Protest gegen Leiharbeit – Beschäftigte der Firma Huber in Öhringen streikten eineinhalb Stunden lang

Ein Stundenlohn von sieben Euro ist für die Huber-Beschäftigten nicht akzeptabel.

Ein Stundenlohn von sieben Euro ist für die Huber-Beschäftigten nicht akzeptabel.

Für eineinhalb Stunden standen vor kurzem bei Huber in Öhringen die Räder still. 200 Kolleginnen und Kollegen der Frühschicht protestierten bei einer Kundgebgung des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) vor dem Werktor gegen Leiharbeit.

Pressemitteilung der IG Metall Schwäbisch Hall

Vorwurf des Betriebsrates: Lohndumping und Profitgier

Zu der Protestversammlung hatte der DGB-Nordwürttemberg aufgerufen, weil bei Huber nach den neuesten Plänen der Geschäftleitung Saisonspitzen statt wie bisher mit befristet Beschäftigten mit Leiharbeitern abgedeckt werden sollen. Der Vorwurf des Betriebsrates: Lohndumping und Profitgier. Dem erteilten die Huber-Beschäftigten mit ihrer Aktion eine klare Absage. Sie wollen weiter für faire Löhne kämpfen, denn wenn im Betrieb Stundenlöhne von 7,50 Euro geduldet werden, sind bald auch an ihre Einkommen gefährdet. DGB-Regionssekretärin Silke Ortwein wirft der Bundesagentur für Arbeit vor, dass sie Arbeitslose in Beschäftigungsverhältnisse zwingt, bei denen sie der Willkür der Arbeitgeber ausgesetzt sind und ein Einkommen haben, von dem sie nicht leben können.

Flugblatt der IG Metall-Vertrauensleute bei der Firma Huber in Öhringen:

Gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Stoppt Leiharbeit bei HUBER!

Letzte Woche noch „… eine HUBER-Familie“, heute: behandelt wie Stiefkinder!

200 Beschäftigte von Huber versammeln sich vor dem Werktor zum Protest gegen Leiharbeit

200 Beschäftigte von Huber versammeln sich vor dem Werktor zum Protest gegen Leiharbeit

Auf der vergangenen Betriebsversammlung wurde noch groß von HUBER als „Familie“ gesprochen. Am darauf folgenden Tag schon platzten die schönen Reden wie Seifenblasen: Die Geschäftsführung, das Personalwesen und die Werkleitung Werk 2 wollen LeiharbeiterInnen als Saisonbeschäftigte einstellen! Mehr Profit statt anständiger Lohn, Billiglöhne für LeiharbeiterInnen erhöhen den Profit. Und das gerade jetzt, wo das Unternehmen und die Besitzer von HUBER durch eine gesellschaftsrechtliche Umwandlung Steuerersparnisse in zweistelliger Millionenhöhe erhalten werden. Die einen füllen sich die Taschen und die anderen arbeiten sich arm. Denn von Leiharbeitslöhnen kann in diesem Land keine/r angemessen leben!! Jede/r 8. LeiharbeiterIn verdient so wenig, dass er/sie auf ergänzende Hartz-IV-Leistungen angewiesen ist. Für einen Hungerlohn von zirka 7,30 Euro pro Stunde (brutto) sollen die LeiharbeiterInnen neben unseren KollegInnen arbeiten, die für die gleiche Arbeit mindestens 12,63 Euro pro Stunde (ohne Prämie und Schichtzulage) erhalten. Das kann kein anständiger Mensch dulden! Sogar FerienarbeiterInnen würden somit mehr verdienen als Familienväter und -mütter! Dieser Skandal muss beendet werden!

Leiharbeit gefährdet alle Arbeitsplätze und unsere Einkommen

Wir können nicht ausschließen, dass die Geschäftsführung bei HUBER mit der beabsichtigten Einstellung von zunächst 7 LeiharbeiterInnen im Werk 2 nicht einen „größeren Plan“ verfolgt. Nämlich Zug um Zug Stammarbeitsplätze durch billige Leiharbeit zu ersetzen. Diese Gefahr ist groß. Übrigens: Leiharbeitsfirmen bieten nicht nur an- und ungelernte ArbeiterInnen an, sondern auch FacharbeiterInnen, kaufmännische Angestellte und Ingenieure!! Es gibt Fälle, wie z.B. bei Recaro in Schwäbisch Hall, wo zuerst über 100 fest angestellte Beschäftigte ihre Kündigung erhalten haben und anschließend ein Großteil dieser Kolleginnen und Kollegen über eine Leiharbeitsfirma wieder eingestellt wurde. Zum Teil auf ihren vorherigen Arbeitsplätzen, aber zu erheblich niedrigeren Stundenlöhnen.

Sklavenlöhne bei der Leiharbeit

Das Gesamteinkommen der Beschäftigten bei den Leihfirmen liegt 30 bis 50 Prozent unter unseren monatlichen Einkommen!! Durch solche „Sklavenlöhne“ erreichten Leiharbeitsfirmen allein 2007 einen Umsatz von 18 Milliarden Euro. Leicht verdiente „Kohle“, wenn die Not der arbeitslosen Menschen auch noch von der Arbeitsagentur dahingehend genutzt wird, dass sie Menschen unter Androhung von Leistungssperren in Leiharbeitsfirmen zwingt!

Hat HUBER das nötig?

Seit vielen Jahren deckt HUBER seine Auftragsspitzen mit befristeten Einstellungen ab. Somit verdienen die „Befristeten“ wenigsten den gleichen Lohn für gleiche Arbeit. Außerdem konnten damit immer arbeitslose Familienmitgliedern von HUBER-Beschäftigten zumindest für einige Monate ein anständiges Beschäftigungsverhältnis finden. Warum soll das nun nicht mehr gehen? Weil es andere Unternehmen auch machen? Das ist kein Grund! Der Lohnanteil bei der BierfassProduktion liegt bei etwa vier Prozent. Selbst beim Einsatz von billigen LeiharbeiterInnen ergeben sich nur unwesentlich bessere Kalkulationen für die Fertigungskosten!

Stoppt Leiharbeit!

Nicht die Menschen, die in Leiharbeit gezwungen werden, sind das Problem sondern die Leiharbeitsfirmen und Geschäftsführer, Personalchefs und Werkleiter, die sich an diesem „Menschenhandel“ bereichern und die Not der Menschen ausnutzen, sind das Problem. Und es sind die politisch Verantwortlichen der CDU, FDP, SPD und GRÜNEN schuld, dass Gesetze wie das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz bewusst verschlechtert wurden. Wendet euch an die ParteienvertreterInnen und fordert, dass sie aktiv werden mit dem Ziel, Leiharbeit zu verbieten.

Der Betriebsrat muss schnellstens handeln!

Wir fordern den Betriebsrat auf, der Leiharbeit nicht zuzustimmen und umgehend Verhandlungen mit dem Arbeitgeber aufzunehmen. Das Ziel ist, dass aus den 82 im Personalwesen vorliegenden Bewerbungen für das Werk 2 die notwendigen Einstellungen erfolgen. Die Geschäftsführung fordern wir auf: Hände weg von der Leiharbeit!  Wer bei Huber arbeitet – das gilt auch für Saisonbeschäftigte – für den/die muss gelten: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit!

Weitere Informationen im Internet bei der IG Metall Schwäbisch Hall: http://www.schwaebisch-hall.igm.de/

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DGB und IG Metall helfen in Schwäbisch Hall bei Fragen zur Betriebs- und Personalratswahl

Die gesetzlich vorgeschriebenen Wahlen der Betriebs- und Personalräte kommen in die „heiße Phase“. Erste Betriebe in der Region Hohenlohe haben die Wahlen erfolgreich abgeschlossen. Aber auch in kleineren Betrieben und Verwaltungen können ab fünf Beschäftigten Betriebs- oder Personalräte gewählt werden.

Information des Deutschen Gewerkschaftsbunds und der IG Metall Schwäbisch Hall

Sprechstunde am Donnerstag, 25. März 2010, in Schwäbisch Hall

Der DGB und die IG Metall bieten für die Neugründung, aber auch bei der Wiederwahl Hilfestellung. Dafür wird am Donnerstag, den 25. März 2010, ab 17 Uhr im Haus der Gewerkschaften, Haller Straße 37 in Schwäbisch Hall-Hessental eine Sprechstunde angeboten. Dieses Beratungsangebot richtet sich auch an Beschäftigte, die nicht Mitglied einer Gewerkschaft sind und ist selbstverständlich vertraulich. Weitere Informationen – nicht nur für Menschen aus dem Metallbereich – bei der IG Metall Schwäbisch Hall unter Telefon 0791/9502840.

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Viele Opfer der Euthanasie-Morde in Grafeneck stammten aus Hohenlohe – Über 50 ehemalige Wohnorte in der Region sind dokumentiert

Ein Fotodokumente in der Sonderausstellung des Freilandmuseums Wackershofen.

Fotodokument eines Euthanasie-Opfers in der Sonderausstellung des Freilandmuseums Wackershofen.

In Grafeneck auf der Schwäbischen Alb (heutiger Landkreis Reutlingen) begann im Jahr 1940 die sogenannte Aktion „T4“. In einem Jahr wurden dort unter nationalsozialistischer Herrschaft 10.654 Menschen mit geistigen Behinderungen oder psychischen Erkrankungen ermordet. Auch 87 Menschen, die zuvor im Diakonie-Krankenhaus in Schwäbisch Hall untergebracht gewesen waren, wurden in Grafeneck ermordet. Die Gedenkstätte Grafeneck hat eine Liste der Orte zusammengestellt, in denen die Mordopfer zuvor gelebt hatten. Auch über 50 Orte  aus den heutigen Landkreisen Schwäbisch Hall und Hohenlohe sind darunter.

Von Ralf Garmatter, Hohenlohe-ungefiltert

Städte und Ortschaften im heutigen Landkreis Schwäbisch Hall aus denen Grafeneck-Opfer stammten:

Bächlingen, Beimbach, Braunsbach, Brettheim, Bühlertann, Crailsheim, Erlenhof-Gaildorf, Eutendorf, Fichtenberg, Gaildorf, Gnadental, Hengstfeld, Herlebach (bei Oberfischach, Gemeinde Obersontheim), Honhardt, Hornberg, Mummelsweiler, Jagstheim, Kirchberg/Jagst, Klopfhof, Langenburg, Michelbach, Michelbach/Heide, Michelbach/Bilz, Michelfeld, Niederwinden, Oberaspach, Obersontheim, Oberspeltach, Obersrot (möglicherweise Oberrot), Oberweiler, Ottenried bei Gaildorf, Rot am See, Schrozberg, Schwäbisch Hall, Steinbach bei Schwäbisch Hall, Tiefenbach, Unterfischach, Untergröningen, Vellberg, Waldtann, Wiesenbach, Wildenstein, Wilhelmsglück

Städte und Ortschaften im heutigen Landkreis Hohenlohe aus denen Grafeneck-Opfer stammten:

Berlichingen, Dörzbach, Forchtenberg, Künzelsau, Kupferzell, Nagelsberg, Neuenstein, Oberkessach, Öhringen, Pfedelbach

Weitere Ortschaften im Bereich der Region Hohenlohe-Franken und den angrenzenden Gebieten aus denen Grafeneck-Opfer stammten:

Aalen, Bopfingen, Creglingen, Edelfingen, Ellenberg, Ellwangen, Finsterlohr, Fornsbach, Grab bei Murrhardt, Gschwend, Heilbronn, Heilbronn-Böckingen, Jagstzell, Ilsfeld, Langenbeutingen, Lauda, Mergentheim, Möckmühl, Murrhardt, Neuler, Oberkochen, Oberlauda, Oberstetten, Rudersberg, Schwabsberg, Stuppach, Sulzbach/Murr, Tauberbischofsheim, Wasseralfingen, Welzheim, Wertheim, Wildentierbach, Willsbach, Wüstenrot

Anmerkung von Hohenlohe-ungefiltert: Die veröffentlichte Liste kann unvollständig sein. Falls eine Ortschaft einem falschen Landkreis zugeordnet wurde, bitte ich um Mitteilung der richtigen Zuordnung an die E-Mail-Adresse redaktion@hohenlohe-ungefiltert.de. Vielen Dank. Die Gedenkstätte Grafeneck hat auch eine Namensliste der 10.654 Ermordeten erstellt, die sie auf Nachfrage zur Einsicht zur Verfügung stellt. Die Liste der Namen und die Liste der Orte sind von der Gedenkstätte Grafeneck bewusst in zwei getrennten Büchern zusammengestellt, damit Unbefugte keine Zuordnung von Namen und Herkunftsorten vornehmen können. Angehörige von Opfern sowie Gemeinde- und Landkreisverwaltungen und andere Behörden erhalten bei der Gedenkstätte Grafeneck auch genauere Informationen über die Opfer.

Dokument eines Schreibens, das im Staatsarchiv Ludwigsburg lagert. In diesem Brief wird der Witwe eines Opfers aus Schrozberg der Tod ihres Mannes mitgeteilt: http://www.landesarchiv-bw.de/stal/grafeneck/grafeneck07a.htm

Zeitungsdokumente über die juristische Aufarbeitung der Grafenecker Krankenmorde nach dem Zweiten Weltkrieg: „Tötung in einer Minute.“
Quellen zur Euthanasie im Staatsarchiv Ludwigsburg http://www.landesarchiv-bw.de/stal/grafeneck/index.htm

Weitere Informationen zu Grafeneck im Internet: http://www.gedenkstaette-grafeneck.de/ // http://de.wikipedia.org/wiki/Tötungsanstalt_Schloss_Grafeneck // http://www.spur-der-erinnerung.de/

Artikel in Hohenlohe-ungefiltert: „Spur der Erinnerung von ehemaliger Krankentötungsanstalt Grafeneck nach Stuttgart – 87 Menschen aus dem DIAK unter den Ermordeten“ https://www.hohenlohe-ungefiltert.de/?p=3998

Sonderausstellung im Freilandmuseum Schwäbisch Hall-Wackershofen: „Eugenik und Euthanasie – Rassenpolitik im Dritten Reich“ vom 21. März 2010 bis 7. November 2010 – Zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstanden Verbände, die sich „Eugenik“, d. h. die gezielte Verbesserung von Erbanlagen durch „Züchtung“ zum Ziel gesetzt hatten. Unter dem nationalsozialistischen Regime wurden diese Ansätze Regierungspolitik. Sie beinhaltete im Wesentlichen die Förderung des als rassisch hochwertig eingestuften Nachwuchses, die zwangsweise Sterilisierung von als rassisch minderwertig angesehenen Menschen und die Ermordung von geistig und/oder körperlich behinderten Erwachsenen und Kindern sowie von psychisch Kranken. Opfer und Täter dieser Politik lassen sich in fast jedem Dorf nachweisen. In der Ausstellung soll den Spuren für den Raum Schwäbisch Hall nachgegangen werden. http://www.wackershofen.de/freilandmuseum/cms/front_content.php?idart=45

Geschichte und Gegenwart der heutigen Gedenkstätte Grafeneck

Der 70. Jahrestag der Beschlagnahmung Grafenecks: 14. Oktober 2009

Von Thomas Stöckle, Leiter der Gedenkstätte Grafeneck

Grafeneck ist ein Ort mit einer ungeheuren Symbolkraft. Seine Geschichte steht für knapp eintausend Jahre deutscher Geschichte. Gleichzeitig symbolisiert das Jahr 1940 – mit der Ermordung von über 10.600 Menschen – einen zivilisatorischen Rückschritt in die Barbarei, einen Zivilisationsbruch. Vorbereitet und eingeleitet wurde dieses Menschheitsverbrechen durch die Beschlagnahme Grafenecks am 14. Oktober 1939.

Der Geschichtsort Grafeneck
Grafeneck blickt auf eine fast tausendjährige Vergangenheit zurück. In der Zeit der Renaissance Mitte des 16. Jahrhunderts trat an die Stelle der mittelalterlichen Burg das Jagdschloss der Herzöge von Württemberg. Im 18. Jahrhundert ließ Herzog Karl Eugen Grafeneck zu einer eindrucksvollen barocken Sommerresidenz erweitern. Das 19. Jahrhundert aber brachte den Niedergang des Schlosses. Grafeneck zerfiel und einzelne Gebäude wurden „auf Abbruch verkauft“. Das Schloss diente schließlich als Forstamt bis es schließlich zu Anfang des 20. Jahrhunderts in Privatbesitz gelangte.

Das Samariterstift Grafeneck
Im Jahr 1928 erwarb die evangelische Samariterstiftung Stuttgart das Schloss und wandelte es in ein Behindertenheim für „krüppelhafte“ Männer um. Kurz nach Beginn des Zweiten Weltkrieges, am 14. Oktober 1939, wurde Grafeneck für „Zwecke des Reichs“ im Auftrag von Berlin durch das Württembergische Innenministerium beschlagnahmt. Vorausgegangen war diesem hoheitlichen Akt des Staates, der sich hierbei auf das am 1. September 1939, also dem Tag des Kriegsbeginns, in Kraft getretene ‚Reichsleistungsgesetz’. Die rechtliche Verfügung, die im Oktober 1939 Stadtpfarrer Fischer, dem Vorstand der Samariterstiftung und ehemaligen Stadtpfarrer der Stiftskirche in Stuttgart zuging, stammte hierbei vom zuständigen Landrat Richard Alber in Münsingen. Grafeneck, so hieß es in dem Schreiben werde ab dem 14. Oktober 1939 für „Zwecke des Reichs“ in Anspruch genommen und sei von der Samariterstiftung zu räumen. Erwähnt wurde ausdrücklich, dass sich dies auf „Insassen und Pflegepersonen“ bezog, während „die gesamte zur Anstalt gehörende Einrichtung sowie die Vorräte“ zurückzulassen waren. Wenige Tage vor dem 14. Oktober war diese ‚Inanspruchnahme’ Pfarrer Fischer auf dem Württembergischen Innenministerium angekündigt worden. Die Grafenecker Heimbewohner kamen in den ersten Kriegsjahren im oberschwäbischen Kloster Reute bei Bad Waldsee, später in der Heil- und Pflegeanstalt Schussenried und im Samariterstift Obersontheim unter. Nicht alle sollten den Krieg überleben, aber keinen der über 100 Bewohner sollte das grausame Schicksal der Ermordung in der Gaskammer von Grafeneck ereilen.

Grafeneck 1940 – Geschichte und Erinnerung

Am 18. Januar 1940 begannen auf dem Gelände des Schlosses Grafeneck die NS-„Euthanasie“-Morde. Es waren damit die ersten reichsweit und damit der Auftakt der so genannten „Aktion T4“, der in Deutschland 1940 und 1941 über 70.000 Menschen aus Heil- und Pflegeanstalten zum Opfer fielen. In Grafeneck wurden 1940 von Mitte Januar bis Mitte Dezember 10.654 Männer, Frauen und Kinder ermordet. aus 48 Behinderteneinrichtungen und psychiatrischen Kliniken. Die Opfer, in der Regel Menschen mit geistiger Behinderung oder psychischer Erkrankung, stammten aus 48 Heil- und Pflegeeinrichtungen des heutigen Baden-Württemberg, Bayern, Hessen und Nordrhein-Westfalen. Nach der Beendigung der Morde im Winter 1940/41 wurde Grafeneck für die „Kinderlandverschickung“, später von der französischen Besatzungsbehörde genutzt und 1946/47 wieder an die Samariterstiftung zurückgegeben. Die bei Kriegsbeginn aus Grafeneck vertriebenen behinderten Menschen, die den Krieg überlebten, zogen erneut ins Schloss ein. Grafeneck ist seither wieder ein von der Samariterstiftung genutzter Ort – Lebensraum, Wohnort und Arbeitsplatz für behinderte sowie psychisch erkrankte Männer und Frauen. Spuren, die an die „Euthanasie“-Morde erinnern, wurden bereits in den 1950er und 1960er Jahren sichtbar: Zwei Urnengräber, ein früher Gedenkort auf dem Friedhof der Einrichtung und schließlich 1982 die erste Texttafel, die an die Verbrechen von 1940 erinnert. Der eigentliche Ort des Mahnens und Gedenkens, eine offene Kapelle, entstand 1990 unter dem Leitgedanken: „Das Gedenken braucht einen Ort“. Die Ergänzung hierzu, ein „Ort der Information“, ist seit Oktober 2005 mit dem Dokumentationszentrum Gedenkstätte Grafeneck geschaffen. Gerade diese Gleichzeitigkeit von Einrichtung und Gedenkstätte lassen Grafeneck nicht nur in Baden-Württemberg, sondern weit darüber hinaus zu einem einzigartigen Ort werden. Dass Erinnerung nicht zum Selbstzweck erstarrt, macht der Besuch von fast 20.000 Besuchern in Grafeneck, darunter viele Angehörige und Verwandte von Opfern, Vertretern von Einrichtungen und Verbänden, von Landkreisen und (Kirchen-) deutlich. Gedenkstättenarbeit in Grafeneck meint nicht zuletzt auch historisch-politische Bildungsarbeit mit heute nahezu 200 Besuchergruppen, darunter vielen Jugendlichen und Schülern. Denn gerade die Verbrechen des NS-Staates machen deutlich, wofür es lohnt, sich in der Gegenwart und Zukunft zu engagieren: für Demokratie und Freiheit, für Menschenrechte und Menschenwürde aller Menschen.

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3000 Menschen fordern: Nicht auf unserem Rücken – Für gute Arbeit und soziale Gerechtigkeit

Mit einer Protestaktion in der Kronprinzstraße in Stuttgart übten Gewerkschaften und soziale Bewegungen am Samstag, 20. März 2010 den Schulterschluss gegen eine Politik, welche die Folgen der Wirtschafts- und Finanzkrise einseitig den Bürgerinnen und Bürgern aufbürdet, während die Verursacher der Wirtschaftskrise nur halbherzig in die Verantwortung genommen werden. Etwa 3000 Teilnehmer kamen zu der Kundgebung.

Pressemitteilung des DGB-Nordwürttemberg

Prinzipien der Sozialstaatlichkeit dürfen nicht untergehen

Der DGB Nordwürttemberg und seine Mitgliedsgewerkschaften hatten gemeinsam mit dem Bündnis „Wir zahlen nicht für eure Krise“, das insgesamt 36 Gruppen, darunter attac, Stuttgart 21-Gegner, Studierende, MigrantInnenorganisationen und Kirchen, zu der Kundgebung aufgerufen. Bernhard Löffler, Regionsvorsitzender des DGB Nordwürttemberg, formulierte in seinem Hauptbeitrag die gemeinsame Sorge und das gemeinsame Ziel: „Wir müssen dafür sorgen, dass Menschen hier in unserem Land nicht untergehen, dass die Prinzipien der Sozialstaatlichkeit nicht untergehen!“

DGB-Jugend Nordwürttemberg sammelte Unterschriften zu jugendpolitischen Forderungen

Gekommen waren viele Menschen aus der gesamten Region Nordwürttemberg, aus Schwäbisch Hall genauso wie aus Heidenheim, Esslingen, Waiblingen, Ludwigsburg oder Tauberbischofsheim. Neben den Beiträgen von Bernhard Löffler und der Podiumsteilnehmerinnen und -Teilnehmer gestalteten die Volkstanzgruppe von DIDF, der Hamburger Rapper Holger Burner und der Alstom-Chor Mannheim den kulturellen Teil der Kundgebung. Eine Aktion der DGB-Jugend Nordwürttemberg, bei der Unterschriften zu jugendpolitischen Forderungen gesammelt und dann der stellvertretenden Präsidentin des Landtages, Christa Vossschulte, am Rande des Jugendlandtages überreicht wurde, flankierte die Kundgebung.

Banken bringen auch solide mittelständische Unternehmen durch Kreditverweigerung in Bedrängnis

Die Kundgebung war der Auftakt für das Protestjahr 2010, in dem sich Aktionen und Kampagnen zahlreicher Organisationen und Bündnisse abzeichnen. Dazu gehört insbesondere die Aktionswoche ab dem 7. Juni 2010 für die Fortführung des Bildungsstreiks, Aktionstage der Gewerkschaftsjugenden zur Ausbildungs- und Übernahmesituation sowie zentrale Großkundgebungen angekündigt sind. Defizite sehen die Organisatoren in vielen gesellschaftlichen Bereichen. Der Erhalt von Arbeitsplätzen ist dabei ein zentraler Punkt. Uwe Meinhardt von der IG Metall Stuttgart zeigte in seinem Beitrag auf, dass in zahlreichen Betrieben Kurzarbeit Beschäftigung sichert – allein in der Region Stuttgart würden damit derzeit Tausende von Arbeitsplätzen gehalten werden. Darüber hinaus müssten aber auch die Banken ihre Geschäftspraxis ändern, die immer noch solide mittelständische Unternehmen durch Kreditverweigerung in Bedrängnis bringen. Und schließlich müssten die dramatischen Auswirkungen der Krise zum Anlass genommen werden, den Strukturwandel, der den Automobil-Cluster in der Region Stuttgart besonders hart trifft, aktiv zu gestalten.

Leih- und Niedriglohnarbeitsplätze sind auf dem Vormarsch

Der Betriebsratsvorsitzende des von Schließung bedrohten Getrag-Standortes in Ludwigsburg, Joachim Plucis, bekräftigte auf der Kundgebung die Bereitschaft der Belegschaft, für ihre Arbeitsplätze zu kämpfen: „Wir werden es nicht zulassen, dass in Ludwigsburg die Lichter ausgehen!“ Dass das Eintreten für Arbeitsplätze auch an qualitative Forderungen geknüpft sein muss, verdeutlichte Milicia Topalowic, Betriebsrätin bei Schlecker. Sie schilderte anhand ihrer Erfahrungen in der Drogeriekette, dass Arbeit zunehmend zu prekären Bedingungen angenommen werden müsse. Dabei sind insbesondere Teilzeit-, befristete sowie Leih- und Niedriglohnarbeitsplätze auf dem Vormarsch. Die Konsequenz dieser Entwicklung ist, dass bei Vielen das Einkommen nicht mehr ausreiche, um den Lebensunterhalt zu bestreiten. Die resultierende Armut treffe insbesondere die Kinder, ziehe sich aber aufgrund fehlender Beitragszahlungen bis ins Alter fort. „Die Welle von Altersarmut, die aufgrund der prekären Arbeitsbedingungen auf uns zukommt, ist besorgniserregend“, so Löffler am Rande der Kundgebung.

Immer mehr Betriebe verzichten auf Auszubildende

Dass insbesondere Jugendliche von den aktuellen Entwicklungen betroffen sind, zeigten am Samstag Dominik Bollinger (ver.di-Jugend Stuttgart) und Christian Thym (IG Metall-Jugend Stuttgart) auf. Angesichts der Krise rückten immer mehr Betriebe von der Ausbildung und der Übernahme nach der Ausbildung ab. Zur Abwendung eines starken Anwachsens der Jugendarbeitslosigkeit müssten deshalb besondere Anstrengungen unternommen werden. Aber auch das Thema prekäre Beschäftigung trifft in hohem Maße junge Menschen: kaum einer fände noch einen unbefristete Stelle – die Biographien würden immer stärker fragmentiert.

Die nächste Finanzblase entsteht schon

Die Rednerinnen und Redner verwiesen darauf, dass auch finanzpolitisch die Weichen falsch gestellt werden. Mit Rettungspaketen für Banken, Steuergeschenken für Hoteliers und Prestigeprojekten wie Stuttgart 21 würden die öffentlichen Haushalte geschröpft – während Bürgerinnen und Bürger mit höheren Gebühren, dem Abbau der öffentlichen Daseinsvorsorge, Personalabbau in den Kommunen und einer Erweiterung des Investitionsstaus rechnen müssen. Dass dies auch große Beschäftigungspolitische Fehlentwicklungen einläutet, zeigte Werner Sauerborn vom ver.di-Landesbezirk auf. Am Beispiel von Stuttgart 21 wies er nach, dass die veranschlagten Summen Investitionen in vielen Bereichen, wie Bildung, öffentliche und nachhaltige Beschäftigung, blockieren. Die öffentlichen Kassen werden weiterhin geplündert, während die Casinos der Finanzmärkte längst wieder Risikofreudige locken und die nächste Blase entstehen lassen.

Bundesregierung betreibt vor allem Klientelpolitik

Dass die Bundesregierung nicht nur in der Krisenbewältigung, sondern auch in anderen Politikfeldern vornehmlich Klientelpolitik betreibt, veranschaulichte Frank Böhringer, Mitglied des Gesamtpersonalrats der AOK Baden-Württemberg. Die Kopfpauschale komme einer Zerschlagung des solidarischen Gesundheitssystems gleich, wenn alle unabhängig von der finanziellen Belastbarkeit den gleichen Beitrag zahlen sollen.

Erhöhter Auslesedruck im Studium – Werbung für das Militär in der Schule

Auch das Bildungssystem steuert in die falsche Richtung, wie neben Bernhard Löffler auch Sidar Demirdögen von der Bildungsstreikbewegung aufzeigten. Studiengebühren sowie die Verschulung der Studiengänge im Rahmen des Bolognaprozesses seien Ausdruck eines weiteren Selektionsdrucks, der die Chancenungleichheit der jungen Generation weiter zementiere. Insbesondere Menschen mit Migrationshintergrund wären von diesem Ausschluss betroffen. In Baden-Württemberg, wo mit dem Festhalten am maroden dreigliedrigen Schulsystem die Bildung der Zukunft verweigert wird, würden nun mit Einführung der Werbung für das Militär staatliche Bildungsinstitutionen endgültig politisch instrumentalisiert.

„Wir stemmen uns mit aller Kraft gegen die gesellschaftliche Entsolidarisierung“

Das gemeinsame Band der beteiligten Gruppen und Organisationen beschrieb Löffler abschließend: „Wir stemmen uns mit aller Kraft gegen die gesellschaftliche Entsolidarisierung und treten dafür ein, dass dies ein Land mit Chancen für junge und alte Menschen, ein Land mit sozialer Gerechtigkeit, mit einem vernünftigen und erfolgreichen Bildungssystem und einer lebenswerten Umwelt wird. Wir wollen ein Land, in dem wir friedlich miteinander leben und arbeiten können! Lasst uns dafür gemeinsam kämpfen!“

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„Endlich Abschalten!“ – 5000 Atomkraftgegner in Neckarwestheim

"Endlich Abschalten!" Neckarwestheim 21.03.2010

"Endlich Abschalten!" forderten etwa 5000 Demonstranten am 21. März 2010 vor dem AKW Neckarwestheim.

Bei der Anti-Atom-Kundgebung „Endlich Abschalten!“ am gestrigen Sonntag, 21. März 2010, waren unter den zirka 5.000 Teilnehmern auch mindestens 100 aus dem Landkreis Schwäbisch Hall. Der Kreisverband von Bündnis 90/Die Grünen sowie das Umweltzentrum Schwäbisch Hall hatten zwei Busse zur Fahrt nach Neckarwestheim organisiert.

Von Oliver Paul, SPD-Ortsvereinsvorsitzender Ilshofen

Nach der Kundgebung vor dem Atomkraftwerk wurde das angeblich längste Anti-Atomkraft-Transparent der Welt mit einer Länge von zirka 1.300 Metern rund um den Kraftwerksbereich aufgestellt.

Fernsehbeitrag des Südwestrundfunks zur Anti-AKW-Demo in Neckarwestheim:

"Endlich Abschalten!" Neckarwestheim 21.03.2010 - Anti-Atom-Transparent 1.300m

Mit einer Länge von etwa 1300 Metern wurde rund um das Atomkraftwerk Neckarwestheim das vermutlich längste Anti-Atomkraft-Transparent der Welt aufgestellt.

http://www.swr.de/bw-aktuell/-/id=98428/did=6157970/pv=video/nid=98428/1tqxlfy/index.html

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Steuersünder Reinhold Würth muss sein „Großes Bundesverdienstkreuz“ vielleicht doch wieder abgeben

Reinhold Würth beim Besuch von Bundespräsident Horst Köhler im Haller Rathaus. FOTO: Garmatter / Januar 2010

Reinhold Würth beim Besuch von Bundespräsident Horst Köhler im Schwäbisch Haller Rathaus. FOTO: Garmatter / November 2009

Der als Steuersünder verurteilte Milliardär Reinhold Würth aus Künzelsau muss sich möglicherweise doch noch auf die Aberkennung seines Großen Verdienstkreuzes der Bundesrepublik Deutschland gefasst machen. Fast zwei Jahre nach dem Urteil des Amtsgerichts Heilbronn wartet das Bundespräsidialamt auf bei den Behörden in Baden-Württemberg angeforderte Unterlagen, wie der Sprecher des Bundespräsidenten am Samstag dem DAPD sagte und damit einen entsprechenden „Spiegel“-Vorabbericht bestätigte.

Gefunden von Ralf Garmatter, Hohenlohe-ungefiltert

Aktueller Artikel der Stuttgarter Zeitung vom 21. März 2010 online nachzulesen:

Steuersünder Würth: Wird Orden doch aberkannt? http://www.stuttgarter-zeitung.de/stz/page/2428046_0_9223_-steuersuender-wuerth-wird-ihm-der-orden-doch-aberkannt-.html

Artikel der Stuttgarter Zeitung vom 8. März 2010 ebenfalls online nachzulesen:

„Eine Frage des Anstands“ Würth soll Orden zurückgeben http://www.stuttgarter-zeitung.de/stz/page/2412310_0_9223_–eine-frage-des-anstands-wuerth-soll-orden-zurueckgeben.html

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Arbeitnehmer sollen strippen – Online-Verfassungsbeschwerde gegen ELENA-Datenspeicherung zum Unterzeichnen

Es spiegelt den Zustand unseres Landes wider, dass wir immer öfter zur Verteidigung unserer Grundrechte zur Verfassungsbeschwerde greifen müssen. Jetzt gibt es – ähnlich wie bei der Verfassungsbeschwerde gegen die Vorratsdatenspeicherung eine Massen-Verfassungsbeschwerde gegen das ELENA-Verfahren (elektronischer Entgeltnachweis), die jede/r unterstützen kann. Die zuvor von Aktivisten vermailte Petition gegen ELENA hat zwar die 50.000 Unterzeichner nicht erreicht, ist aber in der parlamentarischen Prüfung.

Von Jochen Dürr, Landessprecher der AG betrieb & gewerkschaft in der Partei Die LINKE Baden-Württemberg

Frist endet am Donnerstag, 25. März 2010

Das ELENA-Verfahren (elektronischer Entgeltnachweis) ist ein Verfahren, mit dem ab dem 1. Januar 2012 in Deutschland Einkommensnachweise elektronisch – mit Hilfe einer Chipkarte mit integriertem Zertifikat zur Erstellung qualifizierter elektronischer Signaturen – erbracht werden. Die Meldung der Daten durch die Arbeitgeber erfolgt seit dem 1. Januar 2010.

Zum Mitmachen bei der Verfassungsbeschwerde gegen ELENA sind lediglich folgende Schritte auszuführen:

1. Auf https://petition.foebud.org/ELENA die entsprechenden Formulare ausfüllen
2. Anschließend in der erhaltenen E-Mail auf den darin enthaltenen Link klicken.
3. Die vorausgefüllte Vollmacht herunterladen.
4. Die Vollmacht ausdrucken und eigenhändig unterschreiben.
5. Vollmacht per Post sofort an die eingedruckte Adresse senden.

Die Zeit drängt: Letzter Versendetermin ist Donnerstag, 25. März 2010. Später eintreffende Vollmachten können nur noch symbolisch gewertet werden.

Kritik an ELENA (aus dem Internetlexikon Wikipedia)

Das geplante ELENA-Verfahren wird von verschiedenen Datenschützern kritisiert. Die millionenfache Sammlung von Arbeitnehmerdaten bei der Zentralen Speicherstelle sei eine unzulässige Datenspeicherung auf Vorrat, da nicht abzusehen sei, ob die Daten überhaupt jemals benötigt werden. Außerdem würden Arbeitgeber in der Einführungsphase doppelt belastet, da vorerst trotz ELENA-Verfahren noch alle Bescheinigungen zusätzlich erstellt werden müssen.

Streikende werden erfasst

Kritisiert wurde ferner, dass ursprünglich jeder Streikende in dieser Datenbank erfasst worden wäre, egal ob bei einem offiziellen oder „wilden“ Streik (wie beim Opel-Streik). Erfasst würde auch, ob jemand vom Arbeitgeber „ausgesperrt“ wurde. Das Bundesministerium für Arbeit hat hierzu am 5. Januar 2010 mitgeteilt, dass das Verfahren dahingehend geändert worden sei, dass Streikzeiten nicht mehr als solche zu erfassen seien. Ferner sollten durch den ELENA-Beirat im Januar 2010 noch einmal alle zu erhebenden Daten auf ihre zwingende Notwendigkeit hin überprüft werden. Darüber hinaus solle noch im Jahr 2010 den Arbeitnehmervertretern ein gesetzlich verbrieftes Anhörungsrecht eingeräumt werden, wenn über den Inhalt der zu erhebenden Daten entschieden wird.

Arbeitgeber erstellen einen monatlichen Entgeltdatensatz, ohne dass der Arbeitnehmer davon Kenntnis bekommt

Die Arbeitgeber erstellen einen monatlich zu meldenden Entgeltdatensatz, ohne dass der Arbeitnehmer davon Kenntnis bekommt und, wie beim Arbeitszeugnis, einen Einfluss darauf hat. Der Arbeitnehmer wird jedoch über den Versand des Datensatzes informiert und hat nach § 103 SGB IV das Recht, die über ihn gespeicherten Daten einzusehen. In dem Datensatz werden nicht nur Name, Geburtsdatum, Versicherungsnummer, Adresse etc. erfragt, sondern auch Fehlzeiten, Abmahnungen, mögliches „Fehlverhalten“ und nach ursprünglicher Planung auch Streikbeteiligung. Als Begründung wird angegeben, diese Angaben wären für eine Entscheidung über eventuelle Sperrzeiten nötig. Gemäß § 99 SGB IV haben nur die in das Verfahren integrierten abrufenden Stellen Zugriff auf die Daten. Zugriffe von Arbeitgebern oder Finanzbehörden sowie eine Beschlagnahmung der Daten durch eine Staatsanwaltschaft sind explizit ausgeschlossen. Dabei ist zu beachten, dass einige dieser Informationen bereits jetzt von den Arbeitsagenturen in der Bescheinigung zum Arbeitslosengeld abgefragt werden und sich durch ELENA lediglich der Transportweg ändert sowie die Speicherung der Daten nun bei einer zentralen Stelle erfolgt.

Wer kann auf die Daten zurückgreifen?

Einer der gewichtigsten Kritikpunkte ist, dass Ängste bestehen, wer in Zukunft auf die gespeicherten Daten zugreifen kann. Szenarien, dass bei einer Bewerbung die ELENA-Karte vorgelegt werden könnte, haben diese Angst geschürt. Dem steht entgegen, dass im ELENA-Verfahrensgesetz klar definiert ist, dass die Daten nur für die im Gesetz genannten Anwendungsbereiche verwendet werden dürfen und eine Übermittlung, Nutzung oder Beschlagnahme der Daten nach anderen Rechtsvorschriften unzulässig ist. Trotzdem haben diese Bedenken dazu geführt, dass zwei Online-Petitionen gegen ELENA beim Deutschen Bundestag initiiert wurden. Die Zeichnungsfrist ist am 2. März 2010 mit abgelaufen. Die Anzahl der Mitzeichner (27562 bzw. 5901) verpflichtet den Petitionsausschuss nicht, sich öffentlich damit auseinanderzusetzen.

Verfassungsbeschwerde gegen ELENA eingereicht

Nachdem das Urteil zur Vorratsdatenspeicherung verkündet wurde, an dessen Klage sich bereits über 34.000 Betroffene beteiligt hatten, initiierten der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung und der FoeBuD, innerhalb weniger Tage vor Ablauf der Jahresfrist, auch gegen das ELENA-Verfahren eine Massenklage.

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„Günter Wallraff unternimmt eine Expedition in die schöne neue Stuttgarter Arbeitswelt“ – Veranstaltung im Gewerkschaftshaus

Günter Wallraff bei einer Lesung in Linz (Österreich). Fotourheber: "Dein Freund der Baum"

Der Enthüllungsjournalist Günter Wallraff (67) bei einer Lesung in Linz (Österreich). Wallraff ist der bekannteste Undercover-Rechercheur Deutschlands. Fotourheber: "Dein Freund der Baum"

Günter Wallraff hat in seinem neuesten Buch aus der „schönen neuen Arbeitswelt“ berichtet. Seine „Expedition in die neue Arbeitswelt“ geht am Freitag, 26. März 2010, in Stuttgart weiter. Von 16 bis 18 Uhr unternimmt er mit den Besuchern eine Expedition mit „Filmen, Zeugenaussagen und Recherchen aus Stuttgarter Betrieben“ im Gewerkschaftshaus, Großer Saal, Willi-Bleicher-Straße 20, in Stuttgart. Der Eintritt ist frei. Eine Spende für Mobbingopfer ist erwünscht. Ab 19 Uhr liest Günter Wallraff im Gewerkschaftshaus aus seinem Buch „Aus der schönen neuen Arbeitswelt“.

Pressemitteilung der Gewerkschaft ver.di in Stuttgart

Sozialdumping, Gewalt gegen Unkündbare, Ungleichheit vor dem Gesetz

Die fortschreitende Korrosion der Arbeitsbedingungen, Verwerfungen in der wirtschaftlichen und sozialen Landschaft in Deutschland, kritische Auswüchse in der Rechtsanwendung und -entwicklung – das kann doch jederzeit auch in Stuttgarter Betrieben recherchiert werden. Wo stehen wir hier in Stuttgart in der Entwicklung von Sozialdumping, Prekarisierung, Gewalt gegen Unkündbare, Ungleichheit vor dem Gesetz, Ausbeutung und Diskriminierung in den Belegschaften? Wir ziehen gemeinsam mit Günter Wallraff die Stuttgarter Bilanz – und fordern wirksame Veränderungen zum Schutz und im Interesse der Betroffenen.

Veranstaltungsinfo:

Freitag, 26. März 2010
16.00 Uhr (bis gegen 18.00 Uhr)
Gewerkschaftshaus, Großer Saal
Willi-Bleicher-Straße 20, 70174 Stuttgart
Eintritt frei. Eine Spende für Mobbingopfer ist erwünscht.
Veranstaltende:
ver.di-Bezirk Stuttgart
ver.di-Fachbereich Medien, Kunst und Industrie Ortsverein Stuttgart

Aus der schönen neuen Arbeitswelt
Lesung mit Günter Wallraff
Im Anschluss an die Expedition laden wir zur Lesung mit Günter Wallraff ein. Er berichtet über seine letzten „undercover“-Einsätze und liest aus seinem neuen Buch „Aus der schönen neuen Arbeitswelt“.
Freitag, 26. März 2010, 19.00 Uhr
Gewerkschaftshaus
Großer Saal
Willi-Bleicher-Straße 20
70174 Stuttgart
Eintritt frei. Eine Spende für Mobbingopfer ist erwünscht.
Veranstaltende:
ver.di-Bezirk Stuttgart, www.stuttgart.verdi.de
ver.di-Fachbereich Medien, Kunst und Industrie, Ortsverein Stuttgart www.stuttgart.verdi.de/fachbereiche/fb08
Büchergilde Stuttgart http://www.buechergilde.de/veranstaltungen/ortsliste.jsp?ort=Stuttgart

Internetseite von Günter Wallraff: http://www.guenter-wallraff.com/

Biographie von Günter Wallraff auf dessen Internetseite:

Günter Wallraff wurde am 1. Oktober 1942 in Burscheid bei Köln geboren.

Sein Vater arbeitete bei Ford/Köln, seine Mutter stammte aus bürgerlichen Verhältnissen, ihre Eltern besaßen ein Klaviergeschäft.

Nach dem Besuch des Gymnasiums bis zur Mittleren Reife machte er eine Buchhändlerlehre und wurde Buchhändler.

Noch in den 50er Jahren begann er zu schreiben – zunächst als Verfasser lyrischer Gedichte, deren Vorbilder Wolfgang Borchert und expressionistische Dichter waren. Einige veröffentlichte er 1960/61 in der „Flugschrift für Lyrik“.

1963 wurde Günter Wallraff gemustert und zur Bundeswehr eingezogen. Sein Antrag auf Kriegsdienstverweigerung wurde abgelehnt. Da er sich trotzdem beharrlich weigerte, eine Waffe in die Hand zu nehmen, wurde er zur Beobachtung in die psychiatrische Abteilung des Bundeswehrlazaretts Koblenz eingewiesen. Um in einer Umgebung, die ihn für verrückt hielt, überleben zu können, schrieb er ein Tagebuch – auch in der Hoffnung, seine Erfahrungen der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Seine erste, allerdings noch unfreiwillige Rolle, die des Wehrdienstverweigerers und Psychiatrie-Patienten, war für ihn ein Schlüsselerlebnis und bildete den Ausgangspunkt seiner späteren Arbeiten.

Als „abnorme Persönlichkeit“ eingestuft, „für Krieg und Frieden untauglich“, wurde er entlassen. Dieses ärztliche Urteil ist von politischen Gegnern immer wieder aufgegriffen worden, um Günter Wallraff abzuqualifizieren.

Heinrich Böll ermutigte den Verfasser des „Bundeswehr-Tagebuches“, weiterzumachen und seine Erfahrungen niederzuschreiben. Das bestärkte Günter Wallraff in seinem Entschluß, nach seiner Entlassung nicht mehr in den Buchhandel zurückzukehren, sondern die bundesdeutsche Wirklichkeit von innen und von unten kennenzulernen.

Von 1963 bis 1965 arbeitete er in verschiedenen westdeutschen Großbetrieben. Seine Reportagen darüber erschienen zuerst in der Gewerkschaftszeitung „Metall“, 1966 als Buch unter dem Titel ‚Wir brauchen Dich. Als Arbeiter in deutschen Industriebetrieben“. (Taschenbuchausgabe 1970: „Industriereportagen“).

Heinrich Böll charakterisierte Günter Wallraffs Arbeitsmethode sehr treffend in einem Vorwort zur schwedischen Übersetzung der „13 unerwünschten Reportagen“ (1970):

„Er ist kein Reporter im Uberkommenden Sinn, der recherchiert, interviewt und dann seinen Bericht schreibt. Er ist kein Essayist, der sich informiert und dann abstrakt analysiert. Er gehört auch nicht zu den Autoren, die das, was man herablassend die Arbeitswelt zu nennen beliebt, zum Gegenstand von Romanen und Erzählungen macht. (…) Wallraff hat eine andere Methode gewählt, er dringt in die Situation, über die er schreiben möchte, ein, unterwirft sich ihr und teilt seine Erfahrungen und Ermittlungen in einer Sprache mit, die jede ‚Überhöhung‘ vermeidet, sich nicht einmal des Jargons bedient, der ja als poetisch empfunden werden könnte.“

(Heinrich Böll, Günter Wallraffs unerwünschte Reportagen. – In: Christian Linder (Hrsg.), In Sachen Wallraff, Köln 1975, S.9)

Die „Industriereportagen“ machten Günter Wallraff bekannt. Sie brachten ihn mit Schriftstellern der Dortmunder Gruppe 61 zusammen, vor denen er 1965 seine erste Lesung hatte.

1966 war er Mitarbeiter bei der „Hamburger Morgenpost“, ab Herbst bei der satirischen Zeitschrift „Pardon“. Seit 1968 arbeitet er für die Hamburger Zeitschrift „Konkret“.

Im selben Jahr wurde seine „szenische Dokumentation“ zum Grundgesetzartikel 1 unter dem Titel „Nachspiele“ vom westfälischen Landestheater im „jungen forum“ der

Ruhrfestspiele aufgeführt; das Stück vergleicht das Verfassungsgebot – „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ – mit der bundesdeutschen Rechtswirklichkeit.

Im November 1968 wurde Günter Wallraff der Förderpreis des Landes Nordrhein-Westfalen für seine „Industriereportagen“ zugesprochen. Nachdem es zu Protesten gegen diese Verleihung gekommen war, erklärte der damalige Ministerpräsident des Bundeslandes öffentlich, daß man neben der fachlichen Bewertung der Preisträger in Zukunft „auch deren Verwurzelung in der freiheitlich-demokratischen Ordnung“ beachten solle. Gegen diese Einmischung einer staatlichen Instanz in die Belange von Literatur und Kunst protestierten daraufhin zahlreiche bekannte Schriftsteller, darunter auch Heinrich Böll. Günter Wallraff spendete die Preissumme je zur Hälfte an den Rechtshilfefonds der APO und an die Vietnam-Hilfe. Später entschuldigte sich der Ministerpräsident bei ihm.

Da die “Industriereportagen“ auf so großes öffentliches Interesse stießen, wurden in den Chefetagen der betroffenen Unternehmen schon frühzeitig sogenannte „Wallraff-Steckbriefe“ verfaßt, zur Vorwarnung für die Personalbüros anderer Firmen, in die sich Günter Wallraff „einschleichen“ könnte.

Trotz solcher Präventivmaßnahmen gelang es ihm immer wieder, in die „Intimsphäre“ von Wirtschaft und Staat einzudringen, um über skandalöse Arbeits- und Herrschaftsverhältnisse, über undemokratische und unmenschliche Ansichten und Verhaltensweisen von Unternehmern, Managern und Amtsträgern berichten zu können. Dazu schlüpfte er jedesmal in eine fremde Rolle. Für die 1969 erschienenen „13 unerwünschten Reportagen“, zuerst in „Pardon“ und „Konkret“ abgedruckt, war er Alkoholiker in einem Irrenhaus; Obdachloser; ein Student, der ein Zimmer sucht; ein katholischer Fabrikant, der katholische Geistliche befragt, ob es mit dem christlichen Glauben zu vereinbaren sei, Napalm zu produzieren; usw.

Nach Veröffentlichung des Buches wurde ihm der Prozeß wegen Amtsanmaßung gemacht. Um an Informationen über den Aufbau halbmilitärischer Werkschutzeinheiten zu kommen, hatte er sich bei verschiedenen Großbetrieben telefonisch als „Ministerialrat Kröver“ von einem frei erfundenen „Zivilausschuß“ des Bundesinnenministeriums ausgegeben.

In seiner Verteidigungsrede vor dem Frankfurter Schöffengericht am 9.12.1969 berief sich Günter Wallraff auf das Recht der Öffentlichkeit auf Information. Seine Arbeitsmethode habe zum Ziel, „in einer fremden Rolle Sachverhalte aufzudecken, die anders nicht zu erfahren sind“ (zit. nach: Christian Linder (Hrsg.), In Sachen Wallraff, S.28). Zu dem Anklagepunkt der Amtsanmaßung erklärte er:

„Ich wählte das Amt des Mitwissers, um ein Stück weit hinter die Tarnwand von Verschleierung, Dementis und Lügen Einblick nehmen zu können. Die Methode, die ich wählte, war geringfügig im Verhältnis zu den rechtsbeugenden Maßnahmen und illegalen Erprobungen, die ich damit aufdeckte.“ (a.a.O., S.28/29)

Das Gericht sprach Günter Wallraff frei.

1970 erschien die Reportagensammlung „Von einem, der auszog und das Fürchten lernte“ ; sie enthielt auch das „Bundeswehr-Tagebuch“, das zuerst in einer Jugendzeitschrift veröffentlicht worden war.

Im Juni 1970 wurde der „Werkkreis Literatur der Arbeitswelt“ gegründet, als organisatorische und inhaltliche Alternative zur Gruppe 61. Repräsentanten der Dortmunder Gruppe hatten sich immer mehr auf die Produktion von Literatur im engeren Sinne und auf die Geltung herkömmlicher literarischer Qualitätsmaßstäbe verlegt, so daß sich schreibende Arbeiter mehr und mehr ausgeschlossen fühlten. Diese bildeten bald eine eigene Arbeitsgemeinschaft, die sich an der Tradition der Arbeiterkorrespondenten in der Weimarer Republik orientierten. Günter Wallraff unterstützte die Neugruppierung von Anfang an und war auch Gründungsmitglied des „Werkkreises“, der aus der Arbeitsgemeinschaft hervorging. Auf der ersten Tagung in Gelsenkirchen forderte er in einem Grundsatzreferat die entschiedene Hinwendung der Literatur zur gesellschaftlichen Wirklichkeit.

1971 sendete das ZDF einen Fernsehfilm Günter Wallraffs über die Fürsorgeerziehung unter dem Titel „Flucht vor den Heimen“ . Im selben Jahr wurde Wallraff Mitglied im P.E.N.-Club.

1972 veröffentlichte er „Neue Reportagen, Untersuchungen und Lehrbeispiele“, darunter Recherchen über den Wahrheitsgehalt einer“BILD“ -Story und über Praktiken der Managerausbildung sowie den „Melitta-Report“ .

Zunehmend arbeitete Günter Wallraff mit anderen Autoren zusammen. Mit Jens Hagen schrieb er die „Chronik einer Industrieansiedlung“: „Was wollt ihr denn, ihr lebt ja noch“ (1973); zusammen mit Bernt Engelmann seinen ersten Bestseller „Ihr da oben – wir da unten“ (erschienen im selben Jahr). Das letzte Buch entstand aus einer besonderen ‚Arbeitsteilung‘: Engelmann, schon vorher Kenner der „Oberen Zehntausend“, nahm sich „die da oben“ vor und berichtete über deren Ansichten und Lebensgewohnheiten, während Wallraff wieder in verschiedene Rollen „der da unten“ schlüpfte, um herauszufinden, wie die Oberen ihren aufwendigen Lebensstil finanzieren.

1974 entstand das Fernsehspiel „Ermittlungen gegen Unbekannt“ (mit Jürgen Alberts) für das ZDF.

Im Mai des Jahres reiste Günter Wallraff als Mitglied des Solidaritätskomitees für politische Gefangene nach Griechenland. Am 10.5. kettete er sich an einen Laternenmast auf dem Athener Syntagmaplatz an und verteilte Flugblätter, in denen er gegen die Mißachtung der Menschenrechte durch das griechische Militärregime protestierte, speziell die Praktiken willkürlicher Verhaftungen politischer Gegner und deren Folterung anprangerte. Daraufhin wurde er von Geheimpolizisten zusammengeschlagen, verhaftet und im Hauptquartier der Sicherheitspolizei gefoltert. Seine Identität als Deutscher stand zu diesem Zeitpunkt nicht fest: Günter Wallraff hatte vorher alle Hinweise darauf entfernt und auch keine Ausweispapiere dabei, so daß man ihn für einen gewöhnlichen griechischen Oppositionellen hielt.

Erst als man erfuhr, wen man vor sich hatte, ließen die Folterspezialisten von ihm ab. Er wurde zu 14 Monaten Gefängnis verurteilt, im August, nach dem Sturz der Militärjunta, wieder freigelassen.

In Griechenland wurde die Solidaritätsdemonstration für die politisch Inhaftierten als Zeichen der Hoffnung verstanden. In der Bundesrepublik, nachdem ein Film über die Ereignisse auf dem Syntagmaplatz vom Fernsehmagazin „Panorama“ ausgestrahlt worden war, entwickelte sich eine kontroverse Diskussion. So warf man Günter Wallraff vor, er habe mit seiner Aktion vor allem für sich Reklame machen wollen und von der Situation der politischen Gefangenen in Griechenland letztlich abgelenkt. Gleichwohl erreichte er mit seiner Demonstration, daß beim bundesdeutschen Publikum die griechischen Verhältnisse unter einer faschistischen Militärdiktatur schlaglichtartig bewußt wurden.

Für ihn selbst war es eine Möglichkeit, „wieder von ganz unten, in einer Rolle durch und durch etwas zu erleben, was aufgrund der privilegierten Rolle als Autor, als Journalist nicht mehr möglich wäre.“ (a.a.O., S. 58)

1975 veröffentlichte Günter Wallraff seine Erfahrungen, zusammen mit Eckart Spoo, unter dem Titel „Unser Faschismus nebenan. Griechenland gestern – ein Lehrstück für morgen“ (erweiterte Neuauflage 1982).

Ebenfalls 1974 unternahm er einen ersten Rollentest als Gastarbeiter. Ein Film des Westdeutschen Fernsehens dokumentiert, wie er zusammen mit einem türkischen Freund verschiedene Vermieter aufsucht, um ein Zimmer zu bekommen.

1975/76 fand der zweite Versuch statt, Günter Wallraffs Recherchiermethode zu kriminalisieren. Der Kölner Gerling-Konzern, wo Wallraff zwei Monate als Bote gearbeitet hatte (1973; veröffentlicht in „Ihr da oben – wir da unten“ ), warf ihm den Gebrauch falscher Ausweispapiere vor. Auch dieser Prozeß endete mit Freispruch.

Im März 1976 traf Günter Wallraff in Düsseldorf den portugiesischen General Spinola, mit dessen Kreisen er während seines dreimonatigen Portugal-Aufenthaltes (er arbeitete

dort auf einer Landarbeiter-Kooperative mit) zufällig in Kontakt gekommen war, in der Rolle eines Waffen- und Strauß-Unterhändlers. Ihm gelang es so, Spinolas Putschpläne durch Veröffentlichung (im „Stern“ und in „Konkret“ ) zu vereiteln.

(Buchveröffentlichung im selben Jahr, mit Hella Schlumberger, unter dem Titel

„Aufdeckung einer Verschwörung. Die Spinola-Aktion“; Neuveröffentlichung 1982 in:

„Unser Faschismus nebenan. Erfahrungen mit Nato-Partnern“ )

1977 arbeitete Günter Wallraff vier Monate unter dem Decknamen Hans Esser als Reporter in der Hannoveraner BILD-Redaktion und deckte in dem anschließenden Buch „Der Aufmacher. Der Mann, der bei BILD Hans Esser war“ ( 1977) die unverantwortlichen Recherchiermethoden, Verfälschungen und politischen Manipulationen der Boulevardzeitung auf

Die Veröffentlichung dieses Berichts setzte ihn einer beispiellosen Hetz-Kampagne durch BILD und andere Springer-Zeitungen aus. Er wurde öffentlich verleumdet und heimlich bespitzelt, Wanzen wurden in seiner Wohnung gelegt und Telefone abgehört.

Der Springer-Konzern strengte einen Prozeß gegen Wallraff an, zunächst mit dem Ziel, das Buch verbieten zu lassen. Das gelang jedoch nicht; stattdessen erschien „Der Aufmacher“ in veränderten Neuauflagen.

1981 endete die Prozeßkette vor dem Bundesgerichtshof mit einem Erfolg für Günter Wallraff. Das Gericht bescheinigte ihm das Recht, seine Erfahrungen in der BILD-Redaktion zu veröffentlichen, da sich sein Buch mit „gewichtigen Mißständen“ befasse und „Fehlentwicklungen eines Journalismus aufzeige“, an deren Erörterung die Allgemeinheit „in hohem Maße“ interessiert sein müsse. Gegen dieses Urteil legte der Springer-Konzern eine Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht ein. Dessen Grundsatzurteil, das 1983 erging, bestätigte jedoch den Spruch des Bundesgerichtshofs.

Auf den „Aufmacher“ folgte 1979 der Band „Zeugen der Anklage. Die BILDbeschreibung wird fortgesetzt“, in dem Opfer von BILD zu Wort kommen und Zeugen, die über jahrzehntelange Erfahrungen in dem Blatt verfügen. Die Anti-Bild Trilogie schloß 1981 mit dem „BILD-Handbuch. Das BlLD-Handbuch bis zum BILDausfall“. In einem Interview verglich Günter Wallraff seinen Kampf gegen den Pressegiganten mit dem Vorgehen eines Arztes, der sich stufenweise einer Krankheit nähert und Mittel zu ihrer Heilung sucht:

„Der Aufmacher“, das war vergleichbar einer Anamnese, einer Erforschung der Vorgeschichte… „Zeugen der Anklage“, das war die Diagnose. Hier wurde sichtbar, wie weit in das Leben der Menschen in unserem Land BILD hineinwirkt. Das „BILDHandbuch“ geht zur Therapie über.

Neben weiteren Dokumenten, Analysen und Selbsterfahrungsberichten enthält der dritte ‚BILD-Band‘ als Hilfe zur Selbsthilfe eine Reihe von Beispielen, in denen sich Betroffene mit Hilfe des Presserechts erfolgreich gegen den Springer-Konzern wehren konnten.

Bevor Günter Wallraff seine gesammelten BILD-Zeitungen von 15 Jahren endgültig dem Altpapier-Container und damit einem sinnvolleren Zweck überließ, stellte er eine Auswahl von BILD-Schlagzeilen zusammen, die er 1985 als „Günter Wallraffs BILDerbuch“ veröffentlichte.

Zu den Recherchen bei BILD-Hannover 1977 entstand auch die erste längere Filmarbeit, die Jörg Gfrörer besorgte. Der WDR, der den Dokumentarfilm ursprünglich produziert hatte, setzte jedoch eine geplante Ausstrahlung ab, nachdem Gefolgsleute des Springer-Konzerns außerhalb des Pressehauses dagegen Einspruch erhoben hatten. Der BILD-Film – „Informationen aus dem Hinterland“ – kam dann in die Kinos.

1981 entstand für das ZDF der Fernsehfilm „Knoblauch, Kölsch und Edelweiß“, in dem Günter Wallraff sein Wohnviertel, Köln-Ehrenfeld, vorstellte.

In „Nicaragua von innen“ berichtete er 1983 von einem Aufenthalt in diesem Land nach dem Sturz des Somoza-Regimes. Über seine journalistischen, literarischen und politischen Vorbilder legte er 1984 in „Mein Lesebuch“ Rechenschaft ab.

Schon nach Abschluß der Anti-BlLD-Trilogie begann Günter Wallraff, sich auf seine bisher letzte Rolle, die des Türken Ali Levent, vorzubereiten. Genau 11 Jahre nach seinem ersten Anlauf in der Ausländerrolle erlebte er dann bundesdeutsche Wirklichkeit aus einer Perspektive, die Deutschen sonst nicht zugänglich ist, und machte Erfahrungen, die eher an das südafrikanische Apartheitsregime erinnern als an den vielgerühmten demokratischen Rechtsstaat.

In seiner Rolle war er unter anderem Hilfskraft in einer Filiale von McDonald’s, Leiharbeiter auf einer Großbaustelle sowie bei einem Arbeiterverleiher bei Thyssen /Duisburg und Versuchskaninchen bei einem Medikamentenversuch. Er erlebte, wie Türken buchstäblich als „der letzte Dreck“ angesehen und behandelt werden, gebraucht nicht nur als „Lückenbüßer“ der wirtschaftlichen Konjunktur, sondern vor allem als Billigarbeitskräfte für jeden Zweck, für dreckigste und gefährlichste Arbeiten.

Trotz gesundheitlicher Schädigungen, trotz aller Menschenverachtung und Demütigungen, die er zu spüren bekam, erfuhr Günter Wallraff in seiner Ali Levent-Rolle auch Positives, ihn Aufbauendes: die Solidarität und Freundschaft seiner Kollegen. Anders als während seiner Arbeit in er BIL D-Redaktion wo er sich vollständig verleugnen mußte, war er immer auch ein Stück er selbst, auch wenn er seine Identität nicht preisgeben durfte.

Das Echo auf die Veröffentlichung seiner Erfahrungen in dem Buch „Ganz unten“ (Oktober 1985) war unvergleichlich groß. Fernsehen und Presse nahmen sich des Themas Leiharbeit engagiert an und übten dadurch Druck auf Politiker und Unternehmer aus. In Nordrhein-Westfalen haben zahlreiche illegale Leiharbeitsfirmen Besuch vom Staatsanwalt bekommen, entsprechend sind auch gerichtliche Verfahren eingeleitet worden.

Um Ausländern wirksam helfen zu können, richtete Günter Wallraff den Hilfsfonds „Ausländersolidarität“ ein. Für ein in Duisburg geplantes Wohnmodell, in dem Ausländer und Deutsche zusammen leben werden, stiftete er den Großteil seiner Honorare.

Weitere Preise und Auszeichnungen:

1979 Gerrit-Engelke-Literaturpreis der Stadt Hannover

1983 Monismanienpreis / Göteborgs Nation und Universität Uppsala (S)

1984 Carl von Ossietzky-Medaille

1985 Literaturpreis der Menschenrechte (Frankreich) zusammen mit James Baldwin

1987 British Academy Award / of Film and Television Art

1987 Französicher Medienpreis Prix Jean d’Arcy für den Film „Ganz unten“

Weitere Biographien, 2007 in gebundener Form erschienen:

Gottschlich, Jürgen: Der Mann, der Günter Wallraff ist. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2007

Braun, Ina: Günter Wallraff – Leben, Werk, Wirken, Methode. (ISBN 978-3-8260-3542-5) Königshausen + Neumann, Würzburg 2007

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Dubiose Nebengeschäfte: Ärzte als Pillenhändler

Der Arzt soll heilen und nicht verkaufen – so sagt es die Berufsordnung. Dabei geht es nicht zuletzt um Vertrauen. Denn kein Patient soll befürchten müssen, seine Diagnose bekomme er nur, damit der Arzt ihm anschließend die dazu passenden Pillen verkaufen kann. Derartige Geschäfte sind den Medizinern deshalb gesetzlich untersagt. Doch immer mehr findige Ärzte umgehen dieses Gebot.

Gefunden von Axel Wiczorke, Hohenlohe-ungefiltert

Sie deklarieren etwa einen Raum ihrer Praxis als “Praxisparalleles Institut” – ein eigenes Gewerbe, meist geführt auf den Namen des Ehepartners oder einer Arzthelferin. Hier können sie dann in einem Graubereich des Gesetzes Geschäfte machen. Besonders häufig werden Vitaminpräparate verkauft. Mittelchen also, deren Wirksamkeit nicht belegt ist, die durch die Empfehlung des Arztes aber gewissermaßen “veredelt” werden können.

Video:
http://daserste.ndr.de/panorama/media/panorama418.html

Text:
http://daserste.ndr.de/panorama/archiv/2010/panoramaaerzte102.html

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