„Nazis ermordeten mindestens 55 Sinti und Roma aus Hohenlohe“ Vortrag Udo Grausam in Waldenburg

Im März 2013 war es genau 70 Jahre her, dass die Nationalsozialisten hunderte Sinti und Roma aus ganz Baden und Württemberg in Sonderwaggons der Deutschen Reichsbahn nach Auschwitz deportierten, so auch auf der Strecke Heilbronn-Waldenburg-Schwäbisch Hall – darunter auch in Hohenlohe geborene.

Von Hans A. Graef, Kulturkneipe Gleis 1 in Waldenburg

NS-Deportationszug fuhr von Waldenburg nach Auschwitz

Eine Gedenktafel am Gleis1 Bahnhof Waldenburg erinnert seit 2011 an Klara Winter (1941 bis 1944, in Bretzfeld-Schwabbach gebürtig). Dem Kulturforscher Udo Grausam (Tübingen) gebührt der Verdienst, die rassistische Verfolgung der deutschen Zigeuner in Hohenlohe aufgearbeitet zu haben, wie er in der Kulturkneipe darlegte. Aus der Gruppe der Sinti und Roma wurden mindestens 73 in Hohenlohe (das heißt auf dem Gebiet der heute bestehenden drei Landkreise Hohenlohe, Main-Tauber und Schwäbisch Hall) geborene Personen inhaftiert und deportiert. Sie wurden in die nationalsozialistischen Haftstätten und Konzentrationslager verschleppt. Von ihnen sind 55 dort umgekommen oder sie wurden ermordet. 17 Personen haben überlebt und eine Person ist in den Lagern verschollen.

Diskriminierung von Sinti und Roma ist noch weit verbreitet

Gleis1-Kulturvorstand Hans A. Graef wies in seiner Begrüßung auf die historische und moralische Notwendigkeit hin, das Gedenken an diese insgesamt eine halbe Million Menschen umfassende deutsche Opfergruppe endlich in die öffentliche regionale Gedenkkultur aufzunehmen – gerade auch deshalb, weil der Anti-Ziganismus in Europa noch weit verbreitet ist und gegen deren Diskriminierung ein Denk-Mal gesetzt werden müsse. Ein nationales Denkmal wurde erst im Oktober 2012 in Berlin eingeweiht.

In der Adenauer-Ära gab es keine Wiedergutmachung

Udo Grausam konnte als besonderen Gast des Geschichtsabends den Sohn der in Bretzfeld-Bitzfeld gebürtigen Paula Schneck, Herrn Franz D. begrüßen, der nach dem Krieg geboren wurde und dessen sechs ältere Brüder im Zuge der Verfolgung in Polen ums Leben kamen. Herr D. berichtete in seinem berührenden Rückblick über die Biografie seiner Familie und wie noch in der Adenauer-Ära die Anerkennung der Verfolgung und Wiedergutmachung von der bundesdeutschen Verwaltung und demokratischen Gerichten abgelehnt wurden – was erst später korrigiert wurde. Seine Mutter habe nach dem deutschen Martyrium der diskriminierenden NS-Verfolgung auch darunter sehr gelitten.

In neun von 16 Gemeinden des Hohenlohekreises gab es Deportationen von Sinti

Auf dem Gebiet des heutigen Hohenlohekreises waren in neun der heute bestehenden 16 Städte und Gemeinden Menschen geboren worden, die von den Nationalsozialisten als „Zigeuner“ und „Zigeunermischlinge“ inhaftiert und deportiert wurden. Das waren wie bisher festgestellt 25 Menschen, die in 21 Ortschaften geboren worden waren. 15 von ihnen kamen in den Lagern um oder wurden er­mordet, zehn überlebten. Fast alle Akten dieser Verfolgung wurden von den Nazi-Schergen vernichtet oder verbrannten im Krieg. Auf Umwegen fand Udo Grausam in Düsseldorf die Unterlagen auch über die Familie D., die heute in Unterfranken beheimatet ist.

Landkreis Hall: 21 von 24 Deportierten starben

Auf dem Gebiet des heutigen Kreises Schwäbisch Hall wurden damals 24 Sinti geboren, die von den Nazis dann inhaftiert und deportiert wurden. Ihre 22 Geburtsorte liegen heute in 15 der 30 Städte und Gemeinden des Kreises Schwäbisch Hall. Von den 24 Personen kamen 21 ums Leben oder wurden ermordet, drei überlebten. Es gab noch weitere dort geborene Sinti, die aber nicht deportiert wurden, deshalb sind die hier nicht mitgezählt; sie waren aber rassisch verfolgt, weil man ihnen vom Lohn die sogenannte „Sozialausgleichsabgabe“ für Juden und „Zigeuner“ abzog. Diese rassistische Sondersteuer wurde dann nach 1945 bei den sogenannten „Wiedergutmachungsverfahren“ auch tatsächlich am ehesten entschädigt; im Staatsarchiv Ludwigsburg gibt es dazu Entschädigungsakten.

Ab 1936 in Arbeitshäuser und ab 1938 ins KZ verschleppt

Sinti gehörten dazu, wie dezidiert in der verdienstvollen Forchtenberger Schrift „Versperrte Wege, zerstörtes Leben“ (Dezember 2012) von Fritz Roschmann und Werner Beck am Beispiel von Johanna Schneck und Magdalene Reinhardt nachzulesen ist. Die in den bäuerlichen Dorfgesellschaften als Steinschläger, Dienstmägde, Hausierhändler und Musiker eher randständigen Sinti und Roma wurden ab 1936 in Arbeitshäuser und ab 1938 ins KZ Dachau eingewiesen, 1940 ins Generalgouvernement Polen deportiert und ab 1943 ins Vernichtungslager Auschwitz verschleppt. Paula D., geborene Schneck, war Opfer dieser Maßnahmen, ihr Mann Theodor überlebte das KZ Buchenwald. Theodor D. starb 1974, Paula D. 1981. Der Sohn Franz D. erhielt von Udo Grausam eine Kopie der erhaltenen Düsseldorfer Nazi-Akte seiner Mutter Paula D. für die Familienforschung überreicht. Udo Grausam forderte wie die übrigen Besucher, der verfolgten Sinti-Roma, ebenso wie die Gruppe der ermordeten Zwangsarbeiter endlich in das öffentliche Gedenken in Hohenlohe aufzunehmen.

Nachbemerkung von Udo Grausam:

Aufgrund eines Nachgesprächs mit Herrn Franz D., dem Sohn der verfolgten Sintiza Paula D. aus Bitzfeld, korrigiere ich hiermit eine Angabe aus dem Vortrag und aus den beiden Artikeln wie folgt. Nicht drei, sondern sechs Kinder von Paula D. sind im „Generalgouvernement“ umgekommen. Drei von ihnen starben im Ghetto Siedlce an Hungertyphus oder fielen der Gewalt zum Opfer. Ein Sohn starb auf der Flucht zurück nach Deutschland in der Nähe von Traunstein in Bayern an einer auf der Flucht zugezogenen Krankheit. Zuvor waren zwei weitere Brüder im „Generalgouvernement“ umgekommen oder ermordet worden. Von Paula D.s zehn Kindern haben die vier Töchter überlebt. Franz D. kennt seine umgekommenen älteren Brüder mit ihren Sinti-Namen, denn so hat seine Mutter den jüngeren Geschwistern von ihnen erzählt.

Weitere Informationen und Kontakt:

http://www.gleis1.net/index.php?title=kontakt

http://de.wikipedia.org/wiki/Czesław_Trzciński

http://www.vhs-crailsheim.de/Kurse%20Details/fachbereich-FS4d9c36322a587/semester-2-11/kat-CT431d93b94519f/U11160.html

 

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