner Beck am Beispiel von Johanna Schneck und Magdalene Reinhardt nachzulesen ist. Die in den bäuerlichen Dorfgesellschaften als Steinschläger, Dienstmägde, Hausierhändler und Musiker eher randständigen Sinti und Roma wurden ab 1936 in Arbeitshäuser und ab 1938 ins KZ Dachau eingewiesen, 1940 ins Generalgouvernement Polen deportiert und ab 1943 ins Vernichtungslager Auschwitz verschleppt. Paula D., geborene Schneck, war Opfer dieser Maßnahmen, ihr Mann Theodor überlebte das KZ Buchenwald. Theodor D. starb 1974, Paula D. 1981. Der Sohn Franz D. erhielt von Udo Grausam eine Kopie der erhaltenen Düsseldorfer Nazi-Akte seiner Mutter Paula D. für die Familienforschung überreicht. Udo Grausam forderte wie die übrigen Besucher, der verfolgten Sinti-Roma, ebenso wie die Gruppe der ermordeten Zwangsarbeiter endlich in das öffentliche Gedenken in Hohenlohe aufzunehmen.

Nachbemerkung von Udo Grausam:

Aufgrund eines Nachgesprächs mit Herrn Franz D., dem Sohn der verfolgten Sintiza Paula D. aus Bitzfeld, korrigiere ich hiermit eine Angabe aus dem Vortrag und aus den beiden Artikeln wie folgt. Nicht drei, sondern sechs Kinder von Paula D. sind im „Generalgouvernement“ umgekommen. Drei von ihnen starben im Ghetto Siedlce an Hungertyphus oder fielen der Gewalt zum Opfer. Ein Sohn starb auf der Flucht zurück nach Deutschland in der Nähe von Traunstein in Bayern an einer auf der Flucht zugezogenen Krankheit. Zuvor waren zwei weitere Brüder im „Generalgouvernement“ umgekommen oder ermordet worden. Von Paula D.s zehn Kindern haben die vier Töchter überlebt. Franz D. kennt seine umgekommenen älteren Brüder mit ihren Sinti-Namen, denn so hat seine Mutter den jüngeren Geschwistern von ihnen erzählt.

Weitere Informationen und Kontakt:

http://www.gleis1.net/index.php?title=kontakt

http://de.wikipedia.org/wiki/Czesław_Trzciński

http://www.vhs-crailsheim.de/Kurse%20Details/fachbereich-FS4d9c36322a587/semester-2-11/kat-CT431d93b94519f/U11160.html

 

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„Umfairteilen – Reichtum besteuern“ – Aktionen auch in Schwäbisch Hall und Heilbronn

Zwei Aktionen zum Aktionstag „Umfairteilen – Reichtum besteuern“ finden am Samstag, 13. April 2013, in der Region Heilbronn-Franken statt. Hohenlohe-ungefiltert veröffentlicht dazu die jeweiligen Kurzinformationen der Aktions-Internetseite.

Zusammengestellt von Ralf Garmatter, Hohenlohe-ungefiltert

Samstag, 13. April 2013, ab 10 Uhr:
Schwäbisch Hall, Milchmarkt vor der Stadtbibliothek, Umfairteilen-Infostand

Neben Flyern, Buttons und Aufklebern dürfen/sollen Passanten/innen die momentane Vermögensverteilung in Deutschland anhand von symbolischen Geldscheinbündeln nachlegen. Anschließend wird die Schätzung mit der tatsächlichen Situation verglichen. (Quelle aktueller Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung). Auf diese Weise erhoffen sich die Veranstalter viele “Aha-Effekte” und anschließend viele Unterzeichner/innen für den Aufruf „Umfairteilen“. Unterschriftenlisten zum bundesweiten Aufruf liegen aus.

Samstag, 13. April 2013, 11 Uhr:
Heilbronn, Fußgängerzone (Fleiner/Sülmer Straße), Aktion Performance Straßenaktion; nähere Informationen: http://www.attac-netzwerk.de/heilbronn

Weitere Informationen im Internet über den Aktionstag „Umfairteilen – Reichtum besteuern“:
Bündnis Umfairteilen – Reichtum besteuern!

www.umfairteilen.de

www.facebook.com/Umfairteilen.Reichtum.Besteuern

www.twitter.com/umfairteilen

Telefon: 030 – 6956-1132

Fax: 030 – 6959-3070

Postanschrift:

Umfairteilen c/o ver.di Bundesverwaltung, Paula-Thiede-Ufer 10, 10179 Berlin

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„Als Behindertenkurheim hat das Adelheidstift in Kirchberg/Jagst keine Zukunft“ – Keinen neuen Träger und keinen Investor gefunden

Auf Einladung der SPD-Bundestagsabgeordneten Annette Sawade fand vor kurzem die lange geplante große Runde in Sachen Zukunft und Nachnutzung des Kirchberger Adelheidstifts in den Räumen des VdK in Stuttgart statt.

Von Annette Sawade, SPD-Bundestagsabgeordnete des Wahlkreises Schwäbisch Hall-Hohenlohe

Erstmals alle Beteiligten an einem Tisch

In ihrer Begrüßung bedankte sich Annette Sawade herzlich für die Gastfreundschaft des VdK, diese Gesprächsrunde in seinen Räumen zu ermöglichen. Zum ersten Mal waren alle Beteiligten an einem Tisch um miteinander zu sprechen und um den aktuellen Sachstand nicht von Dritten oder aus der Presse zu erfahren.

DRK, AOK, VdK, Müttergenesungswerk,  Sozialministerium, Initiative Adelheidstift…

An dem Gespräch nahmen Vertreter des Deutschen Roten Kreuzes, der AOK, des VdK, des Müttergenesungswerks, des Sozialministeriums, der Initiative Adelheidstift, sowie Bürgermeister Stefan Ohr und der Landtagsabgeordnete Nikolaos Sakellariou (SPD) teil.

Bisher keinen Träger gefunden

Das Gespräch fand in sachlicher und konstruktiver Atmosphäre statt. Man tauschte sich zunächst über den aktuellen Stand aus. Dies ergab, dass sich auch nach der Schließung des Adelheidstifts bisher kein Träger gefunden hat, der kurzfristig die erforderlichen Investitionskosten übernimmt und langfristig den Betrieb des Adelheidstiftes mit den bisherigen Aufgaben – Kuraufenthalte für Mütter und Kinder mit teils schwersten Behinderungen – garantiert. Ein Problem dabei sind auch die allgemeinen Rahmenbedingungen, die auch nach einer Neuaufnahme des Betriebs wieder zu strukturellen Defiziten führen würden.

Direkt ans Müttergenesungswerk wenden

Man war sich einig, dass diese Gruppe – Mütter mit ihren behinderten Kindern – alle Unterstützung benötigt und keine Versorgungslücke für sie auftreten darf und nach Angaben der Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Runden Tisches bisher auch nicht aufgetreten ist. Die betroffenen Mütter können sich an ihre Krankenkasse oder an die Beratungsstellen des Müttergenesungswerks wenden (Kontakt: www.muettergenesungswerk.de; Info Telefon: 030/33002929).

Für die Gebäude des Adelheidstifts gibt es einige Interessenten

Als zweiter Punkt wurde die Nachnutzung des Adelheidstifts diskutiert. Es gibt mittlerweile einige Interessenten, mit denen aber noch weitere Gespräche geführt werden müssen.

Größter Respekt gegenüber den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern

Hierzu hat das Sozialministerium seine Unterstützung in moderierender und vermittelnder Rolle angeboten. Durch die vielen Netzwerke und Kontakte des Ministeriums wurde dieses Angebot von allen Seiten begrüßt. Es wurde klargestellt, dass Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen – anders als Krankenhäuser – keiner staatlichen Planung unterliegen. Deshalb kann die Landesregierung auf Trägerentscheidungen in diesem Bereich keinen Einfluss nehmen. Alle Beteiligten brachten auch nochmals ihren größten Respekt gegenüber den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zum Ausdruck. Diese hätten bereits in der Vergangenheit viele Opfer für das Adelheidstift gebracht. Mit einem Sozialplan wurde versucht das Schlimmste abzufedern.

Informationen des Runden Tisches Adelheid, Kirchberg zur aktuellen Entwicklung:

Runder Tisch Adelheid, Kirchberg (Pressemitteilung vom 10. April 2013)

Sehr geehrte Damen und Herren, der „Runde Tisch Adelheid“ Kirchberg lädt am Montag, 22. April 2013, um 19 Uhr in das Landhotel in Kirchberg ein. Wir wollen unsere Aktionen besprechen und eine Bewertung der jetzigen Situation vornehmen. (…) So findet die Aktion einen offiziellen Abschluss.

Für den „Runden Tisch Adelheid“, Monika Hinderer

 

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