Freiheit statt Vollbeschäftigung – Interview mit Sascha Liebermann, einem der Pioniere der Grundeinkommensbewegung

Sascha Liebermann. FOTO: David Jäger

Sascha Liebermann. FOTO: David Jäger

Zum Thema „Bedingungsloses Grundeinkommen“ führte Hohenlohe-ungefiltert-Mitarbeiter David Jäger im Kirchberger Kino Klappe ein ausführliches Interview mit Sascha Liebermann. Liebermann ist Pionier der Grundeinkommensbewegung und einer ihrer bekanntesten Vertreter. Schon 2003 gründete er zusammen mit vier weiteren Wissenschaftlern die Initiative „Freiheit statt Vollbeschäftigung“.

Interview von David Jäger, Hohenlohe-ungefiltert

Sascha Liebermann: Dissertation über Krise der Arbeitsgesellschaft

Dr. Sascha Liebermann studierte Philosophie bei Jürgen Habermas, Soziologie bei Ulrich Oevermann und Psychoanalyse, in Frankfurt am Main. Nach Abschluss des Philosophiestudiums schrieb er seine Dissertation über „Die Krise der Arbeitsgesellschaft im Bewusstsein deutscher Unternehmensführer. Eine Deutungsmusteranalyse“ im Forschungsschwerpunkt von Ulrich Oevermann. „Freiheit statt Vollbeschäftigung“ ist die erste überregionale Initiative für ein bedingungsloses Grundeinkommen in Deutschland. Sascha Liebermann vertrat die Initiative am Freitag, 24. April 2009 in einer Diskussionsrunde im Kino Klappe in Kirchberg.

Herr Liebermann, wenn sie das bedingungslose Grundeinkommen, mit einem Wort beschreiben müssten. Was würden Sie sagen?

Sascha Liebermann: Freiheit

Wenn Sie einem Laien das bedingungslose Grundeinkommen erklären müssten. Wie wird diese Freiheit geschaffen?
Das Grundeinkommen muss eigentlich im Kopf der Menschen statt finden. Wenn sie ein bedingungsloses Grundeinkommen haben, können Sie natürlich viel freier darüber nachdenken „was wollen sie machen“, „wo wollen sie in ihrem Leben hin“. Es kommt dadurch zu einer ganz anderen Mentalität in der Gesellschaft. Sie sind im Grunde genommen ganz auf sich selbst zurückgeworfen, sich an ihnen selbst zu orientieren was sie wollen. Und sie können die Verantwortung für die Entscheidung, niemandem abgeben. Freiheit ist auch ein Verantwortungsbewusstsein, für einen selbst.

Sie haben Soziologie, Philosophie und Psychoanalyse in Frankfurt am Main studiert. Man merkt sehr stark den Einfluss der Soziologie in ihrem Ansatz – da er doch gesamtgesellschaftlich Elemente vermittelt. Jürgen Habermas und damit die kritische Theorie waren damals in Frankfurt beheimatet. Hat er sie beeinflusst?
Wenn ich sagen müsste, wer mich wirklich beeinflusst hat, war es gar nicht so sehr Habermas – ich würde sagen, Ulrich Oevermann. Er hat mich auch, gar nicht absichtlich, auf die Idee gestoßen mit dem Grundeinkommen.
Die ganzen Beispiele, welche ich auch in meinen Vorträgen aufführe, kommen aus dem Fundus meiner Forschungserfahrung, die mich ebenso stark geprägt hat. Ich habe mir meine Erkenntnis durch Analysen erschlossen und darauf kann ich immer zurückgreifen.

Waren Sie zu Ihrer Studienzeit schon politisch aktiv? Ging es damals, ganz philosophisch, nur um die Erkenntnis oder folgte schon eine Handlung daraus?

Mich hat während der Studienzeit nur interessiert, zu verstehen. Ich habe mich nie politisch engagiert früher. Politisch gedacht ja, aber ich habe mich nie parteipolitisch oder in einer Gruppe engagiert. Ne das mit der Initiative ist das erste Mal.

Woher kam ihr spätes politisches Engagement?

Wir haben ja 2003 angefangen. Und rumort hat das in mir, vielleicht seit 2001. Als damals die Hartz-Gesetze verabschiedet wurden, da war das Gefühl auf einmal da, etwas tun zu wollen. Vielleicht auch aus der Situation, dass wenn sie mal an der Universität arbeiten, und sie sind promoviert, und sehen wie der Betrieb läuft und was so passiert an Reformen. Dann sehen sie wie schwierig es ist, dort ne Dauerstelle zu kriegen. Dann fragen sie sich schon, ja wie könnte ich denn weiterforschen, wenn ich nicht in diesem Betrieb bin. Sie sehen dann diese Abhängigkeit, dass sie eben nicht jederzeit das weiter tun können, was sie möchten.

Sie und vier andere Wissenschaftler haben die Initiative „Freiheit statt Vollbeschäftigung“ gegründet. Was steckt für eine Idee dahinter? Was möchten sie politisch erreichen?

Also direkt eingreifen in den politische Prozess wollen wir gar nicht. Wir haben ja kein Mandat, sind vollkommen unabhängig. Es gibt aber Kontakte in alle Richtungen. Wir haben keine Scheu mit jedem zu diskutieren, egal aus welcher ideologischen Ecke er kommt. Unsere Idee war von Anfang an die öffentliche Diskussion zum Grundeinkommen anzustoßen. Viel mehr zu erwarten wäre auch damals schon unrealistisch gewesen. Aber wenn man von was überzeugt ist, dann macht man es einfach. Uns sind auch keine guten Gegenargumente gegen das Grundeinkommen eingefallen. Die öffentliche Diskussion anzuregen ist uns, nicht nur unserer Initiative, meiner Meinung nach gut gelungen.

Wenn es um die Umsetzung des bedingungslosen Grundeinkommens innerhalb eines politischen Systems geht, verweisen viele die Theorie in die Ecke der Utopien. Wie versuchen sie die großen Zweifel auszuräumen?

Sie können einfach nur immer wieder die Argumente vortragen, beispielsweise in solch einer Diskussion wie hier. Man muss die Möglichkeiten aufzeigen und hoffen dass sich die Leute anstecken lassen, weil sie sehen, welches Potenzial in der Idee steckt. Und das bedingungslose Grundeinkommen in die Ecke des Utopischen zu stellen, ist eigentlich recht kleinbürgerlich. Weil das würde bedeuten, das sie eigentlich über nichts nachdenken dürfen, was weiter ist, wie der Schritt den sie morgen machen. Aber dann sind sie schon tot. Dann sind sie schon gestorben und haben es nicht gemerkt. Wenn sie sich nicht vorstellen können wie das Leben anders sein kann, dann ändert sich nichts.

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Bedingungsloses Grundeinkommen bedeutet „Freiheit“ – Interview mit Ronald Blaschke in der Kirchberger Klappe

Roland Blaschke (Die Linke). FOTO: David Jäger

Ronald Blaschke. FOTO: David Jäger

Um das Thema „Bedingungsloses Grundeinkommen“ ging es am Freitag, 24. April 2009 bei einer Veranstaltung der Partei Die Linke zusammen mit dem Quellhof Mistlau, der Unabhängigen Grüne Liste Kirchberg (UGL) und dem Kino Klappe-Team in Kirchberg. Mit Ronald Blaschke (eingeladen von Die Linke) und Sascha Liebermann stellten sich zwei Experten auf diesem Gebiet der Diskussion mit den rund 60 Besuchern.

Interview von David Jäger, Hohenlohe-ungefiltert

Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Werten geboren

Zur Einführung in das komplexe Thema wurde der Film „Grundeinkommen“ von Enno Schmidt und Daniel Häni gezeigt. Anschließend stellten sich der Soziologe der überparteilichen Initiative „Freiheit statt Vollbeschäftigung“ Sascha Liebermann und Ronald Blaschke, des BAG Grundeinkommen den Fragen des Publikums. Ronald Blaschke ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bundestagsbüro der LINKEN-Abgeordneten Katja Kipping. Er studierte Philosophie und Erziehungswissenschaften und war seit 1995 in der Sozialbewegung und in der politischen Bildung aktiv. Unter anderem publizierte er zur Thematik des Grundeinkommens und hatte ebenso Lehraufträge an Universitäten und Hochschulen zu den Themen Armut, Zukunft der Arbeit, bürgerschaftliches Engagement und Grundeinkommen. Seit 2008 ist er Mitglied im Rat des Netzwerkes Grundeinkommen und seit 1998 Sprecher der Sächsischen Armutskonferenz. Ronald Blaschke versteht sich als Botschafter und Missionar des Themas Grundeinkommen. Aus dem ersten Satz der Menschenrechtsdeklaration „Die Menschen sind frei und gleich an Würde und Werten geboren“ leitet er die Unbedingtheit der Kategorien „Freiheit“ und „Würde“ ab. Somit ist die Absicherung dieser Kategorien bedingungslos zu gewährleisten. Er sieht das bedingungslose Grundeinkommen als globales soziales Recht jedes Menschen ohne Bedürftigkeitskriterium, Bildungsstandbewertung und Herkunft. Blaschke vertritt die These, dass ein bedingungsloses Grundeinkommen ein Schlüssel zu sinnhaftem Leben ist und sieht Bildung als notwendige Voraussetzung, um diese Sinnhaftigkeit erfassen zu können.

Herr Blaschke, wenn sie das bedingungslose Grundeinkommen, mit einem Wort beschreiben müssten. Was würden Sie sagen?

Ronald Blaschke: Freiheit

Wenn Sie einem Laien das bedingungslose Grundeinkommen erklären müssten. Wie wird diese Freiheit geschaffen?

Ich bin nicht mehr materiell abhängig von anderen Menschen, die mir vorschreiben, wie ich mein Leben zu leben habe. Ich bin also von der Existenznot und ihren Ängsten befreit.

Sie sind Mitglied im Rat des Netzwerkes Grundeinkommen. Was steckt für eine Idee dahinter? Was möchten sie politisch erreichen?
Die Zielsetzung ist die Idee des Grundeinkommens in Deutschland zu befördern. Und grundsätzlich ein Grundeinkommen in Deutschland politisch so zu befördern, dass es eben auch umsetzbar ist – dass es Gesetzeslage wird. Gegründet hat sich dieses Netzwerk an dem Tag als in Deutschland die Hartz4-Gesetze endgültig verabschiedet worden sind. Also in Juli 2004. Das Netzwerk ist als Gegenpol zu verstehen.

Welche Unterscheidung machen Sie zwischen Ihrer und der Initiative von Sascha Liebermann?
Herr Liebermann hat kein Modell. Beziehungsweise die Initiative, welche er mitgegründet hat, hat kein eigenes Modell entwickelt. Er steht dem Götz Werner-Modell, welches heute in dem Film von Enno Schmidt und Daniel Häni „Grundeinkommen“, gezeigt wird, relativ offen gegenüber. Kritikpunkte an dem Götz Werner-Modell gibt es drei zentrale: 1. Ein Mehrwertsteuer-finanziertes Grundeinkommen macht einen großen Bogen um alle Vermögensfragen. 2. Es ist substitutiv, d.h. es ersetzt den Lohn in der Höhe des Grundeinkommens. Ein Beispiel: Das Grundeinkommen wäre 2000 Euro hoch, und man würde 1000 Euro verdienen, dann würde man faktisch das Grundeinkommen bekommen und für nichts arbeiten. Würde man 1500 Euro verdienen, so würde man nur noch 500 Euro Lohn bekommen. Und da regt sich in mancher linken Seele ein Protest. Und das ist das einzige Modell in Deutschland, in dem das so ist. Die anderen Modell sind kumulativ. Das bedeutet: Grundeinkommen plus anderes Einkommen oben drauf, ohne dass die ersetzt werden. Es gibt in Deutschland sieben oder acht Grundeinkommensmodelle. Das älteste ist das der unabhängigen Erwerbslosenbewegung.
Der dritte Kritikpunkt wäre, dass das Modell sehr Handelsmarkt-orientiert ist, bezüglich der Mehrwertsteuerfinanzierung. Götz Werner ist Händler, Chef der dm-Kette. Was insofern problematisch ist, weil man behauptet, man braucht kein Finanzamt mehr. Aber Schwarzarbeit und Schwarzhandel muss man verhindern, denn die Mehrwertsteuer ist die einzige Steuer, die dann das Grundeinkommen und den Staat finanziert. Kritiker behaupten, dass so das ganze System zum Kollabieren gebracht werden könnte. Denn es ist schon sehr verlockend, wenn man weiß, dass in dem Preis 50 Prozent Mehrwertsteuer enthalten sind, diese zu umgehen.
Ein vierter Punkt wäre vielleicht noch, dass dieses Modell sozial gestaffelt werden müsste, denn sonst gibt es eine Umverteilung von unten nach oben. Weil das bisherige Steueraufkommen von Menschen mit höherem Einkommen, würde durch die Mehrwertsteuer (alle anderen Steuern würde ja wegfallen), nicht das ersetzen, was höheren Einkommensschichten kaufen und damit in die Mehrwertsteuer hineinpumpen.  Das heißt, höhere Einkommensschichten würden niedriger besteuert als niedrige Einkommen.

Sie haben eine vergleichende Studie zu den verschiedenen Grundeinkommensmodellen entwickelt. Der CDU-Abgeordnete und Ministerpräsident Thüringens, Dieter Althaus, in letzter Zeit durch dessen Skiunfall in den Medien sehr präsent, entwickelte auch ein Modell. Das Modell des Solidarischen Bürgergelds? Was halten Sie von seinem Ansatz?

Also da gibt es mehrere Kritikpunkte. Aber ich muss sagen, dass unabhängig von Parteien, es in allen Grundeinkommensansätze gibt und diskutiert werden. Eine generelle Ablehnung zur Grundeinkommensdebatte ist nur bei der FDP zu spüren. Also prinzipiell ist es gut, dass sich auch ein Mensch in der CDU mit solchen Dingen beschäftigt – mit einem bedingungslosen Transfer der an keine Bedürftigkeitsprüfung oder Sonstigem geknüpft ist.
Aber das Solidarische Bürgergeld von Herrn Althaus, ist extrem zu niedrig. 600 Euro. Das liegt noch unter Hartz4 für einen Alleinstehenden. Also Alleinstehende und Alleinerziehende würden gegenüber Hartz4 richtig Miese machen. Zweitens, wenn es nicht mit einem Mindestlohn verbunden wird, weil es zu niedrig ist. Dann hat es einen klassischen Kombilohneffekt – flächendeckend. Zudem sieht das Modell vor, die kompletten bisherigen Sozialsicherungssysteme, außer die Rentenversicherung, zu ersetzen, statt sie zu ergänzen.

Wenn es um die Umsetzung des bedingungslosen Grundeinkommens innerhalb eines politischen Systems geht, verweisen viele die Theorie in die Ecke der Utopien. Die größte Frage ist die nach der Finanzierung?

Also alle sieben Modelle die in meiner Synopse aufgeführt sind, sind ausgerechnet, dass sie finanzierbar sind. Natürlich vorerst statisch. Dynamisch müsste man dann schauen, wie würde sich das Verhalten der Menschen ändern? Man kann unterscheiden zwischen Ideen, welche eher aus dem „rechten Lager“ stammen. Diese haben meistens kein Interesse an einer Umverteilung, z.B. das Solidarische Bürgergeld, führt eindeutig zu einer Entlastung der oberen Einkommensschichten. Die Linken haben dabei Modelle, die mit verschiedener Besteuerung, höhere Einkommensschichten stärker belasten. Zudem wird bei den Linken das Grundeinkommen mit mehreren Komponenten verbunden. Das bedeutet mit dem Mindestlohn, um Kombilohneffekte zu verhindern. Ebenso wird es mit Arbeitszeitverkürzungsmodellen verbunden. Weil, wenn ich Freiheit sage, meine ich auch Freiheit und da wäre eine Umverteilung von Erwerbsarbeit nicht schlecht. Des weiteren bedeutet ein bedingungsloses Grundeinkommen in linken Kreisen auch einen bedingungslosen Zugang zur Infrastruktur. Das ist zwar keine monetäre Leistung aber eine Bedingung für die Teilhabe als Mensch an der Gesellschaft.

Eine vergleichende Studie verschiedener Grundeinkommensarten von Ronald Blaschke im Internet unter www.grundeinkommen.de/content/uploads/2008/11/vergleich_ge-konzepte.pdf

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