Viele Opfer der Euthanasie-Morde in Grafeneck stammten aus Hohenlohe – Über 50 ehemalige Wohnorte in der Region sind dokumentiert

Ein Fotodokumente in der Sonderausstellung des Freilandmuseums Wackershofen.

Fotodokument eines Euthanasie-Opfers in der Sonderausstellung des Freilandmuseums Wackershofen.

In Grafeneck auf der Schwäbischen Alb (heutiger Landkreis Reutlingen) begann im Jahr 1940 die sogenannte Aktion „T4“. In einem Jahr wurden dort unter nationalsozialistischer Herrschaft 10.654 Menschen mit geistigen Behinderungen oder psychischen Erkrankungen ermordet. Auch 87 Menschen, die zuvor im Diakonie-Krankenhaus in Schwäbisch Hall untergebracht gewesen waren, wurden in Grafeneck ermordet. Die Gedenkstätte Grafeneck hat eine Liste der Orte zusammengestellt, in denen die Mordopfer zuvor gelebt hatten. Auch über 50 Orte  aus den heutigen Landkreisen Schwäbisch Hall und Hohenlohe sind darunter.

Von Ralf Garmatter, Hohenlohe-ungefiltert

Städte und Ortschaften im heutigen Landkreis Schwäbisch Hall aus denen Grafeneck-Opfer stammten:

Bächlingen, Beimbach, Braunsbach, Brettheim, Bühlertann, Crailsheim, Erlenhof-Gaildorf, Eutendorf, Fichtenberg, Gaildorf, Gnadental, Hengstfeld, Herlebach (bei Oberfischach, Gemeinde Obersontheim), Honhardt, Hornberg, Mummelsweiler, Jagstheim, Kirchberg/Jagst, Klopfhof, Langenburg, Michelbach, Michelbach/Heide, Michelbach/Bilz, Michelfeld, Niederwinden, Oberaspach, Obersontheim, Oberspeltach, Obersrot (möglicherweise Oberrot), Oberweiler, Ottenried bei Gaildorf, Rot am See, Schrozberg, Schwäbisch Hall, Steinbach bei Schwäbisch Hall, Tiefenbach, Unterfischach, Untergröningen, Vellberg, Waldtann, Wiesenbach, Wildenstein, Wilhelmsglück

Städte und Ortschaften im heutigen Landkreis Hohenlohe aus denen Grafeneck-Opfer stammten:

Berlichingen, Dörzbach, Forchtenberg, Künzelsau, Kupferzell, Nagelsberg, Neuenstein, Oberkessach, Öhringen, Pfedelbach

Weitere Ortschaften im Bereich der Region Hohenlohe-Franken und den angrenzenden Gebieten aus denen Grafeneck-Opfer stammten:

Aalen, Bopfingen, Creglingen, Edelfingen, Ellenberg, Ellwangen, Finsterlohr, Fornsbach, Grab bei Murrhardt, Gschwend, Heilbronn, Heilbronn-Böckingen, Jagstzell, Ilsfeld, Langenbeutingen, Lauda, Mergentheim, Möckmühl, Murrhardt, Neuler, Oberkochen, Oberlauda, Oberstetten, Rudersberg, Schwabsberg, Stuppach, Sulzbach/Murr, Tauberbischofsheim, Wasseralfingen, Welzheim, Wertheim, Wildentierbach, Willsbach, Wüstenrot

Anmerkung von Hohenlohe-ungefiltert: Die veröffentlichte Liste kann unvollständig sein. Falls eine Ortschaft einem falschen Landkreis zugeordnet wurde, bitte ich um Mitteilung der richtigen Zuordnung an die E-Mail-Adresse redaktion@hohenlohe-ungefiltert.de. Vielen Dank. Die Gedenkstätte Grafeneck hat auch eine Namensliste der 10.654 Ermordeten erstellt, die sie auf Nachfrage zur Einsicht zur Verfügung stellt. Die Liste der Namen und die Liste der Orte sind von der Gedenkstätte Grafeneck bewusst in zwei getrennten Büchern zusammengestellt, damit Unbefugte keine Zuordnung von Namen und Herkunftsorten vornehmen können. Angehörige von Opfern sowie Gemeinde- und Landkreisverwaltungen und andere Behörden erhalten bei der Gedenkstätte Grafeneck auch genauere Informationen über die Opfer.

Dokument eines Schreibens, das im Staatsarchiv Ludwigsburg lagert. In diesem Brief wird der Witwe eines Opfers aus Schrozberg der Tod ihres Mannes mitgeteilt: http://www.landesarchiv-bw.de/stal/grafeneck/grafeneck07a.htm

Zeitungsdokumente über die juristische Aufarbeitung der Grafenecker Krankenmorde nach dem Zweiten Weltkrieg: „Tötung in einer Minute.“
Quellen zur Euthanasie im Staatsarchiv Ludwigsburg http://www.landesarchiv-bw.de/stal/grafeneck/index.htm

Weitere Informationen zu Grafeneck im Internet: http://www.gedenkstaette-grafeneck.de/ // http://de.wikipedia.org/wiki/Tötungsanstalt_Schloss_Grafeneck // http://www.spur-der-erinnerung.de/

Artikel in Hohenlohe-ungefiltert: „Spur der Erinnerung von ehemaliger Krankentötungsanstalt Grafeneck nach Stuttgart – 87 Menschen aus dem DIAK unter den Ermordeten“ https://www.hohenlohe-ungefiltert.de/?p=3998

Sonderausstellung im Freilandmuseum Schwäbisch Hall-Wackershofen: „Eugenik und Euthanasie – Rassenpolitik im Dritten Reich“ vom 21. März 2010 bis 7. November 2010 – Zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstanden Verbände, die sich „Eugenik“, d. h. die gezielte Verbesserung von Erbanlagen durch „Züchtung“ zum Ziel gesetzt hatten. Unter dem nationalsozialistischen Regime wurden diese Ansätze Regierungspolitik. Sie beinhaltete im Wesentlichen die Förderung des als rassisch hochwertig eingestuften Nachwuchses, die zwangsweise Sterilisierung von als rassisch minderwertig angesehenen Menschen und die Ermordung von geistig und/oder körperlich behinderten Erwachsenen und Kindern sowie von psychisch Kranken. Opfer und Täter dieser Politik lassen sich in fast jedem Dorf nachweisen. In der Ausstellung soll den Spuren für den Raum Schwäbisch Hall nachgegangen werden. http://www.wackershofen.de/freilandmuseum/cms/front_content.php?idart=45

Geschichte und Gegenwart der heutigen Gedenkstätte Grafeneck

Der 70. Jahrestag der Beschlagnahmung Grafenecks: 14. Oktober 2009

Von Thomas Stöckle, Leiter der Gedenkstätte Grafeneck

Grafeneck ist ein Ort mit einer ungeheuren Symbolkraft. Seine Geschichte steht für knapp eintausend Jahre deutscher Geschichte. Gleichzeitig symbolisiert das Jahr 1940 – mit der Ermordung von über 10.600 Menschen – einen zivilisatorischen Rückschritt in die Barbarei, einen Zivilisationsbruch. Vorbereitet und eingeleitet wurde dieses Menschheitsverbrechen durch die Beschlagnahme Grafenecks am 14. Oktober 1939.

Der Geschichtsort Grafeneck
Grafeneck blickt auf eine fast tausendjährige Vergangenheit zurück. In der Zeit der Renaissance Mitte des 16. Jahrhunderts trat an die Stelle der mittelalterlichen Burg das Jagdschloss der Herzöge von Württemberg. Im 18. Jahrhundert ließ Herzog Karl Eugen Grafeneck zu einer eindrucksvollen barocken Sommerresidenz erweitern. Das 19. Jahrhundert aber brachte den Niedergang des Schlosses. Grafeneck zerfiel und einzelne Gebäude wurden „auf Abbruch verkauft“. Das Schloss diente schließlich als Forstamt bis es schließlich zu Anfang des 20. Jahrhunderts in Privatbesitz gelangte.

Das Samariterstift Grafeneck
Im Jahr 1928 erwarb die evangelische Samariterstiftung Stuttgart das Schloss und wandelte es in ein Behindertenheim für „krüppelhafte“ Männer um. Kurz nach Beginn des Zweiten Weltkrieges, am 14. Oktober 1939, wurde Grafeneck für „Zwecke des Reichs“ im Auftrag von Berlin durch das Württembergische Innenministerium beschlagnahmt. Vorausgegangen war diesem hoheitlichen Akt des Staates, der sich hierbei auf das am 1. September 1939, also dem Tag des Kriegsbeginns, in Kraft getretene ‚Reichsleistungsgesetz’. Die rechtliche Verfügung, die im Oktober 1939 Stadtpfarrer Fischer, dem Vorstand der Samariterstiftung und ehemaligen Stadtpfarrer der Stiftskirche in Stuttgart zuging, stammte hierbei vom zuständigen Landrat Richard Alber in Münsingen. Grafeneck, so hieß es in dem Schreiben werde ab dem 14. Oktober 1939 für „Zwecke des Reichs“ in Anspruch genommen und sei von der Samariterstiftung zu räumen. Erwähnt wurde ausdrücklich, dass sich dies auf „Insassen und Pflegepersonen“ bezog, während „die gesamte zur Anstalt gehörende Einrichtung sowie die Vorräte“ zurückzulassen waren. Wenige Tage vor dem 14. Oktober war diese ‚Inanspruchnahme’ Pfarrer Fischer auf dem Württembergischen Innenministerium angekündigt worden. Die Grafenecker Heimbewohner kamen in den ersten Kriegsjahren im oberschwäbischen Kloster Reute bei Bad Waldsee, später in der Heil- und Pflegeanstalt Schussenried und im Samariterstift Obersontheim unter. Nicht alle sollten den Krieg überleben, aber keinen der über 100 Bewohner sollte das grausame Schicksal der Ermordung in der Gaskammer von Grafeneck ereilen.

Grafeneck 1940 – Geschichte und Erinnerung

Am 18. Januar 1940 begannen auf dem Gelände des Schlosses Grafeneck die NS-„Euthanasie“-Morde. Es waren damit die ersten reichsweit und damit der Auftakt der so genannten „Aktion T4“, der in Deutschland 1940 und 1941 über 70.000 Menschen aus Heil- und Pflegeanstalten zum Opfer fielen. In Grafeneck wurden 1940 von Mitte Januar bis Mitte Dezember 10.654 Männer, Frauen und Kinder ermordet. aus 48 Behinderteneinrichtungen und psychiatrischen Kliniken. Die Opfer, in der Regel Menschen mit geistiger Behinderung oder psychischer Erkrankung, stammten aus 48 Heil- und Pflegeeinrichtungen des heutigen Baden-Württemberg, Bayern, Hessen und Nordrhein-Westfalen. Nach der Beendigung der Morde im Winter 1940/41 wurde Grafeneck für die „Kinderlandverschickung“, später von der französischen Besatzungsbehörde genutzt und 1946/47 wieder an die Samariterstiftung zurückgegeben. Die bei Kriegsbeginn aus Grafeneck vertriebenen behinderten Menschen, die den Krieg überlebten, zogen erneut ins Schloss ein. Grafeneck ist seither wieder ein von der Samariterstiftung genutzter Ort – Lebensraum, Wohnort und Arbeitsplatz für behinderte sowie psychisch erkrankte Männer und Frauen. Spuren, die an die „Euthanasie“-Morde erinnern, wurden bereits in den 1950er und 1960er Jahren sichtbar: Zwei Urnengräber, ein früher Gedenkort auf dem Friedhof der Einrichtung und schließlich 1982 die erste Texttafel, die an die Verbrechen von 1940 erinnert. Der eigentliche Ort des Mahnens und Gedenkens, eine offene Kapelle, entstand 1990 unter dem Leitgedanken: „Das Gedenken braucht einen Ort“. Die Ergänzung hierzu, ein „Ort der Information“, ist seit Oktober 2005 mit dem Dokumentationszentrum Gedenkstätte Grafeneck geschaffen. Gerade diese Gleichzeitigkeit von Einrichtung und Gedenkstätte lassen Grafeneck nicht nur in Baden-Württemberg, sondern weit darüber hinaus zu einem einzigartigen Ort werden. Dass Erinnerung nicht zum Selbstzweck erstarrt, macht der Besuch von fast 20.000 Besuchern in Grafeneck, darunter viele Angehörige und Verwandte von Opfern, Vertretern von Einrichtungen und Verbänden, von Landkreisen und (Kirchen-) deutlich. Gedenkstättenarbeit in Grafeneck meint nicht zuletzt auch historisch-politische Bildungsarbeit mit heute nahezu 200 Besuchergruppen, darunter vielen Jugendlichen und Schülern. Denn gerade die Verbrechen des NS-Staates machen deutlich, wofür es lohnt, sich in der Gegenwart und Zukunft zu engagieren: für Demokratie und Freiheit, für Menschenrechte und Menschenwürde aller Menschen.

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