Regionale Medienkritik / 26. Juni 2009: Unterwegs zu Hartz V

Liest sich eigentlich mal jemand beim Hohenloher Tagblatt die ganzen Pressemitteilungen und PR-Artikel durch, bevor er sie in die Zeitung setzt? Aber vielleicht handelt es sich bei „Eine Idee für neue Perspektiven. Konzept Minipreneure: CSU-Mittelstand fördert Initiative gegen Arbeitslosigkeit“ (Kürzel: ibe) ja auch nur um eine Satire – und ich habe es nur nicht verstanden!

Von Axel Wiczorke, Hohenlohe-ungefiltert

Gleich unter der Überschrift ein Foto von Peter Hartz (Jaja, genau der!). Wir lesen:
„Das vom früheren Berater der Bundesregierung, Peter Hartz, initiierte Konzept „Minipreneure“ soll seinen bundesweiten Start in Ansbach haben.“

Abgesehen davon, dass man ein Konzept nicht initiieren kann, höchstens seine Erstellung, wird es im Artikel erst richtig lustig, als es zu der Vorstellung von Peter Hartz kommt:
„Hauptreferent ist der seit der gleichnamigen Sozialreform weithin bekannte Professor Hartz. Hartz selbst hat über mehrere Jahrzehnte eine Vielzahl von Initiativen gegen die Arbeitslosigkeit gestartet.“

Weithin bekannt ist Peter Hartz vor allem durch seine Mitwirkung an vorderster Front in der VW-Affäre um Untreue und Vergünstigungen für Betriebsräte geworden! In deren Folge wurde er im Januar 2007 zu einer zweijährigen Bewährungsstrafe und 576 000 Euro Geldbuße verurteilt. Er räumte ein, den ehemaligen VW-Betriebsratschef Klaus Volkert mit Sonderzahlungen in Millionenhöhe „gekauft“ zu haben.

Hartz1Ansbach sein?
Schon im November vergangenen Jahres hatte Peter Hartz seine Rückkehr in die Arbeitsmarktpolitik geplant. Das ging allerdings gründlich daneben. Die Saarbrücker Arbeitsagentur sagte damals kurzfristig die Vorstellung des von ihm mitentwickelten Konzeptes der Minipreneure (zur Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit) mit der Begründung, die bundesweite Berichterstattung in Vorfeld sei zu negativ gewesen, ab!

Die Rede von Peter Hartz kann inzwischen übrigens hier nachgelesen werden:
http://www.shsfoundation.de/fileadmin/contents/minipreneure/Rede_Ansbach_29_06.pdf

Mehr zu seiner Person und dem VW-Skandal:
http://de.wikipedia.org/wiki/Peter_Hartz

Zur Vorgeschichte der Minipreneure und dem medialen Echo im Vorfeld:
http://www.welt.de/politik/article2790025/Comeback-von-Peter-Hartz-wegen-Kritik-gescheitert.html

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Regionale Medienkritik / 25. Juni 2009: >Twilight< im Hohenloher Tagblatt - öffentliche Diskussion verschlafen

Da will das Hohenloher Tagblatt mal Bis(s) zeigen, widmet eine ganze Seite der Vampir-Tetralogie >Bis(s)< der amerikanischen Autorin Stephenie Meyers, und verbreitet doch nur Platitüden.

Von Axel Wiczorke, Hohenlohe-ungefiltert

Die Krönung ist der Artikel „Das Verlangen nach dem Bis(s)“ (Autorin: Lisa Eiermann): vierspaltig können wir da lesen wem was gefällt, oder auch nicht gefällt und warum. Mehr nicht. Das ist nicht einmal das Niveau einer Schülerzeitung.

Die Bücher, die hierzulande besonders durch die >Twilight<-Verfilmungen bekannt geworden sind (so auch der Titel der amerikanischen Originalausgabe), haben inzwischen zu heftigen Diskussionen geführt. (Das muss der Autorin und dem Hohenloher Tagblatt wohl entgangen sein - aber vielleicht handelt es sich hier ja auch nur um versteckte Werbung für den Carlsen Verlag) Stephenie Meyers, bekennende Mormonin, verbreite – so einer der Vorwürfe – unter dem Deckmantel einer modernen Vampirgeschichte „eine reaktionäre Weltanschauung, die in den USA weit verbreitet ist und sogar staatlich gefördert wird. Die Botschaft: Sex vor der Ehe ist gefährlich. Teenager legen ‚Keuschheits-Gelübde‘ ab. In diesem Ausmaß wäre das in Deutschland undenkbar.“ (Zitat aus dem Aspekte-Beitrag, s.u.)

Weiter Infos zu der Diskussion unter:

http://de.wikipedia.org/wiki/Stephenie_Meyer

http://www.razyboard.com/system/morethread-zdf-beitrag-aspekte-ueber-twilight-bellacullen-1384033-5544103-20.html

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Kommentar zum Rücktritt von Crailsheims Oberbürgermeister Andreas Raab: Er hätte schon vor zwei Jahren nicht mehr für eine zweite Amtszeit kandidieren sollen

Der Crailsheimer Oberbürgermeister Andreas Raab (CDU) hat am vergangenen Donnerstag (25. Juni 2009) viele Menschen mit seinem Rücktritt überrascht. Vorerst ist der 53-Jährige krankgeschrieben. Danach will er die Crailsheimer Stadtverwaltung für einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin zur geordneten Übergabe vorbereiten. Da auch der Erste Bürgermeister Harald Rilk krank ist, hat Baubürgermeister Herbert Holl derzeit das Sagen im Crailsheimer Rathaus. Zehn Jahre lang war Andreas Raab Oberbürgermeister von Crailsheim.

Kommentar von Ralf Garmatter, Hohenlohe-ungefiltert

Raab ist schon seit längerer Zeit dünnhäutig geworden

Schaut man sich das Verhalten von Andreas Raab in der jüngeren Vergangenheit an, erscheint sein Rücktritt nicht mehr ganz so überraschend. Mitarbeiter der Stadtverwaltung und Mitglieder des Crailsheimer Gemeinderats stellten beim Rathauschef schon seit längerer Zeit eine nachlassende Vitalität und Spannkraft fest. Sachliche Kritik und Vorwürfe, die vor Jahren noch am Oberbürgermeister abgeperlt waren, sah er plötzlich als persönliche Angriffe an. Andreas Raab ist dünnhäutig geworden. Dazu beigetragen haben sicher seine chronischen Rückenbeschwerden. Das kann aber nicht der alleinige Grund für eine solch drastische Reaktion sein. Viel Frust hat sich bei Raab in den vergangenen Jahren aufgestaut. Offensichtlich hat er einfach keine Lust mehr. Warum aber ist er dann vor zwei Jahren noch einmal zur Wahl als Crailsheimer OB – seiner zweiten Amtszeit – angetreten? Nach 16 Jahren als Bürgermeister in Laichingen (1980 bis 1996), drei Jahren in der freien Wirtschaft (1996 bis 1999) und damals (1999 bis 2007) schon acht Jahren als Oberbürgermeister von Crailsheim, musste Raab wissen, was im Crailsheimer Rathaus und im dortigen Sitzungssaal des Gemeinderats auf ihn zukommt. Seine Pappenheimer, mit denen er nicht so gut konnte, kannte er nach dieser langen Zeit. Auch der Waffendiebstahl und die Folgen taugen nur bedingt als Kündigungsgrund für solch einen verantwortungsvollen und gut dotierten Posten mit überragender Altersversorgung. Schließlich war es nicht Andreas Raab, der am Tag vor Fronleichnam den Tresor nicht ordnungsgemäß abgeschlossen hatte. Nach den bisherigen Ermittlungen war dies ein Mitarbeiter des Crailsheimer „Ordnungsamts“, was einer gewissen (Namens-)Ironie nicht entbehrt.

Äußerungen zum Waffendiebstahl waren – wenige Monate nach dem Amoklauf von Winnenden – äußerst unglücklich

Dumm waren aber Raabs verharmlosende Äußerungen gegenüber dem Fernsehen und anderen Medien zum Thema Waffendiebstahl in Crailsheim. Wenige Monate nach dem Amoklauf von Winnenden hätte er sich da problembewusster und feinfühliger ausdrücken müssen. Klar, dass die SPD- und die AWV-Fraktion im Gemeinderat von Raabs „…das kann halt mal passieren“ empört ist und eine öffentliche Erklärung und lückenlose Aufklärung des Sachverhalts fordert. Der Imageschaden der Stadt Crailsheim mit dem „Rathaus der offenen Tresortür“ ist immens. Damit hat sich die Stadtverwaltung und insbesondere das Ordnungsamt zum Gespött der Leute in ganz Deutschland gemacht. Warum der Oberbürgermeister versuchte, den Diebstahl von elf Pistolen samt dazugehöriger Munition aus einem ungenügend gesicherten Rathaustresor kleinzureden, ist nicht nachvollziehbar. Oder war es kühles Kalkül? Bereitete er damit seinen Abgang vor? Andreas Raab hätte doch sonst nur zu sagen brauchen: „Das darf nicht vorkommen. – Die Stadtverwaltung Crailsheim wird alles dafür tun, um den Diebstahl lückenlos aufzuklären. Die Verantwortlichen müssen zur Rechenschaft gezogen werden.“ Dass Raab selbst für den Diebstahl verantwortlich sein könnte, ist schon ein bisschen weit her geholt. Von einem Oberbürgermeister kann sicher nicht verlangt werden, dass er alle Türen, Schreibtischschubladen und Tresore in den Gebäuden der Stadtverwaltung nach Dienstschluss persönlich kontrolliert, ob diese auch ordnungsgemäß verschlossen sind.

Enttäuscht können die Menschen sein, die Raab vor zwei Jahren im Amt bestätigten

Enttäuscht sein werden jetzt vor allem diejenigen sein, die Andreas Raab vor zwei Jahren wieder ins Amt des Crailsheimer OBs gewählt haben. Ihre Stimme ist nun nichts mehr wert. Es macht immer einen schlechten Eindruck, wenn ein Kapitän das sinkende Schiff frühzeitig verlässt und die Bergung der Wrackteile seinem Nachfolger oder seiner Nachfolgerin überlässt. Grund zur Enttäuschung haben auch diejenigen Menschen, die Raab bei der Kreistagswahl mit einem überragenden Stimmenergebnis als Stimmenkönig in den Schwäbisch Haller Kreistag gewählt haben. Als Privatier, Pensionär oder Mitarbeiter einer Privatfirma hat sein Wort nicht das große Gewicht im Kreistag wie als Oberbürgermeister der zweitgrößten Stadt im Landkreis Schwäbisch Hall. Raabs Wahlergebnis bei der Kreistagswahl wäre sicher auch schlechter ausgefallen, wenn er nicht als Crailsheimer OB kandidiert hätte.

Stadt Crailsheim muss künftig vier Ex-OBs bezahlen

Grund, sich aufzuregen haben auch all diejenigen Menschen, die sich über hohe Staatskosten und ausufernde Beamtenpensionen beklagen. Die Stadt Crailsheim muss ab dem 1. November 2009 mit Hellmut Zundel, Karl Reu, Georg Schlenvoigt, Andreas Raab und dessen Nachfolger oder Nachfolgerin im Amt nicht weniger als fünf Oberbürgermeister bezahlen (Gehalt oder Pension). Da kommt eine Menge Geld für Männer zusammen, die nicht mehr für die Stadt Crailsheim arbeiten. Nur wenige Berufstätige können es sich finanziell leisten, schon mit 53 Jahren in Rente zu gehen.

Regierungspräsident brachte Crailsheim 2,4 Millionen Euro und bekam eine Kündigung mit auf den Heimweg

Von Raabs Rücktrittsgesuch überrascht gewesen sein dürfte wohl auch Regierungspräsident Johannes Schmalzl am Dienstag, 23. Juni 2009. Schmalzl brachte bei einem Besuch im Crailsheimer Rathaus einen Zuwendungsbescheid in Höhe von 2,4 Millionen Euro mit. Die Mittel stammen aus dem Bundestopf und vom Land. Das Geld sollen laut Regierungspräsidium Stuttgart für die „städtebaulichen Erneuerungsmaßnahme Crailsheim – Westliche Innenstadt in einen Bauabschnitt der energetischen und baulichen Erneuerung des Rathauses fließen“ heißt es in einer Pressemitteilung des RP Stuttgart. Der Regierungspräsident brachte Geld und nahm anschließend Raabs Kündigung mit auf den Heimweg. Die Öffentlichkeit erfuhr erst in der Crailsheimer Gemeinderatssitzung am 25. Juni 2009 von dem geplanten Rücktritt.

Andreas Raab will weiterhin einem Beruf nachgehen

Andreas Raab hat angekündigt, dass er sich mit dann 54 Jahren noch nicht aufs Altenteil setzen will. Er sucht sich einen Job in der freien Wirtschaft und möchte seine Tätigkeit an einer Fachhochschule für öffentliche Verwaltung ausweiten. Die Studentinnen und Studenten hätten aber mehr Achtung und Respekt vor einem Lehrbeauftragten (oder gar künftigen Professor ???) Andreas Raab, wenn er den Bettel in Crailsheim nicht mitten in der heißen Phase der Aufklärung des Waffendiebstahls hingeschmissen hätte. Die Scherben des Desasters müssen jetzt andere zusammenkehren. Nicht zu beneiden ist deshalb Baubürgermeister Herbert Holl, der die Amtsgeschäfte im Crailsheimer Rathaus derzeit kommissarisch führen muss. Denn auch der Erste Bürgermeister Harald Rilk ist krankgeschrieben.

OB scheint schon seit längerer Zeit amtsmüde

Fakt ist, dass sich Andreas Raab schon länger gewünscht hatte, den Chefsessel im Crailsheimer Rathaus zu verlassen. Erinnert sei in diesem Zusammenhang daran, dass er sich im Frühjahr 2008 mit dem Gedanken getragen hatte, bei der Bundestagswahl 2009 als CDU-Kandidat im Wahlkreis Schwäbisch Hall-Hohenlohe anzutreten. Aber noch lange vor der Nominierungskonferenz der regionalen CDU-Kreisverbände im Sommer 2008 beendete Raab seine Gedankenspiele in dieser Richtung. Das ist eigentlich schade gewesen. Denn Raab statt Christian von Stetten als Bundestagsabgeordneter in Berlin wäre für Hohenlohe gewiss ein Gewinn gewesen. Steht Raabs sachliche und nüchterne Arbeitsweise doch im krassen Gegensatz zum „symbolischen Politiker“ und windigen Multi-Geschäftsmann Christian von Stetten.

2008 wurde er schon als möglicher CDU-Kandidat in Hohenlohe für die Bundestagswahl 2009 ins Spiel gebracht

Bei Raabs Beliebtheit und Sachlichkeit wäre davon auszugehen gewesen, dass der Crailsheimer Noch-OB eine parteiinterne Kampfabstimmung gegen den Bundestagsabgeordneten Christian von Stetten gewonnen hätte. Insbesondere deshalb, weil der Bundestagsabgeordnete aus Künzelsau-Schloss Stetten im Frühjahr 2008 wegen ungeklärter hoher Portokosten als Vorsitzender der Mittelstandsvereinigung der CDU Baden-Württemberg (MIT) heftig in der Kritik gestanden hatte. Wegen dieser Angelegenheit kandidierte Christian von Stetten 2008 nicht mehr für den MIT-Landesvorsitz. Von vielen Mitgliedern des MIT-Landesvorstands wäre von Stetten nicht mehr gewählt worden. Sie hatten dem Schlossherrn aus Künzelsau beizeiten signalisiert, dass sie ihn wegen seiner intransparenten eigenmächtigen Arbeitsweise und auch wegen seines mangelnden Einsatzes für den baden-württembergischen Mittelstand nicht mehr an ihrer Spitze haben wollen.

Aus persönlichen Gründen stieg Raab frühzeitig aus dem Kandidatenkarussell aus

Die Vorzeichen für einen parteiinternen Sturz Christian von Stettens als Kandidat für die Bundestagswahl 2009 standen im Frühjahr 2008 gut. Doch damals zog Andreas Raab eine mögliche Kandidatur aus persönlichen Gründen wieder zurück. Reine Spekulation ist dabei, ob Raab Angst vor der eigenen Courage bekam, zu wenig parteiinterne Unterstützung für seine Kandidatur erhielt, ob er aus gesundheitlichen Gründen verzichtete oder von der Spitze der CDU-Bundespartei oder -Landespartei zurückgepfiffen wurde. Es hätte zumindest für die CDU im Wahlkreis Schwäbisch Hall-Hohenlohe gesprochen, wenn sie den unseriösen Multi-Geschäftsmann und faulen Bundestagsabgeordneten (NDR-Politmagazin Panorama) Christian von Stetten abgelöst hätte. Der Crailsheimer OB Raab wäre eine seriöse Alternative zum windigen PR-Menschen Christian von Stetten gewesen. Doch diese Chance hat die CDU vertan. Mit der Folge, dass die Politikverdrossenheit in der Region weiter zunimmt.

Stadträte müssen Zeit zum Nachdenken nutzen

Für die Stadt Crailsheim bleibt nur zu hoffen, dass trotz der negativen Schlagzeilen, in die sich die Stadt selbst gebracht hat, genügend gute Bewerberinnen und Bewerber zur Oberbürgermeisterwahl antreten. Bis zur Wahl von Raabs Nachfolgerin oder Nachfolger können sich die frisch gewählten Crailsheimer Stadträte und auch die Alten Hasen der dortigen Kommunalpolitik Gedanken darüber machen, wie sie in ihrem Gremium gut und effektiv für das Wohl der Stadt Crailsheim und ihrer Bürger arbeiten wollen. Dabei schadet es nicht, konstruktiv mit dem neuen Oberbürgermeister oder der neuen Oberbürgermeisterin zusammenzuarbeiten.

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Solidarisches Handeln im Katastrophenkapitalismus – Eine Handlungsanleitung auch für hohenloher Landwirte

Vandana Shiva

Vandana Shiva ruft zu zivilem Ungehorsam auf.

Eine flammende Rede an alle, denen die Zukunft der Milchbauern, der Bauern und unser aller Zukunft ein Anliegen ist. Die alternative Nobelpreisträgerin Vandana Shiva ruft zu zivilem Ungehorsam auf, wie ihn Gandhi praktizierte, als die Briten 1930 das Salz monopolisieren wollten. Dazu ihre Rede, gehalten 2008 auf einem Kongreß von medico international.

Gefunden und dokumentiert von Manfred Scherrmann, Schwäbisch Hall

„Von Milliardenprofiten und Konzern-Diktatur“

„Unsere Demokratie wird nicht mehr vom Volk bestimmt, sondern von den Konzernen“

medico-Konferenz „Solidarität – heute!“ 2008
Auftaktveranstaltung im Schauspiel Frankfurt (30.5.2008):

Optionen der Veränderung: Solidarisches Handeln im Katastrophenkapitalismus

Rede von Vandana Shiva:

Die Habgier von unternehmerischem Kapitalismus drängt die Menschheit an den Rand und dieser Kapitalismus agiert immer verzweifelter. Mit verzweifelt meine ich, er versucht sich den letzten Tropfen Wasser, den letzten Quadratzentimeter Land der Kleinbauern in Indien, den letzten Krümel Saatgut, den wir produziert haben, anzueignen. Und sogar das letzte bisschen Luft will er besitzen. Ich denke, dass eine der größten Herausforderungen für Solidarität in diesen Zeiten der Umgang mit den Erfindungen und Konstrukten ist, die der Kapitalismus schafft, um uns, unsere Welt und damit unser Denken zu beherrschen. Ich komme aus Indien, unser Land wurde viele Jahre von der EAST INDIA COMPANY, eine der ersten Kapitalgesellschaften überhaupt, beherrscht. 1857 hatten wir unsere erste Unabhängigkeitsbewegung. Die britische Geschichtsschreibung nennt es Sepoy Mutany, für unsere Geschichtsschreibung ist es die erste Bewegung für Unabhängigkeit, sie war das Ende der Herrschaft durch das Company Rule der EAST INDIA COMPANY. Aber die Menschen in Indien sind sich darüber bewusst, dass die Herrschaft durch Konzerne und damit Company Rule, zurück ist. Damals hatten wir eine East India Company, jetzt haben wir Saatguthersteller, Pharmamultis und chemische und biogenetische Bigplayer, die unser Land regieren. Meine Arbeit wurde inspiriert aus den Kämpfen gegen die großen Pharmakonzerne, aus denen jetzt Gentech-Konzerne geworden sind.

Diktatur der Konzerne

Zur Jahrhundertwende zeichnete sich ab, dass Gesundheitswesen und Lebensmittelversorgung von fünf Konzernen bestimmt sein würden, das war für mich Diktatur und keine Wirtschaftsdemokratie. Ein Wandlungsprozess hat stattgefunden, weg von einer Politik aus dem Volk, für das Volk, durch das Volk, hin zu einer Politik aus den Konzernen, für die Konzerne, durch die Konzerne. Die Solidarität in der heutigen Welt bedeutet mit dieser Herrschaft der Konzerne umzugehen. Wenn wir darüber nicht sprechen, werden wir niemals in der Lage sein, den nächsten Schritt auf dem Weg zur Verteidigung unserer Freiheiten und unserer Befreiung zu bestimmen. Weil sie so viele Limousinen, Mercedes und BMW in diesem Land verkauft haben, müssen sie die letzten Reste Stahl und Aluminium abbauen. Dieses letzte Stadium unternehmerischer Habgier richtet sich direkt gegen die Rechte der Armen auf Überleben.

Keine Privatisierungen!

Teile dieses Angriffs finden indirekt statt, aber ein großer Teil ist direkt, sie nehmen sich einfach die gemeinsamen Güter, die Commons, die Basis sind für Leben und Existenz der Menschen und machen daraus Unternehmenseigentum. Nehmen wir die Sektoren Medizin und Saatgut: Die Auswirkungen durch die Regulierungen der WTO und die Vereinbarungen über geistiges Eigentum lassen die Konzerne nicht eher ruhen bis sie jedes System auf diesem Planeten monopolisiert haben. Ich arbeite für die Freiheit, für das Recht der Bauern, Zugriff auf Saatgut zu haben, dafür, dass wir pharmazeutische Produkte selbst produzieren könne, die dann 10.000 Rupien kosten anstatt den internationalen Unternehmen 100.000 Rupien für dasselbe Produkt zu bezahlen. Wir befinden uns mitten in einer Lebensmittelkrise. Die Financial Times Today und das Wall Street Journal sprechen von einem neuen Plan der Weltbank. Aber der neue Plan der Weltbank ist der alte Plan der Weltbank, der diese Ernährungskrise in erster Linie verursacht hat. Jetzt wollen sie unsere Streuern dazu verwenden, weiteres genetisch verändertes Saatgut, weitere Düngemittel zu subventionieren, die immer schneller im Süden eingesetzt werden sollen. Und natürlich werden auch Suez, Vivendi und RWE subventioniert, die dabei sind jeden Tropfen Wasser zu privatisieren. Pläne für alle Sektoren wurden ausgearbeitet, sie wissen was sie wollen. Jeder Bauer muss jedes Jahr für sein Saatgut Lizenzgebühren bezahlen, das ist ein Billionen Dollar Markt. Sie haben ihre Gewinne schon definiert, deshalb werden sie jede Form der Einschüchterung und des Terrors nutzen, um die Bauern zu zwingen ihre Freiheit aufzugeben.

Milliardenprofite der Konzerne – 200.000 indische Bauern begingen Selbstmord

Ich erinnere mich vor ein paar Jahren, es muss 1996 gewesen sein, in Leipzig stand ich mit einem deutschen Bauern, Josef Albrecht, in einer Kirche. Ein deutscher Bauer, der selbst Saatgut hergestellt und es mit seinen Nachbarn geteilt hatte. Er wurde verklagt. Die Konzerne wollen, dass alle Bauern jedes Jahr Saatgut bei ihnen kaufen. In den USA wurde gegen 500.000 Bauern deshalb geklagt, in Indien haben 200.000 Bauern deshalb Selbstmord begangen. Auch die Privatisierung von Wasser bringt Milliardenprofite, denn jeden Tag muss der Durst aller Menschen gelöscht werden, die es zum Marktpreis kaufen müssen. Und wir wissen was die Marktpreise bedeuten. Coca Cola stiehlt jeden Tag zwischen 1.5 und 2 Millionen Liter Wasser, jede einzelne Coca Cola-Niederlassung nimmt sich so ihr Wasser. Und es brauchte den Mut einer Frau aus Kerala, die sagte „warum müssen wir jeden Tag noch mehr Meilen laufen um an unser Trinkwasser zu kommen, während Coca Cola es einfach nimmt und verschmutzt zurücklässt“. Sie hat zusammen mit weiteren zehn Frauen vor sechs Jahren gesagt, wir werden euch nicht arbeiten lassen. Sie begannen eine Aktion zivilen Ungehorsams vor den Werkstoren. Wir haben mit dieser Community eng zusammengearbeitet, das Werk wurde geschlossen.

Vorbild Gandhi

Wir taten, was Gandhi 1930 getan hatte, als die Briten Salz monopolisieren wollten. Urplötzlich kamen sie mit einem Gesetz, das den Indern verbieten wollte ihr Salz selbst zu produzieren. Wer Salz produzierte wurde wie ein Krimineller behandelt. Während ihr hier schwitzt könnt ihr spüren, wie wichtig Salz bei großer Hitze ist. Der Körper scheidet es aus und es muss wieder aufgenommen werden. Gandhi ging damals zum Strand, hob das Salz auf und sagte: “Die Natur gibt es umsonst, wir brauchen es für unser Überleben, wir werden damit fortfahren, unser Salz herzustellen. Wir werden eure Gesetze missachten.” Er nannte es Satyagraha, eine Widerstandsform, die er zuvor in Südafrika praktiziert hatte, um gegen die Apartheid zu kämpfen. Gemeinsam mit indischen Kollegen weigerte er sich die Regeln der Apartheid zu befolgen. Sie sagten damals: „Wir sind eins, wir sind braun, schwarz und weiß, aber wir sind eins, wir sind eine Gemeinde von Bürgern.“

Ziviler Ungehorsam gegen die Diktatur der Konzerne

Und jetzt, fast achzig Jahre später stehen wir hier und überlegen wie wir gegen die Diktatur der Konzerne vorgehen können, die uns alle unsere Freiheiten rauben will. Wenn wir uns heute hier mit einer Neubestimmung von Solidarität beschäftigen, dann müssen wir mit dieser Herrschaft der Konzerne umgehen.

Eine der Illusionen, die sie uns immer verkaufen wollen ist, dass wirtschaftliche Freiheiten aufzugeben am Ende mehr wirtschaftliche Freiheiten bringe. Und das geschieht, indem sie uns vorschreiben unsere Freiheit als Arbeiter, als Angestellte, als Bauern, als Krankenschwestern, als Ärzte durch das Recht der Supermärkte, das Recht zu kaufen, die Freiheit zu kaufen ersetzen. Wir werden zu Konsumenten reduziert, der Konsumismus wird unsere Erfahrung der Freiheit, wir partizipieren im Kapitalismus der Katastrophen. Heute ist der Konsum, das Krebsgeschwür im Endstadium für unseren Planeten. Der Konsumismus hat einen unstillbaren Appetit auf unsere Ressourcen und unsere Commons (Gemeingüter). In unserer Zeit heißt Solidarität die Verteidigung unserer Commons auf lokaler und globaler Ebene. Wir müssen die kleinen Seen eines winzigen Dorfes genauso verteidigen wie die Atmosphäre unseres Planeten, die privatisiert wird durch den Emissionshandel. Wenn wir unsere Commons verteidigen wollen, können wir nicht schweigend daneben stehen wenn Staaten, die von Konzernen regiert werden unseren Reichtum untereinander aufteilen und damit unsere Zukunft gefährden. Aber diese Solidarität, die notwendig ist, um unsere Commons zu verteidigen, die Basis unseres Lebens sind, geht über den bisherigen Begriff Solidarität hinaus.

Neue Bündnisse

Früher genügten uns einfache Gewerkschaften, aber in Zeiten in denen das Kapital global agiert und keine Grenzen mehr kennt, müssen auch wir Grenzen überwinden. Niemand kann alleine gleichzeitig überall sein, deshalb müssen wir durch unsere Solidarität überall gegenwärtig sein. Die neue Solidarität muss eine Allianz der Solidarität der Vielfalt sein. Unsere Bewegung vereint Bauern und Konsumenten, Bauern sind nicht länger nur Produzenten, Konsumenten nicht länger nur Esser. Konsumenten und Produzenten zusammen müssen einen Plan entwickeln, der allen Nahrung und Gesundheit bietet. Und es funktioniert, wir müssen nicht warten bis die Staaten ihre Politik ändern und dann eine andere Ernährungspolitik fahren.

Wie Sie wissen verlegen Firmen wie Mercedes-Benz oder BMW Teile ihrer Produktion nach Indien. Sie alle brauchen Land. Das Land auf dem diese Fabriken gebaut werden, stehlen sie den armen Bauern. Kürzlich hatte ich ein Gespräch mit einem Vertreter der Gewerkschaften von FIAT. Sie solidarisieren sich mit den Bauern, die von Tata und FIAT in Singur ausgeblutet werden. Wer hätte sich vor zehn Jahren vorstellen können, dass Gewerkschaften eines Autoherstellers mit einfachen Bauern um die gleichen Ziele kämpfen?

Widerstand gegen die Angst

Wenn wir realisieren, dass Vielfalt kein Hindernis für die Solidarität darstellt, werden sich ganz neue Wege eröffnen, um auf dieser Welt zu leben. Wir nennen es „Erdendemokratie“. Wir müssen das Definitionsrecht, was Menschsein auf diesem Planeten im Jahr 2008 bedeutet, zurückfordern. Dabei müssen wir alle mit einbeziehen, denen Nahrung verweigert wird, oder die Opfer ungerechter Kriege sind, die auf diesem Planeten geführt werden. Und während wir alle gemeinsam solidarisch nach einer Lösung suchen, müssen wir unerschrocken gegen den Diebstahl unseres gemeinsamen Reichtums, unserer Commons vorgehen. Der letzte Widerstand ist der Widerstand gegen die Angst. Wir müssen klar machen, dass wir nur die Gesetze anerkennen, die auf Gerechtigkeit und Ökologie basieren und nicht die der Konzerne. Diese Gesetze werden tagtäglich geschaffen, um unser Leben zu kontrollieren und uns davon abzuhalten aktiv zu werden. Sie reduzieren uns auf die Angst, die gerade dieses Land so gut kennt.

Unsere eigenen Büros in Indien wurden in den letzten Wochen geschlossen. Das ist Faschismus, das ist das endgültige Ende der Freiheit, die wir so sehr brauchen. Das sind keine Gemeinplätze, ich weiß, was für eine schreckliche Geschichte dieses Land erlebt hat. Wir können uns nicht leisten, dass dieses Prinzip die Welt beherrscht, als letzter Weg um eine Menschheit, die sich nach Freiheit, Gemeinsamkeit und Solidarität sehnt, zum Schweigen zu bringen. Ich bin davon überzeugt, dass unsere Liebe und unser Mitgefühl uns eine Stufe weiter bringen wird.

Vielen Dank

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