„Regierungsbeteiligung ist keine Option“ – Alpha Press-Interview mit Silvia Ofori, Direktkandidatin der Partei „Die Linke“

Die Schwäbisch Haller Monatszeitschrift Alpha Press befragte in ihrer Doppelausgabe Juli/August 2009 Silvia Ofori aus Schwäbisch Hall, Direktkandidatin der Partei DIE LINKE für die Bundestagswahl.

Alpha Press-Interview mit Silvia Ofori, Schwäbisch Hall, Bundestagskandidatin der Partei DIE LINKE

Was werden die vorrangigen Fragen sein, mit denen wir uns nach den Wahlen konfrontiert sehen?

SILVIA OFORI: In allererster Linie die Folgen der wirtschaftlichen Krise. Es ist ja noch nicht abzusehen, was tatsächlich passieren wird. Eines der nächsten Probleme wird sein, dass die Betriebe keine Kredite mehr bekommen. Die Existenz vieler Betriebe wird bedroht sein. Entlassungen werden anstehen. Die Entlassenen bekommen dann ein Jahr lang Arbeitslosengeld. Und dann kommt Hartz IV. Das ist der totale Absturz. Das stürzt Familien in Armut, stürzt Kinder in Armut, verschärft die Bildungsmisere und insgesamt gesehen verschärft es die Krise des Kapitalismus. Und die Regierung wird versuchen, die Kosten der Krise auf die Menschen abzuwälzen, die sowieso schon Einkommenseinbußen haben.

Wie sehen Sie die Zukunft der sozialen Systeme?

Die Linke kann durch ein gutes Wahlergebnis zusätzlichen Druck aufbauen und einen weiteren Sozialabbau verhindern. Die künftige Regierung, ob große Koalition oder schwarz/gelb, wird versuchen, die Staatseinnahmen, also Steuern zu erhöhen, aber nicht die der Reichen, sondern eher die Mehrwertsteuer, Kfz-Steuer, Tabaksteuer usw. Auf der anderen Seite wird sie die Staatsausgaben kürzen – und auch das wird eher die Menschen mit wenig Einkommen treffen. Das heißt, die bisherige Entwicklung wird verschärft werden: weniger Geld für soziale Systeme, jeder soll gefälligst noch mehr für sich selbst sorgen, noch mehr private Altersvorsorge, noch weniger Leistung von der Krankenkasse, noch mehr Zuzahlungen.

Was ist Ihre Meinung und die der Partei „Die Linke“ zu diesen Problemen?

Der Kapitalismus ist in der Krise. Dies muss als Chance für Veränderung genutzt werden. Das heißt zum Beispiel, die Finanzmärkte zu regulieren. Die Wirtschaft muss den Menschen dienen und nicht umgekehrt. Warum ist es möglich, ein Bauspargesetz zu erlassen, das vorschreibt, welche Geldgeschäfte eine Bausparkasse tätigen darf? Und warum ist dies für private Banken nicht möglich? Warum müssen Manager eine Million Euro und mehr verdienen? So viel Geld kann doch keiner ausgeben, das ist doch pervers. Die Börsenumsatzsteuer muss eingeführt werden und riskante Wertpapiergeschäfte gehören verboten. Die Körperschaftssteuer beträgt heute 15 Prozent und betrug früher 25 Prozent. Also: gerechtere Steuerpolitik muss her. Ein wichtiger Punkt ist das Zukunfts- und Investitionsprogramm, das „Die Linke“ vorschlägt. Das beinhaltet die Forderung, dass 100 Milliarden Euro pro Jahr für zwei Millionen Arbeitsplätze in den Bereichen Bildung, Gesundheit, Klimaschutz, Infrastruktur und Verkehr eingesetzt werden müssen.

Was denken Sie über die Zukunft der Sozialsysteme?

Wir als DIE LINKE. meinen: Hartz IV muss weg. Die Diskussion um das bedingungslose Grundeinkommen muss weiter geführt werden. Mehr Menschen müssen in Normalarbeitsverhältnisse gebracht werden, aus meiner Sicht durch massive Arbeitszeitverkürzung. Mehr Menschen in Arbeit und vor allem in sozialversicherungspflichtiger Arbeit. Wenn alle Erwerbstätigen einzahlen würden, würden die Sozialversicherungssysteme am meisten entlastet. Auch die Fragen der Finanzierbarkeit der Renten, des Renteneintrittsalters und der Altersarmut hätten dadurch eine andere Dimension. Gesundheitspolitik ist ein eigenes großes Thema, zu dem interessante Veranstaltungen der Bürgerinitiave in Hall stattgefunden haben. Kurz gesagt: Gesundheit ist keine Ware. Medizinische Versorgung muss für alle gleich zur Verfügung stehen. Ich halte nichts von Zweiklassenmedizin und mich packt die blanke Wut, wenn ich daran denke, dass sich Menschen in Deutschland keinen Zahnersatz leisten können oder keine neue Brille.

In der Partei DIE LINKE vollzieht sich ein nur mühsam verdeckter Richtungsstreit über die Frage der Regierungsbeteiligung. Sehen Sie die Übernahme von Regierungsverantwortung als eine Option für die Partei „Die Linke“ nach den Wahlen im September?

Ich kann mir das im Moment überhaupt nicht vorstellen. Dass man sich irgendwann an der Regierung beteiligt – diese Frage stellt sich jede Partei, aber im Moment für uns – nein. Die theoretischen Koalitionspartner müssten so viel Zugeständnisse machen; das halte ich im Moment für völlig undenkbar.

Aber Gregor Gysi und die Realos in der Partei können sich das auch im Moment vorstellen…

Die können sich das vielleicht vorstellen. Für mich ist es nicht realistisch, nicht auf Bundesebene. Für mich hat die Linke ihre Funktion in der Opposition.

Die Realos in Ihrer Partei werden da so ähnlich argumentieren wie die Grünen oder etwa Müntefering: Opposition ist Mist. Da kann ich nichts mitgestalten und so weiter…

Sicher gibt es in der Linken verschiedene Strömungen. In Ostdeutschland sind die Realos stärker vertreten als in Westdeutschland. Die Linke ist im Osten in Regierungen vertreten, in Berlin z.B. oder in Sachsen. Das Wahlergebnis in Sachsen-Anhalt bei der Landtagswahl 2006 lag bei 24,1 Prozent, das der SPD bei 21,4 Prozent. Regierungsbeteiligungen sind extrem kompliziert für die Partei. Ich persönlich habe kein Verständnis für das, was die Regierungskoalition in Berlin teilweise gemacht hat: Privatisierung, Absenkung von Tarifverträgen usw. Das nimmt Vertrauen und schadet der Glaubwürdigkeit. Taten statt Worte ist meine Devise. Die Wählerinnen und Wähler werden uns an dem messen, was wir tun und das ist auch richtig. Nach meiner Einschätzung werden Alleingänge wie in Berlin oder Sachsen nicht mehr so leicht möglich sein. Eine Regierungsbeteiligung komplett abzulehnen, halte ich auf der anderen Seite auch für schwierig, denn unter den richtigen Voraussetzungen bzw. Zugeständnissen des Koalitionspartners sollte man aus meiner Sicht die Verantwortung übernehmen und eine Regierung bilden. Diese Zugeständnisse sind Bundeswehr raus aus Afghanistan, keine Rente mit 67, gesetzlicher Mindestlohn von mindestens 10 Euro, weg mit den Hartz-Gesetzen, weg mit der Agenda 2010.

Was steht in den Monaten nach den Wahlen für die Menschen im Land an?

Das Problem ist, dass die Menschen viel zu wenig aktiv sind und auf die Straße gehen. Der deutsche Michel, aber auch die deutsche Michelin, lassen sich ja bekanntlich vieles gefallen von der “Obrigkeit”. Mein Wunsch ist, dass die Leute sich nicht mehr alles gefallen lassen: wenn die Energiepreise steigen, die Steuern erhöht werden, das Rentenalter steigt, junge Männer in den Krieg geschickt werden. Andersherum gesagt: ich denke, es wird einen weiteren Einbruch geben, was die Lebens- und Arbeitsbedingungen abhängig Beschäftigter, Arbeitsloser und Einkommensschwacher angeht. Meine Befürchtung ist, dass sich die Mehrheit der Menschen das weiter gefallen lassen wird, sich nicht mit gesellschaftlichen Fragen auseinandersetzen will und dann die FDP wählt. Fast genauso schlimm sind für mich die vielen Nichtwähler. Ich kann nur immer wieder sagen: Je stärker die Linke, desto sozialer das Land! Davon bin ich überzeugt und darum bin ich aktiv.

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