„Massenstreik wäre die richtige Antwort auf drohende Agenda 2020“ – Rede von Siegfried Hubele am 1. Mai 2013 in Schwäbisch Hall

Die Begrüßungsrede zur 1.-Mai-Kundgebung in Schwäbisch Hall hat 2013 der Gewerkschafter Siegfried Hubele gehalten. Hohenlohe-ungefiltert veröffentlicht die Rede in voller Länge (Zwischenüberschriften hat die Redaktion eingefügt).

Rede von Siegfried Hubele, Schwäbisch Hall

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

ich begrüße Euch im Namen des DGB-Kreisvorstandes Schwäbisch Hall zu unserer Maikundgebung und Mai-Feier. Der 1. Mai 2013 ist ein denkwürdiger Tag für uns Gewerkschafter und Gewerkschafterinnen.

Nazis wollten die Arbeiterklasse und ihre Organisationen zerschlagen

Vor 80 Jahren,  am 1. Mai 1933 vollendete sich der Plan der Nazis – die Arbeiterklasse und ihre Organisationen endgültig zu zerschlagen.

In Schwäbisch Hall saßen schon ab März 1933 und in den Folgemonaten  über 60  Nazigegner – Gewerkschafter, Kommunisten und Sozialdemokraten – in so genannter „Schutzhaft“. Der NSDAP-Kreisleiter Spiegel drohte im Stadtrat –“es geht nicht an, dass in den städtischen Betrieben Arbeiter beschäftigt sind, die gegen uns stehen. Wir lassen ihnen noch eine gewisse Zeit, sich zu uns zu bekennen; im anderen Fall müssten wir sie aus den städtischen Betrieben entfernen.“

Von Gewerkschaftern befürchteten Nazis stärksten Widerstand

Aus den Reihen der kampferfahrenen Gewerkschafter befürchteten die Nazis den größten Widerstand gegen ihr Regime, wie schon 1920 beim Kapp-Putsch. Der 1. Mai 1933 – ein Montag – wurde zum arbeitsfreien Tag erklärt. Generationen von Gewerkschaftern mussten am 1. Mai immer damit rechnen, gekündigt, verfolgt und verhaftet zu werden. Die Nazis machten ihn zum Feiertag. Gleichzeitig liefen in den Stäben der Nazipartei die geheimen Vorbereitungen, am 2. Mai die Gewerkschaftshäuser zu besetzen, die Gewerkschaftsvorsitzenden, Bezirkssekretäre und andere zu verhaften. Das Eigentum der Gewerkschaften wurde der sogenannten „Deutschen Arbeitsfront“ einverleibt . In ihrer Furcht, die Gewerkschaften und die Arbeiterklasse könnten sich doch noch mit Massenstreiks gegen die Machtübernahme der Nazis wenden, gab Robert Ley, der Stabsleiter der NSDAP folgende Anweisung:

„Die Übernahme der freien Gewerkschaften muss in der Form vor sich gehen, dass dem Arbeiter und Angestellten das Gefühl gegeben wird, dass diese Aktion sich nicht gegen ihn, sondern gegen ein überaltertes und mit den Interessen der deutschen Nation nicht übereinstimmendes System richtet.“

Das war die Geburt des Gedankens der „Deutschen Volksgemeinschaft“

Mit diesem demagogischen Konstrukt schien es möglich, die Unterschiede zwischen Arm und Reich, zwischen Oben und Unten, zwischen Arbeiter und Kapitalisten, zwischen Opfer und Täter einzuebnen. Es galt nur noch, „was ist im nationalen Interesse“!

Arbeiter in KZs gequält oder im Krieg krepiert

Dieser Gedanke der Volksgemeinschaft verfolgt uns bis heute, wenn in Wirtschaft und Betrieben von „unserer Volkswirtschaft“ gesprochen wird, oder wenn ein Arbeitgeber heute davon spricht, das WIR uns gesundschrumpfen sollen und letztendlich nur die eigenen Profite oder die höhere Rendite der Kapitalgeber meint – die mit Entlassungen und Werksschließungen erreicht werden sollen!
Mit diesem „WIR-Gedanken“ sicherten sich die Krupps, die Kohle-und Stahlbarone, das ganze deutsche Unternehmertum ihre Rüstungs- und Kriegsgewinne, schützten sich vor Streiks und Lohnforderungen. Während ihre Arbeiter in den KZ gequält wurden oder in den Schützengräben eines verbrecherischen Krieges krepiert sind.

Deutsche sind nicht die Zahlmeister Europas

Heute in der sogenannten Finanz- und Eurokrise, sind es wieder die selben Vokabeln, die bemüht werden, den Protest und den Zorn der Menschen im Sinne einer „Volksgemeinschaft“ lenken zu wollen – indem die Krisenländer in Europa wie Spanien, Italien, Griechenland, Zypern so dargestellt werden, als ob sie selbst alleinige Schuld am ökonomischen Niedergang trügen, eben wegen ihres südländischen Schlendrians und wir Deutschen die Zahlmeister Europas wären. Aber das stimmt so nicht.

Reiche und Superreiche sind die Begünstigten in diesen Krisenjahren

Die Reichen und Superreichen sind die Begünstigten in diesen Krisenjahren. Sie profitierten von der Bankenrettung – die von der Mehrheit der kleinen und normalen Arbeitseinkommen bezahlt wird, und durch Streichungen in der öffentlichen Daseinsfürsorge – bei Krankenhäuser, beim sozialen Wohnungsbau, in der Jugendarbeit und anderen Einrichtungen flankiert wird.

Oberschicht ist nur an ihrem Profit interessiert

Natürlich gibt es in diesen sogenannten Krisenländern eine Oberschicht, genauso wie in Deutschland, denen die materiellen Verhältnisse der Arbeitenden und die Perspektive der Jugend, der Arbeitslosen und Rentner am Arsch vorbeigehen, die nur an ihrem Profit interessiert sind.

Reallohnverlust, Tarifflucht, Leiharbeit

Aber: es sind vor allem auch die Deutschen Unternehmen, die sich in den letzten Jahren Profitbedingungen von der Politik und den Belegschaften erpresst haben – und durch Reallohnverlust, durch überflexibilisierte Arbeitszeiten, durch Befristungen, durch Tarifflucht und Leiharbeit- einmalige Wettbewerbsbedingungen geschaffen haben – durch die  sie die Märkte europaweit beherrschen. Wen wundert’s da, dass sogar das EU-Land Belgien die Bundesrepublik verklagt hat wegen unzumutbarer Billiglöhne!

Wär‘ ich nicht arm, wärst du nicht reich!

Ein WIR-Gefühl zwischen Kapitalbesitzern und Belegschaften in den Betrieben kann angesichts solcher Auswirkungen nur als grobe Täuschung empfunden werden. Bert Brecht hat diesen Täuschungsversuch so entlarvt:
Reicher Mann und armer Mann standen da und sah’n sich an, und der Arme sagte bleich: Wär‘ ich nicht arm, wärst du nicht reich!

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

wer in Deutschland 10 bis 20 oder 30 Jahre gearbeitet hat – und wegen einer Betriebsstilllegung, einer Verlagerung von Produktion oder wegen Missmanagement arbeitslos wird – hat genau zwölf Monate Zeit, eine neue Arbeit zu finden oder er hat seinen finanziellen und sozialen Abstieg vor Augen. Mit der Agenda 2010 und den Hartz-Gesetzen wurde die Abschaffung der freien Berufswahl, die Ausweitung des Niedriglohnsektors und Einschnitte im Gesundheits- und Rentensystem in nie gekanntem Ausmaß durchgesetzt. Damit ist der in der Verfassung festgeschriebene Sozialstaat schwer beschädigt worden.

Arbeitsagenturen verwalten den sozialen Niedergang

Die Jobcenter bei den Arbeitsagenturen verwalten diesen Niedergang. Und es gab  noch nie so viele Sanktionen für Hartz-4-Empfänger wie in den letzten Monaten. Nach Aussagen von Arbeitsvermittlern in Jobcentern gäbe es sogar Vorgaben für Sanktionsquoten für Hartz-4-Empfänger, allein schon wegen eines verpassten Termins beim Jobcenter. Innerhalb eines Jahres müssen die Jobcenter 25 Prozent des Gesamtstandes an erwerbslosen Menschen in Arbeit vermitteln. Dabei werden dann Menschen dreimal in einem Jahr in Leiharbeit vermittelt – denn das zählt für die Bundesagentur für Arbeit jedes mal als „Integration in den Arbeitsmarkt“. Was für ein Betrug und eine Schönfärberei! Kein Wunder, dass die Arbeitsagentur Schwäbisch Hall zu fast 50 Prozent die Arbeitslosen in Leiharbeitsfirmen vermittelt und damit in die Fänge des modernen Menschenhandels treibt.

Menschliche Tragödien

Welche schwer zu ertragenden menschlichen Schicksale daraus erwachsen- möchte ich an einem Beispiel aus Schwäb. Hall aufzeigen:

Bernd P. flog aus einer Leiharbeitfirma, wegen „betriebsschädigendem Verhalten“. Er hatte sich laut Haller Tagblatt an einer Maschine verletzt, die er nicht bedienen sollte. Darauf hin bekam er eine Sperre seines Arbeitslosengeldes für zwölf Wochen. Wegen Eigenverschulden. Mit 45 Euro im Monat musste er sich verpflegen. Nur die Miete wurde von der Agentur weiter bezahlt. Irgendwann ist ihm dann die Sicherung nach einem Besuch des Jobcenters durchgebrannt. Er rief die Polizei an, beklagte sich und drohte einer Agentur-Mitarbeiterin, ihr etwas anzutun. Bernd P. wurde festgenommen und muss mit einer Anzeige rechnen. Solche Meldungen sind unerträglich. Sie sind ein Skandal. Und sie sind sicherlich kein Einzelfall. Wir hoffen sehr, dass sich die Sichtweise auf die Hartz-4-Gesetze bei der SPD und den GRÜNEN gewandelt hat. Denn: Hartz 4 muss weg!!

Es droht eine Agenda 2020

Doch leider, liebe Kolleginnen und Kollegen, es droht schon eine Agenda 2020. Deutschland kann seinen Vorsprung nur verteidigen…, wenn WIR hart an unserer Wettbewerbsfähigkeit arbeiten“, so der EX-Kanzler Schröder vor kurzem. Agenda 2020, das heißt Rente mit 70, Lockerung des Kündigungsschutzes, Ausbau der eigenfinanzierten Gesundheitsversorgung, Vorschläge die im Kern neue soziale Angriffe gegen die Lohnabhängigen, Erwerbslosen und Rentner darstellen.

„Nein, Annahme verweigert“

Wir sagen dieses Mal: „Nein, Annahme verweigert – wenn nötig mit Massenstreiks. Egal gegen welche Regierung!!“ Mit Massenstreiks hätten vielleicht 1933 die Gewerkschaften das Elend, die Zerstörung und den Massenmord verhindern können. Aber die Gewerkschaftsführung hat gezaudert, wollte sich mit der neuen nationalen Regierung nicht völlig überwerfen. Sie hatten Illussionen, das Nazi-System wird sich von alleine abwirtschaften. Diese Haltung war 1933 falsch und sie wäre auch heute falsch.

Film über Willi Bleicher am 3. Mai 2013 im Kino im Schafstall

Lasst mich zum Schluss noch auf eine Veranstaltung hinweisen, die am Freitag, 3. Mai 2013, in Schwäbisch Hall stattfindet (20 Uhr, Kino im Schafstall).

Willi Bleicher war von 1959 – 1972 Bezirksleiter der IG Metall Baden-Württemberg. Wegen seiner Überzeugung war Bleicher im KZ. In Buchenwald hatte er mitgeholfen, dass der dreijährige Jerschi Zweig, ein jüdisches Kind, das sein Vater in einem Koffer ins KZ Buchenwald schmuggelte – überlebt hat. Über Willi Bleicher gibt es einen Film, der am Freitag im „Kino im Schafstall“ gezeigt wird. Willi Bleicher hat oft sehr selbstkritisch über die Arbeiterbewegung , über unsere Gewerkschaften und den Kapitalismus gesprochen. Lasst mich mit einem Zitat von Willi Bleicher diese Begrüßungsrede beenden:

„Alles wird viel härter, viel, viel härter und dass Zeiten kommen werden, wo sie uns nicht nur die Butter vom Brot nehmen wollen, sondern auch ein Stück des Brotes, das wir bisher hatten. Vorausgesetzt, diese Arbeiterschaft verharrt in ihrem gegenwärtigen Zustand.“

Ich bedanke mich fürs Zuhören, und überlasse nun unserer Hauptrednerin bei der Mai-Kundgebung  Katharina Kaupp, Jugendsekretärin bei verdi, das Mikrofon.

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