„Heilbronn stellt sich quer“ – Demobeobachter berichten von eingekesselten Demonstranten am 1. Mai 2011

Heilbronn stellt sich quer – Ablauf der Demonstration am 1. Mai 2011: Ein Bericht von Demobeobachtern (Stand: 6. Mai 2011). Über die Vorgeschichte zur Aktion der Blockierer und Demonstranten wird an dieser Stelle nicht informiert. Einzelheiten zu Zweck und Ziel der Blockade beziehungsweise Demonstration „Heilbronn stellt sich quer“ unter http://heilbronn-nazifrei.de

Von der AG Demobeobachtung

Morgens:

Die Anfahrt per Bahn und Bussen gelang ohne größere Behinderung. Die mit dem Zug anreisenden Demonstranten wurden dann aber am Bahnhof festgehalten. Es wurde von der Polizei schon bei der Einfahrt des Zuges ständig gefilmt. Das Filmen und Fotografieren wurde von der Polizei den ganzen Tag ununterbrochen durchgeführt. Zudem waren mehrere Polizeihunde im Einsatz.

Ab 9:40Uhr wurde der Bahnsteig von den Polizeikräften, unter Einsatz von massivem Zwang, geräumt. Dabei kam es zu mehreren brutalen Festnahmen. Einige Demonstranten wurden die Unterführungstreppe hinunter gestoßen. Nach der Ausleitung aus dem Bahnhof wurden die Gegendemonstranten (zwischen 400 und 500 Personen) in einem abgesperrten Bereich um zirka 10:15 Uhr eingekesselt. Dieser Polizeikessel wurde bis zirka 18 Uhr gehalten. Während dieser Zeit standen bis auf wenige Ausnahmen weder Toiletten noch Wasser zur Verfügung.

Die Demonstranten, die mit 3 Bussen gekommen waren, gelangten, indem sie der Polizei auswichen, in Bahnhofsnähe (Weststraße). Dort gelang es der Polizei die zirka 150 Personen größtenteils in zwei Kesseln festzuhalten (zirka 10 Uhr). Die etwa 80 Personen des einen Kessels wurden auf ein nahegelegenes eingezäuntes Sportgelände einer Schule gebracht. Ihnen wurde angekündigt, dass sie dort bis zum Ende des Tages festgehalten würden. So geschah es dann auch. Die anderen wurden nach einiger Zeit mit einem Bus und einem anderen Polizeifahrzeug weggebracht und ebenfalls erst abends freigelassen. Längere Blockaden der für die Nazis vorgesehen Demoroute wurden so verhindert. Diese blieben zunächst in Bahnhofsnähe, teils, weil sie an ihrem Demozug noch gehindert wurden, teils weil sie die Ankunft weiterer Teilnehmer erwarteten.

Gegen 12.30 Uhr wurde die Demoroute (Weststrasse und weiter bis zum Arbeitsamt) von der Polizei geräumt. Die (laut Aussage der Polizei) 740 Nazis konnten ihren Aufmarsch samt Abschlusskundgebung am Arbeitsamt durchführen. Aufgrund der Festsetzung konnte der nach den Protesten angesetzte Antifa-Demonstrationszug nicht stattfinden.

Zwischen 18 Uhr und 19 Uhr trennte ein äußerst massives Polizeiaufgebot (3 bis 4 Reihen Polizisten, eine Reihe Reiter) den immer noch bestehenden Kessel am Bahnhof vor Demonstranten, die die Menschen dort freigelassen sehen wollten. Die Auflösung des Kessels nach Aufhebung der Ingewahrsamnahme um 18:08 Uhr geschah nur sehr langsam, nach Abfilmen, Personalienaufnahme, Durchsuchung jedes einzelnen (bis mindestens 21 Uhr). Erst gegen 20 Uhr war der Bahnhof wieder betretbar. Das Recht auf Versammlungsfreiheit wurde für die Demonstranten massiv beschnitten.

Zwar scheint es nicht sehr viele gewalttätige Übergriffe der Polizei mit Verletzungen gegen Einzelne gegeben zu haben (uns wurde allerdings von einigen Verletzungen – zum Beispiel Prellungen, Handfraktur, Schürfwunden, und ähnliches – von Sanitätern berichtet), umgekehrt konnten wir keine Gewalt von Demonstranten beobachten, wohl konnten wir beobachten, wie die Polizei Gewalt bei den Demonstranten konstruieren wollte (Polizist zu Mitgliedern seiner Einheit: „Die haben euch überrannt; so war`s doch?“).

Chronologische Aufzeichnungen der beobachteten Ereignisse am Bahnhof:

8:17 Uhr: Ankunft in Heilbronn. Polizei hat weiträumig abgesperrt und fährt auf dem Neckar Streife mit Schlauch- und Motorbooten.

9:00 Uhr: Polizei greift hinter Werbeschild ein – Geschrei auf dem Bahnsteig. Ein Jugendlicher wird brutal zu Boden geworfen, mit Kabelbindern gefesselt und festgenommen.

9:30 Uhr: Stuttgarter Zug steht seit zirka 45 Minuten im Bahnhof. Leute werden in Gruppen von 20 bis 30 Leuten herausgelassen.

10:29 Uhr: Polizeidurchsage, Bahnhof sei versammlungsfreie Zone, fordert Demonstranten zum Gehen auf.

11:07 Uhr: Faschisten werden von Polizei zum Kundgebungsplatz geleitet – man hört Musikbeschallung der Faschisten-Demo.

13:20 Uhr: Gegendemonstranten werden im Kessel festgehalten. Die Faschisten haben ihren Demozug noch nicht gestartet.

13:37 Uhr: „Wir wollen aufs Klo“ wird skandiert. Polizei dringt in Sperrbereich ein, in dem die Demonstranten stehen. Hierbei werden diese wiederholt gestoßen.

14:11 Uhr: Naziaufzug setzt sich in Bewegung.

14:57 Uhr: Der Versammlungsleiter der für nach den Protesten angemeldeten antifaschistischen Demo hat zusammen mit der Bundestagsabgeordneten Karin Binder (Karlsruhe) die Polizei aufgefordert, die Teilnehmer zu ihrem Versammlungsort gehen zu lassen. Polizei lehnt mit der Begründung ab, dass sie nur einverstanden sei, wenn jeder einzelne Teilnehmer kontrolliert und durchsucht werden kann.

15:23 Uhr: Kessel besteht weiterhin. Polizei teilt den Demobeobachtern mit, dass die Demo nicht durchgeführt wird. Die angeblich richterliche angeordnete Ingewahrsamnahme wird den Demobeobachtern angekündigt.

16:03 Uhr: Polizei bereitet sich auf einen Einsatz vor. Helme und Handschuhe werden angezogen beziehungsweise aufgesetzt.

16:13 Uhr: Polizeiliche Verkündung über Lautsprecher, dass aufgrund einer richterlichen Anordnung alle Teilnehmer bis auf weiteres in Freiluftgewahrsam genommen werden. Begründung: Die Teilnehmer wären der Aufforderung, den Platz zu verlassen, nicht nachgekommen. Dies wäre aber von Seiten der Polizei nur möglich gewesen, wenn sich alle Teilnehmer kontrollieren und durchsuchen hätten lassen.

16:26 Uhr: Die ersten Teilnehmer bekommen gesundheitliche Probleme, da sie in der Sonne stehen und nichts zu trinken bekommen. Einzelne Teilnehmer bitten die Polizei darum, auf die Toilette gehen zu dürfen. Diese lehnt ab. Es kommt zu äußerst peinlichen Situationen, da die Teilnehmer auf dem Freigelände ihre Notdurft verrichten müssen.

16:28 Uhr: Polizei verteilt „Steckbriefe“ an Beamte. Offensichtlich sollen einzelne Teilnehmer herausgegriffen werden.

16:41 Uhr: Der Demozug der Nazis erreicht in Sichtweite den Hauptbahnhof zur faschistischen Abschlusskundgebung.

16:50 Uhr: Ein antifaschistischer Demonstrationszug mit zirka 150 Teilnehmern bewegt sich auf die Eingekesselten zu. Die Polizei geht massiv dazwischen. Hierbei wurden auch Pferde in Stellung gebracht. Es kommt zu brutalen Festnahmen.

17:35 Uhr: Beide Blöcke sind getrennt voneinander eingekesselt. Polizeiliche Weigerung, den Eingekesselten, Wasser zu geben. Auch eine Toilettenbenutzung wird nach wie vor abgelehnt.

17:57 Uhr: Die meisten Polizisten ziehen ab. Situation entspannt sich. Polizei sagt zu den Demobeobachtern, dass die Ingewahrsamnahme in den nächsten Minuten aufgehoben wird. Mehrere Wasserflaschen sind plötzlich unter den Eingekesselten. Die Herkunft des Wassers ist uns nicht bekannt.

18:08 Uhr: Die Ingewahrsamnahme wird von der Polizei über Lautsprecher aufgehoben. Jeder einzelne Teilnehmer wird nach und nach von zwei Beamten herausgeführt und einer Leibesvisitation unterzogen. Alles wird durchsucht. Alle Personen werden über den ganzen Körper abgefilmt. Auch die Ausweispapiere werden abgefilmt.

18:12 Uhr: Teilnehmer protestieren über Megafon gegen die Kontrollen.

19:15 Uhr: Etwa die Hälfte der Teilnehmer stehen noch auf dem Platz und warten auf ihre „Behandlung“.

19:20 Uhr: Die Demobeobachter beenden ihren offiziellen Einsatz. Es liegen den Demobeobachtern weitere umfangreiche Foto-, Audio- und Videoaufnahmen vor.

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