„Der Fiskalpakt – ökonomisch unsinnig, undemokratisch und sozial verantwortungslos“ – Kommentar von Paul Michel aus Schwäbisch Hall

Der dauerhafte Rettungsschirm ESM soll am 1. Juli 2012 wie geplant in Kraft treten. Weil Angela Merkel sich ein weiteres Mal als Musterschüler Deutschland profilieren und den „Märkten“ ein positives Signal geben will, soll noch vor dem 1. Juli in Deutschland der Fiskalpakt verabschiedet sein.

Kommentar von Paul Michel, Schwäbisch Hall

Rhetorische Turnübungen des Führungspersonals von SPD und Grünen

Nach den Vorstellungen von Angela Merkel und Wolfgang Schäuble wird der Fiskalpakt am 29. Juni 2012, um 17 Uhr in einer Sitzung des Bundestages und anschließend in einer Sondersitzung des Bundesrates der Fiskalpakt durchgewunken. Unangenehm ist für die Kanzlerin, dass sie für die Verabschiedung des Fiskalpakts eine 2/3 Mehrheit braucht. Fast noch unangenehmer ist die Situation für die angepassten Oppositionsparteien SPD und Grüne. Deren Führungspersonal hat zwar keine grundsätzlichen Einwände gegen den Merkelschen Fiskalpakt, aber ein Problem mit der politischen Optik. Bei all den peinlichen rhetorischen Turnübungen des Führungspersonals von SPD und Grünen gibt es jedoch keinen Zweifel, wie das Ergebnis aussehen wird.

Was ist der Fiskalpakt ?

Der Fiskalpakt ist ein Vertrag auf europäischer Ebene, der vorsieht, dass alle Unterzeichnerstaaten bis zum 1. Januar 2014 sogenannte Schuldenbremsen einführen. Diese ist in einigen Punkten noch schärfer als die in Deutschland bereits beschlossene „Schuldenbremse“. Die VerfechterInnen des Fiskalpakts sehen in ihm das Werkzeug zur Überwindung der Krise. Auf Druck der deutschen Regierung wurde der Fiskalpakt mit dem ESM verknüpft: Künftig erhalten nur noch Länder Darlehen aus dem „Rettungsschirm“, die den Fiskalvertrag bis zum 1. März 2013 ratifiziert und die „Schuldenbremse“ ein Jahr später eingeführt haben. Wer wissen will, was die Folgen des Fiskalpakts sind, braucht bloß nach Griechenland zu schauen: Rezession in historischem Ausmaß, bespielloser Lohn- und Sozialabbau und explodierende Armut.

Von wegen „Schwäbische Hausfrau“

Der Begriff Schuldenbremse ist ein politischer Kampfbegriff, der die Dinge auf den Kopf stellt. Anders als es das populäre Märchen von der Staatsschuldenkrise erzählen will, sind die hohen Staatsschulden nicht auf laxe Haushaltspolitik zurückzuführen. Vor der großen Finanzmarktkrise ab 2008 waren in der Mehrzahl der EU-Länder die Staatsausgaben weniger angestiegen als das Sozialprodukt. Die Gründe sind woanders zu finden: Einerseits rissen die Steuergeschenke der diversen Regierungen (Rot-Grün, Schwarz-Rot, Schwarz-Gelb) für Reiche und Vermögende tiefe Löcher in die öffentlichen Haushalte. Hätten wir noch die Steuergesetze von 1998, so gäbe es jährlich 50 bis 60 Milliarden Euro mehr Steuern. Andererseits ließen die Rettungsprogramme für die Banken die Schulden europaweit explodieren. Die Bankenrettung machte wiederum aus privaten Schulden im Handumdrehen öffentliche Schulden. Die Schuldenquote des Euro-Lands kletterte von 66 Prozent auf über 85 Prozent. Wir haben in erster Linie ein Einnahmenproblem Aber die Erhöhung der Steuern für Reiche ist für neoliberale Lautsprecher das, was das Weihwasser für den Teufel ist. Deswegen das Gerede von der „Schuldenbremse“ und der schwäbischen Hausfrau. Denn da werden die Normalverdiener und die sozial Schwachen zur Kasse gebeten.

Nicht gewählte Kommissare haben das Sagen

Mit der Schuldenbremse verpflichten sich die beteiligten Staaten, nach einer begrenzten Übergangsperiode nur noch „ausgeglichene Haushalte“ oder Haushalte mit einem Überschuss vorzulegen. Wenn ein Staat die Vorschrift vom ausgeglichenen Haushalt nicht einhält, tritt ein automatischer Korrekturmechanismus in Kraft, der die Regierungen und Parlamente zu Korrekturen am Haushalt zwingt. Der betreffende Staat muss ein „Haushalts- und Wirtschaftspartnerschaftsprogramm“ mit „detaillierter Beschreibung der Strukturreformen“ vorlegen, die zu einer „wirksamen und dauerhaften Korrektur“ des Defizits führen sollen. Inhalt und Form dieser Programme werden „dem Rat der Europäischen Union und der Europäischen Kommission im Rahmen der bestehenden Überwachungsverfahren zur Genehmigung vorgelegt“, und ihre Durchführung wird von diesen Instanzen auch beobachtet. Das ist fast exakt jenes Verfahren das Griechenland im Februar 2012 aufgenötigt wurde. Das griechische Pilotprojekt bekommt somit Allgemeingültigkeit. Wer die Gewinner und Verlierer dieses Verfahrens sind, wissen wir.

Von allen Kontrollen und Vorschriften befreit

Dazu kommen noch ein paar brisante Details: Finanzmittel und Vermögenswerte des ESM genießen umfangreiche gerichtliche Immunität, das heißt, sie können nie belangt werden für das, was sie anrichten. Sie sind von allen Kontrollen und Vorschriften befreit. Der ESM unterliegt auch keiner Bankenaufsicht und keiner Regulierungsbehörde. Alle Personen, die für den ESM arbeiten, unterliegen der Geheimhaltungspflicht. Die Öffentlichkeit wird also nie erfahren, was die Finanzminister untereinander vereinbart haben. Und das Personal des ESM genießt Immunität vor den Gerichten. Mit dem ESM wird somit ein Geheimkabinett installiert, das über Recht und Gesetz steht, keinerlei Kontrolle unterliegt und nicht zur Rechenschaft gezogen werden kann.

Schaden für die Demokratie – Entmachtung der nationalen Parlamente

Der Fiskalvertrag schränkt das „Königsrecht“ der nationalen Parlamente – das Recht den eigenen Haushalt zu gestalten – massiv ein. Die nicht gewählte Europäische Kommission bekommt ein großes Mitspracherecht: Alle Länder, deren Neuverschuldung über 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) oder deren Schulden über 60 Prozent des BIP liegen müssen ihre Haushaltsgrundsätze künftig von der Kommission genehmigen lassen. Wenn dieser die Politik nicht passt, kann sie ein Veto einlegen. Die EU-Kommission bekommt de Facto die Macht, in die Haushalte der Einzelstaaten einzugreifen, was einer Entmachtung der nationalen Parlamente gleichkommt. Auch hier diente Griechenland als Testfall: Die griechische Regierung legte ihren Haushaltsentwurf zuerst in Bonn und Brüssel zur Genehmigung vor. Dann erst bekamen die griechischen Parlamentarier das Ergebnis zum Durchwinken vorgelegt.

Der Fiskalvertrag sieht keine Kündigungsklauseln vor

Einzelnen Mitgliedsstaaten ist es nicht möglich, den Vertrag einseitig zu kündigen. Der Pakt kann sich selbst nur mit Zustimmung aller Länder kündigen. Wer erst einmal unterschrieben hat, hängt drin – bis zum Sankt Nimmerleinstag!

Fiskalpakt wirkt auch in Deutschland – auch bei Städten und Gemeinden

Bisher ließ die Bundesregierung es so aussehen, als sei Deutschland von dem neuen Spar-Pakt nicht betroffen – weil in Deutschland die Schuldenbremse ja schon im Grundgesetz verankert sei. Wenn nur andere Staaten unter den Folgen des neuen Spardiktats leiden – so das Kalkül der Bundesregierung – dann muss es auch den Oppositionsparteien leichter fallen, dem Pakt im Bundestag zuzustimmen. Jetzt stellt sich raus: Alles Irreführung! Tatsächlich wird der Fiskalpakt auch deutsche Städte und Gemeinden angreifen. Denn die im Fiskalpakt vorgesehene Schuldenbremse ist noch einmal deutlich schärfer als die momentan in Deutschland schon existierende Schuldenbremse. Der Hintergrund: Die deutsche Schuldenbremse schreibt zwar dem Bund und den Bundesländern vor, die öffentlichen Haushalte zu konsolidieren, nicht aber den Kommunen. Der Fiskalpakt differenziert hingegen nicht zwischen den staatlichen Ebenen. Er schreibt lediglich vor, dass der „gesamtstaatliche Haushalt“ – also Bund, Länder, Gemeinden und Sozialversicherungen zusammengerechnet – ein maximales Defizit von 0,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) aufweisen darf. Das bedeutet insbesondere für die Kommunen eine deutliche Verschärfung.

Gnadenfrist fällt mit dem Fiskalpakt weg

Schon heute haben die Kommunen immer weniger Geld, um ihre Aufgaben wahrzunehmen. Das gilt insbesondere für die so genannten freiwilligen Aufgaben wie Kultur und Sport und natürlich der Bereich „Soziales“. Doch damit nicht genug: Die deutsche Schuldenbremse sieht vor, dass der Bund erst ab 2016 seine Defizitgrenze einhalten muss und die Bundesländer bis zum Jahr 2020 Zeit haben, um ihre Neuverschuldung auf Null zu reduzieren. Diese Gnadenfrist fällt mit dem Fiskalpakt weg. Der Fiskalpakt nimmt Ländern und Kommunen noch das bisschen Luft, das die deutsche Schuldenbremse ihnen lässt.

Nein zu ESM und Fiskalpakt

Der Fiskalpakt stellt elementare demokratische Rechte in Frage, er ist zutieftst unsozial. Die Sparpolitik geht zulasten der Arbeitnehmer, Rentner und Arbeitslosen. Staatsdiener werden entlassen, Löhne, Arbeitslosengeld und Renten werden gekürzt. Das Arbeitsrecht kommt unter die Räder. Der Schuldenknüppel trifft die Opfer der Krise. Der europäische Fiskalpakt wird den Abbau des Sozialstaates institutionalisieren. Die Beispiele der europäischen Peripherieländer von Irland bis Spanien, von Portugal bis Griechenland zeigen, dass mit den darin angelegten Methoden zwar das Elend der betroffenen Menschen gesteigert, die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Probleme nicht behoben werden können. Der Fiskalpakt braucht zwei Drittel der Stimmen im Bundesrat und im Bundestag. Der Fiskalpakt kann also noch gekippt werden. Es liegt auch an „unseren“ Bundestagsabgeordneten (von Stetten, Sawade und Harald Ebner), ob Merkel mit ihren Plänen durchkommt.

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