„Persönliche Einschränkungen durch Coronamaßnahmen aufheben“ – Offener Brief von Almuth Bantzhaff aus Schrozberg-Bartenstein

Wegen der Corona-Einschränkungen und der Landtagswahl in Baden-Württemberg am 14. März 2021 hat Almuth Bantzhaff aus Bartenstein einen „Offenen Brief“ an die Landeswahlleiterin des Landes Baden-Württemberg, Cornelia Nesch, die Mitglieder des Landtages von Baden-Württemberg und die Mitglieder des Bundestages der Bundesrepublik Deutschland geschickt. Hohenlohe-ungefiltert veröffentlicht den Offenen Brief in voller Länge. Zur besseren Lesbarkeit hat die Redaktion Zwischenüberschriften eingefügt.

Offener Brief von Almuth Bantzhaff, Schrozberg-Bartenstein

Sehr geehrte Frau Nesch,
sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete,

letzte Woche habe ich ein Schreiben erhalten, mit dem ich aufgefordert werde, mich ehrenamtlich als Vorsitzende des Briefwahlvorstandes eines Teilortes von Kirchberg an der Jagst zur Verfügung zu stellen. Ähnliche Aufforderungen habe ich die letzten Jahre anlässlich verschiedener Wahlen erhalten und bin diesen nach einem Blick in meinen Terminkalender meist ohne weiter nachzudenken gefolgt, nicht zuletzt um meine KollegInnen, die mit der Organisation der Wahlen seitens der Stadtverwaltung befasst sind, zu unterstützen.
Die jetzige Anfrage zur WahlhelferIn, die ähnlich lautend aktuell an zahlreiche Menschen allerorten in Baden-Württemberg verschickt wird, kann ich für meine Person nicht so einfach unterschreiben. Zahlreiche Personen sind aufgefordert letztlich in ihrer Freizeit zu helfen, dass Demokratie in unserem Land lebendig und aufrecht erhalten bleibt. Die WahlhelferInnen werden benötigt, um denjenigen, die von ihrem Wahlrecht als einem Grundpfeiler der Demokratie Gebrauch machen wollen, dies durch ihren Einsatz zu ermöglichen.

„Bloß keinen Kontakt zu Mitmenschen“

Sie, Frau Nesch, erwarten laut Berichterstattung (u. a. in der Schwäbischen Post) mehr Briefwähler. Dies dürfte so zutreffend sein, da seit Monaten die Angst vor anderen Menschen als potentielle Virusüberträger geschürt wird. Bloß keinen Kontakt zu Mitmenschen, wenn ich sicher gehen will, letztlich nicht an Covid-19 zu sterben! Und wenn ich mich nicht an die AHA- und sonstige Regeln halte, sehen mich die meisten Zeitgenossen, dank der Panikmache von Politik und Medien, als potentielle Mörderin. Also auch nicht ins Wahllokal, wo das Virus zuschlagen könnte.
Nach Ihren Aussagen, Frau Nesch, “sind alle darauf eingestellt“, dem hohen Anteil an Briefwählern gerecht zu werden und Sie rufen die Bevölkerung auf, sich als Wahlhelfer zu engagieren.

„Husch, husch ins Körbchen“

Bei der Wahl helfen soll und darf also jeder. Er darf auch nach 20 Uhr noch helfen. Er darf auch nach 20 Uhr nach Hause fahren/gehen. Er darf auch mit egal wie vielen Personen über den Kreis seines eigenen Haushaltes hinaus im Wahllokal stundenlang Stimmzettel entgegennehmen, auszählen, Ergebnisse zusammenstellen etc.. Anschließend dann aber schnell auf direktem Weg nach Hause „husch, husch ins Körbchen“ und weiter Verzicht üben zum Wohle der Allgemeinheit, zum Wohle der Gesundheit. Aus Rücksichtnahme auf die Gesundheit der anderen bleiben wir insbesondere von 20 bis 5 Uhr zuhause (es sei denn der Hund muss Gassi geführt werden, denn dessen Grundrecht auf Freizügigkeit wurde bekanntlich nicht eingeschränkt). Zur Begründung haben wir ja die „Pandemie“. **

Angstszenarien

Ja, wir leben (je nachdem wie man „leben“ definiert mehr oder weniger) in Zeiten einer von der WHO ausgerufenen „Pandemie“ – so werden wir jeden Tag, ob wir es hören wollen oder nicht, beschallt. Seit Monaten werden Angstszenarien aufgezeigt, denen man nur schwer entkommt, wenn überhaupt, nur mit völligem Verzicht auf jegliche Medien.
Wenn wir es jetzt also (immer noch) mit einer Pandemie und damit einer weltweit sich stark ausbreitenden Infektionskrankheit, mit hohen Erkrankungszahlen und schweren Krankheitsverläufen zu tun haben, die dafür hergenommen wird, um Grund-, Menschen- und Freiheitsrechte extrem einzuschränken oder gar auszusetzen, wie verantwortlich hat die Politik dann gehandelt als sie Lockerungen von Coronamaßnahmen über Weihnachten beschlossen hat?

Völlig überfüllte Lebensmittelmärkte

Was macht den Unterschied zwischen WahlhelferInnen mit Abstand in einem Wahllokal über mehrere Stunden gegenüber einem Aufenthalt in einem (Speise-)Lokal, dessen Betreiber teilweise unter hohem finanziellem Aufwand Hygienemaßnahmen getroffen haben, etwa über durchschnittlich 1 bis 1,5 Stunden mit Abstand und Trennvorrichtungen?
Warum dürfen VerkäuferInnen im Einzelhandel stundenlang in völlig überfüllten Lebensmittel- und Discountermärkten für die KundInnen da sein und der übrige Einzelhandel ist geschlossen?
Wie ist zu erklären, dass die Politik, also auch Sie, sehr geehrte Damen und Herren Land- und Bundestagsabgeordnete, nichts gegen den Abbau von mehr als 3.000 Intensivbetten in den letzten Monaten in Deutschland unternehmen? Dies ist auch nicht durch die geänderte Zählweise beim DIVI- Intensivregister, das in Zusammenarbeit mit dem Robert Koch Institut seit April 2020 die verfügbaren Intensivbetten in Deutschland erfasst, zu erklären (https://www.divi.de/divi-intensivregister-tagesreport-archiv).

Doch keine „Pandemie“?

Die Liste mit solchen und ähnlichen Fragen, wie inkonsequent beschlossene Maßnahmen der Politik sind, ließe sich noch beliebig fortsetzen.
Vielleicht liegt es daran, dass der eine oder die andere PolitikerIn doch besser informiert zu sein scheint als man glauben kann. Vielleicht ist die Information, dass die durch das Coronavirus verursachte Krankheit weniger tödlich als ursprünglich angenommen ist (https://www.merkur.de/welt/who-corona-studie-tote- uebersterblichkeit-infektion-pandemie-zr-90073439.html) bei dem ein oder der anderen angekommen. Vielleicht hat die Tatsache, dass weltweit nicht annähernd soviele Menschen wie ursprünglich von „Experten“ prophezeit gestorben sind, dazu geführt, dass darüber nachgedacht wurde, dass wir es möglicherweise doch mit keiner „Pandemie“ zu tun haben. Dann kann verantwortet werden, dass es bürger- und wählerfreundliche „Lockerungen“ gibt.

Grund- und Freiheitsrechtseinschränkungen

Müsste dann aber nicht jetzt weiter daraus (und aus zwischenzeitlich zahlreich vorliegenden Studien) gefolgert werden, dass die Grund- und Freiheitsrechtseinschränkungen, sofort aufhören müssen?

Symptomlose Kranke

Man muss kein Mediziner sein, um sich zu wundern, wenn bei Statistiken, Inzidenzen etc. Tabellen mit „symptomlosen Kranken“ oder „asymptomatisch Erkrankten“ gefüllt werden.
Der Brockhaus definiert Krankheit als „Störungen im Ablauf der normalen Lebensvorgänge in Organen und Organsystemen durch einen Reiz, der zu einer von der Norm abweichenden vorübergehenden Beeinträchtigung der physischen Funktionen … auch zu wahrnehmbaren körperlichen Veränderungen, im Extremfall zum Tod führt…“
Dies entspricht meinem bisherigen Verständnis von Krankheit und nicht irgendetwas ohne Symptome und schon gar nicht eine „Krankheit“, die bestimmte Symptome aufweist und wenn diese nicht da sind, gibt es eben „asymptomatisch Erkrankte“. Entschuldigung, aber da kann man den Eindruck gewinnen, wir sollen, gelinde gesagt, für dumm verkauft werden.

Persönliche Einschränkungen durch Coronamaßnahmen aufheben

Die Liste der Ungereimtheiten ließe sich noch weiter fortsetzen. Ich gehe aber davon aus, dass das Wesentliche, das mich bewegt, so lange nicht für ein Ehrenamt bezüglich einer Landtagswahl o. ä. zur Verfügung zu stehen, bis die persönlichen Einschränkungen durch Coronamaßnahmen aufgehoben sind, klar geworden ist.
Solange also unsere Regierungen, wovon eine jetzt wiedergewählt werden will/soll, nicht willens sind, die freiheitlich demokratische Grundordnung, zu deren Schutz sich jeder Politiker verpflichtet hat, wiederherzustellen, bin ich nicht willens, in meiner (durch zahlreiche „Coronamaßnahmen“ sehr eingeschränkten) Freizeit ehrenamtlich bei einer Wahl zu helfen.
Ich bin bereit, für die freiheitlich demokratische Grundordnung einzutreten, deren Schutz im Grundgesetz garantiert wird (dies habe ich vor bald dreißig Jahren bei meiner Berufung ins Beamtenverhältnis gelobt). Ich bin aber nicht bereit, das, was unter dem Deckmantel des Infektionsschutzes angeblich demokratisch abgedeckt aktuell in Deutschland und Baden-Württemberg praktiziert wird, zu unterstützen.

Bis zur Landtagswahl bleibt nicht mehr viel Zeit

Als ein Beispiel sei hierzu angeführt, dass hochrangige Politiker ernsthaft vorschlagen, Menschen einzusperren, wenn sie sich nicht an etwaige (äußerst fragwürdige und keineswegs epidemiologisch sinnvolle) Quarantänemaßnahmen halten. Solche Aussagen machen mich sprachlos. Unfassbar, dass solche Vorschläge für diese Politiker ohne Konsequenzen bleiben.
Ich kann mir gut vorstellen, dass es noch zahlreiche BürgerInnen gibt, die ähnliche Gedanken haben und deshalb nicht als WahlhelferIn zur Verfügung stehen. Vielleicht liegen Sie, Frau Nesch, daher auch mit Ihrer Aussage, dass „alle darauf eingestellt sind“, dass am Wahltag alles klappt, nicht ganz richtig.
Bis zur Landtagswahl bleibt nicht mehr viel Zeit, um die Dinge auf den richtigen Weg zu bringen und bis zur Bundestagswahl nur wenig mehr.

Mit freundlichen Grüßen
Almuth Bantzhaff

* *Pandemie: lt. Wikipedia eine „neu, aber zeitlich begrenzt in Erscheinung tretende, weltweite starke Ausbreitung einer Infektionskrankheit mit hohen Erkrankungszahlen und i. d. R. auch mit schweren Krankheitsverläufen.“[1] Im Unterschied zur Epidemie ist eine Pandemie örtlich nicht beschränkt, [2] es kann aber auch bei Pandemien Gebiete geben, die nicht von der Krankheit betroffen werden. In Bezug auf die Influenza hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) in ihren zuletzt im Mai 2017 überarbeiteten Leitlinien zum Pandemic Influenza Risk Management festgelegt, dass die Ausrufung einer Pandemie – also der Übergang von einer Epidemie zur Pandemie – durch den Generaldirektor der WHO erfolgt.[3

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4 Gedanken zu „„Persönliche Einschränkungen durch Coronamaßnahmen aufheben“ – Offener Brief von Almuth Bantzhaff aus Schrozberg-Bartenstein

  1. Sehr geehrte Frau Bantzhaff,
    vielen Dank für Ihrern offenen Brief!

    Ich war selber jahrelang in verschiedenen Städten Baden-Württembergs Wahlhelferin und verschiedentlich politisch aktiv. Dabei sah und sehe ich mich, dazu verpflichtet besonders für unsere Grundrechte einzutreten. In Ihren Argumenten kann Sie nur bekräftigen und danke Ihnen für Ihren Mut, diese Arugumente auch ganz öffentlich zu bekunden.

    Herzliche Grüße aus Langenburg von Birgit Häbich

  2. Das ist ein interessanter ZUsammenhang zwischen dem Corobahype und der Demokratie – bis heute wudnere ich mich, dass unter diesen repressiven Bediungungen diese Wahl stattfindet. Ich danke schön für die kluge Argumentation – und will das durch aktuelle Zitate aus der Kritik von Prof. Schrappe und Koillegen untermauern:

    Massive Kritik am Merkel-Kurs Seit Frühjahr 2020 kritisiert Matthias Schrappe, Infektiologe und ehemaliger Berater des Bundes in Gesundheitsfragen, mit seinem Experten-Rat den Corona-Kurs. Seitdem fordert er auch, die Älteren besser zu schützen. Weil das noch immer nicht geschehen sei, bescheinigt er der Politik „völliges Versagen“
    https://m.focus.de/gesundheit/news/massive-kritik-am-merkel-kurs-mediziner-kanzlerin-leidet-unter-kuba-syndrom-sie-laesst-nur-noch-eine-meinung-zu_id_12971235.html
    Mediziner: „Kanzlerin leidet unter Kuba-Syndrom – sie lässt nur noch eine Meinung zu“ 15.02.2021

    Im Kanzleramt wurde wieder einmal nur der Lockdown beschlossen. Der Infektiologe Matthias Schrappe hatte es nicht anders erwartet. Aber er würde sich wünschen, dass die Regierung mehr Mut zum Handeln hätte – und dabei die vulnerablen Gruppen besser schützt.

    Seit dem Frühjahr 2020 argumentiert Matthias Schrappe gegen den Lockdown als einzige Corona-Bremse. Stattdessen fordert der Kölner Medizin-Professor und ehemalige Berater des Bundes in Gesundheitsfragen einen besseren Schutz der besonders gefährdeten alten Menschen – als Kern eines Strategiewechsels der Corona-Politik. Vorschläge dafür haben er und seine Arbeitsgruppe aus Gesundheitsexperten in umfassenden Thesenpapieren formuliert.
    Matthias Schrappe gehört neben bekannten Gesichtern wie den Virologen Jonas Schmidt-Chanasit oder Klaus Stöhr auch einer Gruppe von Wissenschaftlern an, die sich unter der Plattform „CoronaStrategie“ zusammengefunden haben. Sie richten das Augenmerk nicht nur auf die medizinischen, sondern auch auf die gesellschaftlichen Schäden der Pandemie. FOCUS Online hat mit dem streitbaren Experten gesprochen.

    FOCUS Online: Hat Sie das Ergebnis vom letzten Bund-Länder-Treffen im Kanzleramt überrascht?
    Schrappe: Nein, eine Verlängerung des Lockdown war ja leider zu erwarten. Die Problematik beim Lockdown ist, dass man damit die Zahlen zwar schönen kann. Aber was macht man, wenn man wieder aufhören will? Die Logik dieses Instruments ist, dass man es immer weiter anwenden muss. Denn sonst werden die Zahlen ja wieder schlechter. Ich fürchte daher, es wird zu einer Betonierung dieses inadäquaten Instruments „Lockdown“ kommen.
    Mehr zum Thema:
    Sind nicht die angepeilten Inzidenzen von 50 oder auch 35 eine praktikable Basis für Lockerungen?
    Schrappe: Der Begriff Inzidenz ist schon unzulässig und falsch. Die Melderaten, die sehr unzuverlässig sind, werden da einfach hochgerechnet. Wenn sie viel testen, sind die Zahlen hoch, testen sie wenig, sind sie niedrig. Es ist ein Skandal, dass mit diesen Zahlen gesteuert werden soll.
    Sehen Sie, die Sterblichkeit der alten Leute nimmt relativ und absolut weiter zu. Und jetzt werden solche Ziele gesetzt und mit einem Instrument gearbeitet, das dagegen gar nicht hilft. Dabei wette ich, dass, wenn die 50 oder 35 erreicht sind, man sich etwas Neues ausdenken wird. Es ist eine haltlose, hoffnungslose und sinnlose Strategie, die da gefahren wird.
    Sie und Ihre Arbeitsgruppe plädieren massiv für den Schutz der vulnerablen alten Menschen. Wären Kontaktbeschränkungen überflüssig, würde dieser Schutz gelingen?
    Schrappe: Man braucht natürlich beides. Aber die Kontaktverbote alleine, und auch noch an einem fragwürdigen Grenzwert orientiert, einzusetzen, ist nach allen Regeln der Infektionswissenschaft nicht adäquat. Und sie bringen nichts in der Gruppe derer, die besonders oft und schwer an Covid-19 erkranken und sterben. Die vorübergehende Abflachung der Meldezahlen vor Weihnachten war in allen Altersgruppen zu beobachten, nur nicht in den höheren Altersgruppen über 85 Jahre.
    „Es ist eine haltlose, hoffnungslose und sinnlose Strategie, die da gefahren wird.“
    In der 50. Woche lag die Sterblichkeit durch Corona bei den 90-Jährigen bei 16,3, bezogen auf die Alterskohorte. Und jetzt, im langen Lockdown, liegt sie bei 23,3 Prozent. Bei den 80- bis 89-Jährigen war die Sterblichkeit vor dem Lockdown runter auf zwölf Prozent, jetzt ist sie auf 17 Prozent angestiegen. Das heißt: Der Lockdown geht an den Bedürfnissen derer, die dadurch geschützt werden sollen, vorbei.

    Matthias Schrappe ist Infektiologe und war Professor an der Medizinischen Fakultät der Universität zu Köln. Als Stellvertretender Vorsitzender des Sachverständigenrates Gesundheit hat er über Jahre die Bundesregierung beraten. Die aktuelle Corona-Politik kritisiert er gemeinsam mit acht weiteren Wissenschaftlern seit April in verschiedenen Versionen eines Thesenpapiers.
    Ist dann die Impfung, die ja derzeit noch überwiegend den hochbetagten Menschen vorbehalten ist, die Lösung? Dann wäre diese besonders vulnerable Gruppe doch geschützt.
    Schrappe: Wir können nur hoffen, dass die ersten Ergebnisse, die wir aus Studien haben, stimmen. Aber wie wir jetzt schon gesehen haben, sagen sie nichts über Infektionen aus, sondern nur etwas über Erkrankungen. Der Biontech-Impfstoff vermindert das Risiko einer Erkrankung im Verhältnis 1:20. In der Impfstoffgruppe erkrankten acht Probanden, in der Placebo-Gruppe 162. Beim Astrazeneca-Impfstoff liegt dieses Verhältnis nur bei 1:3. In der Impfstoff-Gruppe erkrankten 27 Menschen, mit Placebo 71. Uns wäre es lieber, die Impfung würde durch ein nicht-medikamentöses Präventionskonzept für die alten Menschen flankiert.
    Und wie sollte das aussehen?
    Schrappe: Für die Alten- und Pflegeheime haben wir schon im April letzten Jahres eine Schnellteststrategie gefordert. Es hat zehn Monate gedauert, bis sich da etwas bewegt hat. Bis dahin waren dort schon 20.000 Menschen gestorben.
    Außerhalb der Pflegeheime ist es natürlich schwieriger. Aber da müssen die Kommunen, die Gesundheitsämter aktiv werden. Sie sollten weniger einzelne Treffen nachverfolgen, sondern rausgehen und schauen, wie es den alten Leuten geht, ob sie gut versorgt sind, irgendwelche Botengänge brauchen, eine Taxifahrt zum Arzt. Da könnte man die Bundeswehr einsetzen oder Studenten.

    „Die ganze Gesellschaft ist in einem passiven Schockzustand.“
    Aber dafür bräuchte es eine politische Führung, die unsere Gesellschaft in eine Aufbruchsstimmung, in eine Bereitschaft der Hilfe und Unterstützung versetzen kann. Da genügt es nicht, immer nur zu sagen, wie furchtbar alles ist, weitere Sperrungen zu verfügen und die Innenstädte veröden lassen.
    Aber die politische Führung verbreitet keine Botschaft, die eine Aufbruchsstimmung erzeugen kann. Nur Angst. Und das seit einem Jahr. Die ganze Gesellschaft ist in einem passiven Schockzustand.

    Was halten Sie von Lockerungen nach einem Stufenplan, wie ihn zum Beispiel die Landesregierung von Schleswig-Holstein umsetzen möchte und das auch gern in den anderen Bundesländern sehen würde? Danach soll von Schule, Einzelhandel, Gastronomie, Sportverein bis Kino, Theater und Konzertsaal peu à peu alles aufmachen dürfen, wenn die Inzidenzen entsprechend niedrig sind.
    Schrappe: Nun, so etwas hätte man im vergangenen Sommer anleiern müssen. Aber diese Pläne sind in jedem Fall ein Fortschritt zu dem, was am 10. Februar wieder zu hören war. Man könnte natürlich viel mutiger sein und mehr machen. Uns haben Politiker gesagt: Wir würden ja gern weiter öffnen, aber dann kommt irgendwo in einer Kita ein Fall oder es passiert etwas mit den Mutanten, dann verlieren wir die Wahl. Und was macht die Politik? Sie tappt in die Befürchtungsfalle. Sie befürchtet, dass… – und wagt nichts, experimentiert nicht. Der Erfindungsreichtum der Gesellschaft wird überhaupt nicht genutzt.

    Rechtfertigen denn die neuen, gefährlicheren Mutationen nicht eine verstärkte Vorsicht?
    Schrappe: Die Bedrohlichkeit der Mutationen ist ja nichts weiter als Propaganda. Die Studien geben es nicht her. Man muss das natürlich weiter beobachten. Aber es sieht eher danach aus, dass dort, wo starke Mutationen sind, die Zahlen runter gehen. Viren verändern sich sowieso immer. Und auch die angeblich so ansteckende britische Variante hat sich bisher in der Praxis nicht zu einem großen Problem entwickelt.
    Nur: Wenn man so weiter macht, wird immer wieder ein neues Argument kommen, warum man sich nicht vorwärts bewegen kann, sondern in Angststarre verharrt. Und das ist eine furchtbare Situation, in der sich die Gesellschaft befindet.

    Die Wissenschaftler von „No Covid“ verfolgen einen Ansatz, der dem Ihren diametral entgegen läuft: alles komplett runterfahren, bis der Inzidenzwert unter zehn liegt und Richtung Null geht.
    Schrappe: Da sind Leute federführend, die Infektionen nur im Labor beobachten. Und wie soll das funktionieren mit grünen Landkreisen, in denen man sich wegen niedriger Inzidenz frei bewegen kann, die man auch verlassen darf, und roten Landkreisen daneben, aus denen niemand wegen der höheren Inzidenz raus darf. Müsste man die roten dann abriegeln, militärisch bewachen? Wie soll denn das gehen?
    Könnten schärfere Strafen bei Regelverletzungen den Lockdown verkürzen?
    Schrappe: Mit Verboten und Drohungen erreicht man gar nichts. Dann suchen die Leute nur Schlupflöcher, vor allem wenn sie sehen, dass Maßnahmen eh nichts nützen. Nur mit Überzeugung und vernünftigen Konzepten erreicht man die Leute. Da müssen Führungspersonen auch Fehler zugeben. Wenn Frau Merkel mal sagen würde: Wir haben das bisher nicht besonders hingekriegt. Wir machen mal einen neuen Start und dafür brauchen wir Euch alle – da würde die Stimmung und Bereitschaft mitzumachen, gleich wieder besser werden.
    Können Sie die Kanzlerin nicht in diese Richtung beraten?
    Schrappe: Ich würde die Kanzlerin natürlich gern beraten, wenn sie eine andere Stimme hören wollte. Aber ich rechne nicht damit, dass sie anruft. Frau Merkel hat sich in einen Tunnel vergraben. In der Risikoforschung nennt man das Kuba-Syndrom, wenn sich eine Führungsgruppe nur mit Menschen umgibt, die alle der gleichen Meinung sind. Dann gibt es nur die dauerhafte Fortsetzung von Fehlern.

    Ist das „anders Denken“ der erste Schritt Richtung Lockerungen?
    Schrappe: Für einen Neustart in der Corona-Bekämpfung müsste die Bundesregierung bereit sein, mit Präventionsideen zu experimentieren und vor allem auf diese permanenten Lockdown-Drohungen verzichten, also das bedrückende Bedrohungsszenario aufgegeben für ein proaktives Handlungsszenario.
    Die politische Führung müsste sagen, wir experimentieren jetzt einmal ohne Garantie auf Erfolg. Das könnte zum Beispiel sein, dass in einem Bundesland die Kitas komplett öffnen, man schaut sich das zwei Wochen an und untersucht das Experiment gut – wenn es klappt, machen das alle.
    Dann sollte ein wirklich unabhängiges Beratergremium für die politischen Entscheider gebildet werden. Das sollte nicht, wie derzeit, nur aus denen bestehen, die alles zumachen wollen oder aus Virologen, die nie Infektionen vor Ort sehen. Da kommen Leute aus der Praxis rein, Infektionsmediziner, Krankenhaushygieniker, Gesundheitsamts-Experten. Dieses Gremium soll das gesellschaftliche Experimentieren begleiten, beurteilen und steuern.

    „Wir werden mit dem Virus leben müssen, mit den Erkrankungen, die es auslöst, und wir werden uns um die Erkrankten kümmern.“
    Und wann werden wir Sars-CoV-2 wieder los?
    Schrappe: Nie. Wir werden mit dem Virus leben müssen, mit den Erkrankungen, die es auslöst, und wir werden uns um die Erkrankten kümmern. Kinder werden sich infizieren, eine Teilimmunität erwerben und wenn sie sich als Erwachsene wieder infizieren, kriegen sie Schnupfen. So wird es weitergehen.

  3. Liebe Almuth, jetzt auch hier vielen Dank für Deinen Mut, auch öffentlich Deine Meinung zu sagen. Ich Teile diese voll und ganz und werde auch nicht als Wahlhelferin zur Verfügung stehen.

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