„Eiskalt mit notorisch gutem Gewissen“ – „Südwestpresse“ zur Krise in Griechenland

Die von weiten Teilen der Medien verbreitete Sicht der Verhältnisse in Griechenland ist die Sicht der herrschenden Kreise in der BRD. Eine dem Gefälligkeitsjournalismus und nicht kritischer Recherche verschriebene Presse beschränkt sich in weiten Teilen darauf, ihre Leserschaft mit der Meinung des Führungspersonals aus Politik und Wirtschaft einzudecken. Das gilt auch für das „Haller Tagblatt“, beziehungsweise die für den überregionalen Teil verantwortliche „Südwestpresse“.

Von Paul Michel, Schwäbisch Hall

Erpressungsversuch gegenüber den griechischen Parlamentariern

Die LeserInnen des „Haller Tagblatts“ bekommen am Vortag der Abstimmung im griechischen Parlament keine Orginaltöne aus den Reihen der Protestierenden und Streikenden zu lesen, dafür aber zum wiederholten Mal die Auffassung von EU-Währungskommissar Olli Rehn, der auch an diesem Tag die Platte auflegt, die er schon unzählige Male abgespielt hat: „Der einzige Weg zum Abwenden einer sofortigen Pleite ist für das Parlament die Annahme des Wirtschaftsprogramms“. Wenn der EU-Kommissar mit unverkennbar drohendem Unterton an die Adresse der griechischen Parlamentarier hinzufügt: „Lassen sie mich es deutlich sagen: Es gibt keinen Plan B, um die Pleite abzuwenden“, liegt es der „Südwestpresse“ völlig fern, in solchen Äußerungen einen Erpressungsversuch gegenüber den griechischen Parlamentariern zu sehen.

Leiden der Menschen ist kein Thema für die Südwestpresse

Wenn die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel am Tag darauf die Verabschiedung des Sparpakets durch das griechische Parlament als „eine wirklich gute Nachricht“ tituliert, hält das die Südwestpresse offenbar für äußerst berichtenswert. Die Leiden, die solche Beschlüsse für die überwiegende Mehrzahl der Menschen in Griechenland beinhalten, sind für die „Südwestpresse“ aber kein Thema: Im dem Artikel, der mit „Proteste gegen Sparpaket“ überschrieben ist, findet der/die Leser/in zu der Frage, was die Menschen in Griechenland zu Verzweiflung treibt, lediglich die nüchterne Aussage: „Das Sparprogramm, mit dem der Haushalt bis 2015 um 78 Milliarden Euro entlastet werden soll, beschert fast allen Griechen spürbare Einschnitte.“ Bewusst wird unterlassen, dem Leiden ein Gesicht zu geben. Deswegen unterbleiben konkrete Darstellungen der Opfer, die den Griechen schon bislang abverlangt und die von ihnen künftig abgefordert werden. Damit niemand auf falsche Gedanken kommt und doch noch Anflüge von Empathie zeigt, wird sogleich, ohne dies kenntlich zu machen, zur Sicherheit noch mal die offizielle Version der Dinge nachgeschoben:“Die tiefen Einschnitte aber sind Voraussetzung für neue Milliardenhilfen, ohne die Griechenland schon bis Ende Juli pleite wäre.“

Griechen haben ernsthafte Gründe für ihre Proteste

Da ist es schon bezeichnend, dass in einem „Brennpunkt“-Artikel, geschrieben am Vortag der Abstimmung im griechischen Parlament, nur ein einziges Mal Betroffenheit mit konkretem Leiden sichtbar wird. Nämlich im Fall von zwei jungen deutschen Touristinnen, die sich darüber beklagen, dass sie wegen des Streiks in den Häfen, nicht wie gewünscht ihre Fähre nach Naxos besteigen können. Über die Griechen erfahren wir in demselben Artikel, dass sich auf dem Athener Synthagma-Platz „Chaos-Szenen“ abspielen und dass staatliche Angestellte erneut versuchen, Griechenland lahm zu legen. Die protestierenden und streikenden Griechen erscheinen als uneinsichtige Sturköpfe. Die griechischen Gewerkschaften, als machtversessene Betonköpfe, die gern die Muskeln spielen lassen. Das Bild der Griechen, das hier von der sich vermutlich selbst als seriös bezeichnenden „Südwestpresse gezeichnet wird, unterscheidet sich zwar in der Wortwahl, nicht aber in der inhaltlichen Substanz wesentlich von dem der „BILD-Zeitung: Die Griechen sind borniert, stur und uneinsichtig. Dass sie ernsthafte Gründe für ihre Proteste haben könnten, ist kein Thema. Dagegen genießen „unsere“ politischen Verantwortlichen uneingeschränkte Unterstützung für das Spardiktat, das sie den Griechen auferlegen.

Soziale Kälte und notorisch gutes Gewissen

Soziale Kälte und ein zur Schau gestelltes notorisch gutes Gewissen zeichnen die Berichterstattung der „Südwestpresse“ aus. Das entspricht der Interessenlage der Mächtigen in Politik und Wirtschaft in der BRD, die im übrigen auch die Hauptnutznießer der angeblichen Rettungspakete sind. Die Presse tut ihr Möglichstes dafür, dass die Gedanken der Herrschenden in der gesamten Gesellschaft auch die herrschenden Gedanken sind. Dass die Wahrheit und die Menschlichkeit dabei auf der Strecke bleiben, ist leider keine neue Erkenntnis.

 

 

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