„Gelochte Augenblicke“ – Eine Fortsetzungsgeschichte von Birgit Häbich: Der Episoden dritter Teil

„Gelochte Augenblicke“ – Eine Fortsetzungsgeschichte von Birgit Häbich: Der Episoden dritter Teil. Die geschilderten Handlungen, Personen und Namen sind frei erfunden. Es werden keine realen Namen von Personen angegeben. Etwaige Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Begebenheiten, lebenden oder toten Personen wären rein zufällig, und sind weder gewollt noch beabsichtigt.

Von Birgit Häbich

III Frucht

… Paul Malibo saß am Esstisch und stierte auf die Glasfläche seines mobilen Telefons, der imaginäre Hörer leuchtete dort bei jedem neuen Antippen der gespeicherten Nummer seines Freundes auf. Warum nahm Carl nicht ab? Sie waren doch zum Telefonat miteinander verabredet. Paul war verzweifelt und hegte, seit dem Brief den er gestern im Briefkasten vorfand, nun ernsthafte Gedanken daran sich selbst zu entleiben.

Bären aufgebunden

Wenn Carl ihm jetzt nicht weiterhalf, würde er sich heute Abend eine derartige Dosis von Schlaftabletten und Schmerzmitteln verabreichen, die er nicht überleben würde. Er hatte gezielt alle Verpflichtungen, mit der Begründung, sich über das Wochenende gründlich auszuruhen und endlich einmal lang ausschlafen zu wollen, abgesagt. Für den Anfang der kommenden Woche, kündigte er an, wichtige Termine zu haben. Sogar seine sonst so aufmerksame Schwiegermutter bemerkte seinen Kummer nicht und ließ sich den Bären, den er ihr heute am Vormittag aufgebunden hatte, zwar etwas pikiert, aber dennoch fraglos aufbinden. Sie und die übliche Katanrunde würden eben ohne ihn spielen und die obligatorische Flasche des guten roten Weins würde an diesem Abend ungeöffnet bleiben. Wo Paul sich gern an mehreren gut gefüllten Gläsern am vergorenen Saft labte, bis er, für seinen Begriff, angenehm betrunken war, nippten alle anderen nur andeutungsweise an ihren mager eingeschenkten Gläsern, um weiterhin aus den nicht leer werdenden Kelchen, stetig auf das gegenseitige Wohl anstoßen zu können.

Schwaches Herz

Und sie wäre schuld daran, dass er sich umbringen würde, seine eigene Tochter, so dachte sich Paul das aus. Sie war schuld! Gislène brachte mit ihrem ausschweifenden Lebenswandel immer mehr Schande über ihn. Ihr naiver jugendlicher Leichtsinn wuchs sich, seit sie volljährig war, zu einem ganz und gar exzentrischen Verhalten aus, welches durch nichts mehr einzudämmen war. Sie kam manchmal wochenlang nicht mehr nach Hause, und wenn sie einmal kurz daheim war, grüßte sie ihn nicht, sondern räumte gezielt den Kühlschrank leer und verlangte Geld von ihm. Nach ihren Aufsuchungen fehlten auch sämtliche Weinflaschen, welche Paul an gemütlichen Abenden daheim zu leeren gedachte. Und jetzt dieser Brief. Schriftliche Vorwürfe zu seiner geleisteten Arbeit in Afrika, er konnte es einfach nicht fassen. Wie kam dieses, sein jüngstes Kind, nur auf solche Gedanken? Die Vorwürfe schmerzten ihn, trafen ihn mitten in sein schwaches Herz. Tränen liefen ihm übers Gesicht und er weinte stumm. Was ihn mehr traf, wusste Paul gar nicht so genau – dass seine eigene Tochter ihm sein Versagen vorwarf oder dass sie ein Lotterleben führte, das dieser Tochter, bei seiner Abstammung, einfach nicht gebührt. Sie schämte sich nicht für ihre ständig wechselnden Geliebten bei denen sie immer wieder für einige Wochen unterkam. Sie sandte ihm von hier und da illustre Postkarten, um ihm zu zeigen in welchem Reichtum sie schwelgte und an welchen Stränden sie badete, war bei gut situierten Sportlerinnen zu Gast und reiste in der Weltgeschichte herum.

Elterliches Ehebett

Er würde seinem Leben mit einem Schmerzmittel ein Ende bereiten. Paul hatte sich schon lange darauf vorbereitet und in verschiedenen Apotheken ab und an unauffällig kleine Päckchen Lamaclop besorgt. Mit genug Schlaftabletten dazu wäre er das leidige und endlose Theater los. Als Akademiker wusste er um die langsame Wirkung von diesem Schmerzmittel. Die Leber würde nur langsam und letztlich schmerzlich versagen. Daher brauchte er eine satte Ladung Schlaftabletten, um sich lange und gut genug zu betäuben. Im Rechnen war er noch nie eine Leuchte und hoffte eben, dass die anvisierte Dosis so pi mal Daumen langen würde. Gislène sandte ihm nicht nur Postkarten, manchmal kritzelte sie auch ein paar Zeilen auf ein Papier, das in guten Hotels samt Schreibzeug, auf einem Tisch parat lag. So bekam Paul Briefe von seiner Tochter. Die einzige Art und Weise in der sie sich ihm noch mitteilte, geschah schriftlich. Darin warf sie ihm alles vor, was aus ihrer Sicht falsch an ihm war: „Ich durfte jahrelang nicht alleine in meinem eigenen Zimmer in meinem Bett schlafen, Du hast von mir, nach Mamas Tod, immer verlangt bei Dir im elterlichen Ehebett zu übernachten.“

„Du bist nicht mehr mein Vater“

Im neuesten Brief stand geschrieben: „Du hast Afrikas Frauen schändlichst verraten. In Kenia hat man zwischen 2013 und 2015 alle Mädchen ab zwölf und alle Frauen bis zum neunundvierzigsten Lebensjahr, unter dem Vorwand von Tetanusimpfungen und bei scharfer Polizeiaufsicht unfruchtbar gespritzt. Und das alles geschah mit Hilfe der
Kinderfürsorgeorganisation in der Du jahrelang als Berater tätig warst. Als ich ein kleines Mädchen war, bist Du ständig in allen Ländern Afrikas herumgereist. Du musst davon gewusst haben – warum hast Du das geduldet? Wo ist da Dein Stolz als Afrikaner? Wo ist die globale und universale Menschenwürde von der Du so gern geredet hast? Diese Würde gilt für Frauen wohl nicht? Und Du! Du würdest mich noch heute als Deine Tochter, gegen einen Brautpreis an irgendeinen Deiner >Brüder< verhökern, wie das früher üblich war!“ Als ob das nicht genug wäre, stellte sie abschließend fest: „Du bist nicht mehr mein Vater.“

Gezielt ausrotten

Paul war des Lebens müde. Woher wusste Gislène derart konkret von den Vorgängen in Afrika und von den Taten der Fürsorgeorganisation? Jahrelang las man gar nichts darüber in den Zeitungen. Kaum ein Europäer regte sich darüber auf, als man, ganz offensichtlich, damit begann die afrikanische Bevölkerung im modernen Kleid der gesundheitlichen Vorsorge gezielt auszurotten. Nur ganz wenige Christen vor Ort und in der westlichen Welt setzten sich aktiv dafür ein, diese verwerfliche Tat in Kenia zu beenden. Doch seit Neuestem, seit dieser elenden Karinakrise kam sehr vieles ans Licht, was man gern weiterhin vertuscht hätte. Bedächtig begann Paul Malibo die vielen kleinen Pappschachteln zu öffnen. Nach und nach, drückte er alle verfügbaren Tabletten aus den Plastikverpackungen in eine stabile Metallschüssel. Dann ging er in die Küche und öffnete eine Flasche Wein. Mit schlurfendem Gang und gebeugter Haltung trug er die Flasche, ein Glas und einen zierlichen Mörser ins Wohnzimmer und stellte sie zu der Schüssel auf den Esstisch. Ein kurzer Blick auf sein mobiles Telefon zeigte ihm, dass Carl immer noch kein Lebenszeichen von sich gab …

Fortsetzung folgt.

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