„Für eine menschliche Flüchtlingspolitik in den Kommunen“ – Welche Handlungsspielräume haben Städte, Gemeinden und Landkreise?

Die Politik in Bezug auf Flucht, Asyl und Migration wird zu einem großen Teil auf Bundes- oder Europaebene, teilweise auch auf Landesebene gemacht. Weder Städte noch Gemeinden oder Landkreise können beeinflussen, ob ein Asylantrag bewilligt oder abgelehnt wird oder ob beispielsweise Abschiebungen nach Afghanistan durchgeführt werden sollen. Aber es gibt durchaus einiges an Gestaltungsspielraum für die Kommunalpolitik, um Einfluss zu nehmen auf die Situation der Geflüchteten vor Ort.

Informationen des Flüchtlingsrats Baden-Württemberg

Menschenwürdige Unterbringung

Container-Massenunterkunft im Industriegebiet oder dezentrale Unterbringung in der Stadt? Es existiert eine enorme Bandbreite an unterschiedlichen Unterbringungsformen. 2016 waren vielerorts kurzfristige Notlösungen unvermeidlich. Doch 2019 gibt es keine Ausreden mehr für Provisorien. Die Kommunen müssen sich darum kümmern, dass die Unterbringung so gestaltet wird, dass sie menschenwürdig ist, das Recht auf Privat-sphäre und freie Entfaltung der Persönlichkeit ebenso gewährleistet wie den Schutz besonders vulnerabler (Anmerkung: verletzbarer, verletzlicher) Personengruppen und die Integration fördert.

Bezahlbaren Wohnraum schaffen

Um gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen, ist es unerlässlich dass Unterkünfte mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar sind und dass es in den Unterkünften freies Wlan gibt. Der Einsatz für bezahlbaren Wohnraum für alle Menschen ist eine wichtige kommunale Aufgabe, die über Jahre und Jahrzehnte vernachlässigt wurde. Wer dieses Problem angeht, hilft nicht nur den Geflüchteten, sondern hilft auch, Konkurrenzdenken und Vorurteile zu bekämpfen und stärkt damit die Integration und den gesellschaftlichen Zusammenhalt.

Bildung und Beratung

Ähnlich wie beim Thema „Wohnen“ machen sich strukturelle Defizite und jahrelange Versäumnisse auch in der Kinderbetreuung bemerkbar und betreffen alle in Form von fehlenden Kapazitäten, die zu langen Wartezeiten führen. Ein mangelnder Ausbau der Kinderbetreuungsplätze darf nicht zu Lasten geflüchteter Kinder gehen. Geflüchtete Kin-der haben – wie alle anderen Kinder auch – ein Recht auf Bildung. Schulen und Kindergärten müssen zudem geschützte Orte für alle Kinder und Jugendlichen sein. Deshalb müssen die Kommunen klarstellen, dass es keine Abschiebungen aus Bildungseinrichtungen in ihrer Trägerschaft geben wird. Vor allem im Interesse der Förderung der Teilhabe geflüchteter Frauen ist es wichtig, dass während der Integrations- und Sprachkurse Kinderbetreuung angeboten wird. Zudem müssen die Landkreise ausreichend Geld für psychosoziale Beratungsangebote sowie Kinder- und Jugendhilfe zur Verfügung stellen.

Gute Zusammenarbeit mit Ehrenamtlichen

Ehrenamtliche haben in den vergangenen Jahren enorm viel geleistet und damit auch die staatlichen Strukturen erheblich entlastet und teilweise vor dem Kollaps bewahrt. Es ist mehr als beachtlich, wie viele Menschen weiterhin mit großem Engagement ehrenamtlich mit Geflüchteten arbeiten. Viele Kommunen erkennen den Wert dieses Engagements an und sorgen dafür, dass die Ehrenamtlichen eingebunden und beteiligt werden und dass ihr Engagement unterstützt und gefördert wird. Sie stellen zum Beispiel Räume bereit, organisieren Fortbildungen und schaffen, beziehungsweise erhalten Stellen für Koordina-torInnen fürs ehrenamtliche Engagement.

Engagement praktisch unterstützen

Andernorts haben Ehrenamtliche jedoch das Gefühl, dass die Städte, Gemeinden und Landkreise sie eher als lästig empfinden. Alle Kommunen sollten die Ehrenamtlichen als wichtige AkteurInnen sehen, ihr Engagement wertschätzen und vor allem auch prak-tisch unterstützen. Gleichzeitig sollten sie ihre Unabhängigkeit respektieren und ihnen Freiräume zur selbstbestimmten Entfaltung ihres Engagements lassen. Sie sollten sie auch nicht unter Druck setzen, wenn es Meinungsverschiedenheiten gibt oder versuchen, sie zu Handlangern der Behörden zu machen.

Anträge auf Aufenthaltserlaubnisse

Anträge auf Asyl werden natürlich nicht auf kommunaler Ebene entscheiden, und für Duldungen ist zentral das Regierungspräsidium Karlsruhe zuständig. Doch wenn es zum Beispiel um die Bleiberechtsregelungen für gut integrierte Geduldete geht (§§ 25a und 25b AufenthG), werden diese Anträge von den lokalen Ausländerbehörden entschieden. Ein großes Problem ist, dass viele derjenigen, die möglicherweise von diesen Regelungen profitieren könnten, nicht hinreichend informiert sind. 2017 hat die Landesregierung beschlossen, dass die lokalen Ausländerbehörden Personen, die in den Anwendungsbereich fallen könnten, informieren sollte. Doch inwiefern wird dies tatsächlich umgesetzt? Die Kommunen sollen darauf achten, dass die Auslän-derbehörden sorgfältig potenziell Betroffene identifizieren und diese auf eine Art und Weise informieren, dass die Information tatsächlich ankommt und verstanden wird.

Anträge auf Beschäftigungserlaubnisse

Wer sich im laufenden Asylverfahren befindet, seit mindestens drei Monaten in Deutschland lebt und nicht mehr verpflichtet ist, in einer Erstaufnahmeeinrichtung zu leben, kann mit Zustimmung der Ausländerbehörde eine Beschäftigung aufnehmen. Die Ausländerbehörden sollten diese Anträge zügig, transparent und wohlwollend bearbeiten.

Entscheidung über Zuständigkeit für das Integrationsmanagement

Auf kommunaler Ebene wird entschieden, ob das Integrationsmanagement an freie Träger vergeben wird oder ob die IntegrationsmanagerInnen direkt bei der Kommune und / oder beim Landkreis angestellt sind. Um Interessenskonflikte zu vermeiden und um eine größtmögliche Unabhängigkeit der IntegrationsmanagerInnen zu gewährleisten, ist der Flüchtlingsrat der Meinung, dass das Integrationsmanagement an freie Träger vergeben werden sollte.

Beteiligung am Visumsverfahren

Im Rahmen des Visumsverfahrens muss die Zustimmung der lokalen Ausländerbehörde eingeholt werden. Diese sind an Gesetze, Verordnungen und Verwaltungsvorschriften von Bund und Ländern gebunden, doch es gibt einiges an Spielräume für eine wohlwollende Zustimmung zum Ausstellen eines Visums. So erhalten etwa Schutzsuchende, die wegen ihrer Kunst, ihres Journalismus oder ihrer Autorenschaft verfolgt werden, mit Unterstützung des internationalen Netzwerkes Städte der Zuflucht (ICORN) und dessen deutschen Mitgliedsstädten Frankfurt am Main, Hannover und Berlin ein Visum für einen temporären Aufenthalt zur Fortführung ihrer Arbeit in diesen Städten. Auch bei der Beantragung von Visa zur Familienzusammenführung müssen die lokalen Ausländerbehörden zustimmen und haben Ermessensspielräume, die in unterschiedliche Richtungen verwendet werden können.

Neue Visa-Art einführen

Außerdem wäre die Einführung einer zusätzlichen Visa-Art zur kommunalen Aufnahme möglich, vorzugsweise zur Asylantragstellung oder humanitären Aufnahme in einer bestimmten Kommune. Dies können Kommunen allerdings nicht eigenmächtig durch-setzen. Stattdessen müssten sie es über ihre Landesregierung oder selbst (bzw. über Städ-te-Netzwerke wie den Städtetag) auf Bundesebene beim Auswärtigen Amt und den Gesetzgebungsinstitutionen anregen.

Interkulturelle Öffnung

Kommunen müssen das Signal aussenden, dass sie für alle EinwohnerInnen da sind. Hierzu gehört die Förderung von interkultureller Kompetenz des Personals in kommu-nalen Einrichtungen und Behörden, die mit entsprechenden Fortbildungen sensibilisiert und aufgeklärt werden müssen. Kommunen müssen auf einen respektvollen und wert-schätzenden Umgang ihres Personals mit allen Menschen bestehen und Diskriminierung bekämpfen. Kommunen sollten sich auch als Arbeitgeber öffnen, um Geflüchteten mit verschiedenen Maßnahmen wie Praktika, Einstiegsqualifizierungen und Ausbildungen den Prozess der Integration durch Arbeit zu unterstützen.

Dolmetscherpool organisieren

Die Organisation von Dolmetscherpools auf lokaler Ebene ist ebenfalls eine wichtige Auf-gabe. Ein weiteres Beispiel dafür, wie Kommunen ein Zeichen der Offenheit an Geflüchtete und neu Hinzugezogene aussenden können, sind die mehrsprachigen lokalen Wegweiser, die es an einigen Orten gibt.

Proaktive und kreative Flüchtlingsaufnahmepolitik

Den Kommunen fehlen im aktuellen Rechtssystem bisher ausdrückliche Regelungen für die unmittelbare Aufnahme von Flüchtenden aus dem Ausland. Dass dieser Politikbereich ungeregelt ist, ermöglicht es ihnen jedoch, ihn proaktiv und kreativ im Sinne des Menschenrechtsschutzes von Flüchtenden neu zu gestalten. Über ihr kommunales Selbstbestimmungsrecht und als Teil der Länder dürfen sie im Hinblick auf die Etablierung von legalen Zufluchtswegen in die Kommunen tätig werden, wenn auch in beschränkter Weise. Sie können beispielsweise allein oder in Städte-Netzwerken auf Landes-, Bundes-, EU-, Europarats- oder UN-Ebene politische Debatten initiieren und öffentliche Erklärungen über ihre kommunale Aufnahmebereitschaft abgegeben, so wie es zum Beispiel Konstanz, Rottenburg und Heidelberg getan haben. Die Kommunen dürfen sogar zur Teilnahme an entsprechenden Demonstrationen aufrufen.

Kommunalwahlen 2019: Wo ist die Stimme der Engagierten?

Von den Großstädten bis in die kleinsten Ortschaften sind in ganz Baden-Württemberg tausende Menschen auf verschiedener Weise für Geflüchtete engagiert. Viele von ihnen berichten von Problemen im Umgang mit den Behörden. Auch von den politisch Verantwortlichen auf lokaler Ebene fühlen sie sich nicht immer vertreten. Für die am 26. Mai stattfindenden Kommunalwahlen werben die MandatsträgerInnen auf kommunaler Ebene um unsere Stimmen. Die Engagierten und alle, die für eine menschliche Flüchtlingspolitik auf lokaler Ebene sind, sollten diese Gelegenheit nutzen. Fragen Sie die KandidatInnen, wie sie die in diesem Dokument genannten Spielräume nutzen möchten. Überlegen Sie, welche KommunalpolitikerInnen und BewerberInnen in den letzten Jahren sich in Ihrem Sinne eingesetzt haben. Ermutigen Sie andere Engagierte und Personen aus Ihrem Umfeld, das Gleiche zu tun! Tragen Sie dazu bei, dass in den kommenden fünf Jahre in den Gemeinderäten und Kreistagen Baden-Württembergs eine starke Stimme für eine menschliche Flüchtlingspolitik vertreten ist!

Weitere Informationen zum Flüchtlingsrat Baden-Württemberg:

Der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg …

• unterstützt die Arbeit lokaler ehrenamtlicher Asylkreise mit Beratung, Fortbildungen, Veranstaltungen, Vernetzung und Informationsmaterial,

• informiert mit seinem Newsletter, seinem Rundbrief und seiner Website,

• tritt ein für eine menschliche Flüchtlingspolitik – durch Lobbyarbeit, öffentliche Meinungsäußerungen, Aufklärung und Kampagnen,

• berät und vermittelt Flüchtlinge an kompetente lokale Beratungsstellen oder RechtsanwältInnen und unterstützt sie durch Anträge an den Rechtshilfefonds von PRO ASYL,

• organisiert Tagungen und Veranstaltungen zu flüchtlingspolitischen Themen,

• fördert die Vernetzung von Akteur*innen der Flüchtlingsarbeit…. und dafür brauchen wir Sie! Der Flüchtlingsrat ist ein gemeinnütziger Verein, dem Sie als Mitglied beitreten können.

Als Mitglied …

• helfen Sie durch Ihren Beitrag, dafür zu sorgen, dass unsere Arbeit auch zukünftig fortgesetzt werden kann,

• bekommen Sie alle neuen Veröffentlichungen des Flüchtlingsrates zugeschickt.

• können Sie auf unserer Mitgliederversammlung über die personelle Zusammensetzung der Gremien des Flüchtlingsrates und die Ausrichtung seiner Arbeit mitbestimmen,

• können Sie die Arbeit des Flüchtlingsrates aktiv mitgestalten.

Deshalb rufen wir alle Engagierten der Flüchtlingsarbeit in Baden-Württemberg und alle, die sich für eine menschliche Flüchtlingspolitik stark machen wollen, dazu auf, Mitglied im Flüchtlingsrat Baden-Württemberg zu werden!

Weitere Informationen, Anmeldung und Kontakt:

Geschäftsstelle, Hauptstätter Straße. 57, 70178 Stuttgart

Telefon: 0711-55 32 83-4

Fax: 0711-55 32 83-5

E-Mail: info@fluechtlingsrat-bw.de

Internet:

www.fluechtlingsrat-bw.de

www.facebook.com/fluechtlingsrat.bw

www.youtube.com/c/FlüchtlingsratBadenWürttembergeV

Vereins- und Spendenkonto:

Flüchtlingsrat Baden-Württemberg e.V.

GLS Bank

Kto. Nr. 70 07 11 89 01

BLZ 430 609 67

IBAN: DE66 4306 0967 7007 1189 01

BIC: GENODEM1GLS

Informationen im Internet zum Verein Pro Asyl:

https://www.proasyl.de/thema/

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