„Gelochte Augenblicke“ – Eine Fortsetzungsgeschichte von Birgit Häbich: Der Episoden zweiter Teil

„Gelochte Augenblicke“ – Eine Fortsetzungsgeschichte von Birgit Häbich: Der Episoden zweiter Teil. Die geschilderten Handlungen, Personen und Namen sind frei erfunden. Es werden keine realen Namen von Personen angegeben. Etwaige Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Begebenheiten, lebenden oder toten Personen wären rein zufällig und sind weder gewollt noch beabsichtigt.

Von Birgit Häbich

II Rechnung

… stetig leicht pulsierend rann das Blut aus der Innenseite von Carls Oberschenkel. Trotz des arg dünnen Rinnsals, verfärbte sich jedoch seine Leinenhose ganz langsam durch und durch in ein helles, leicht regenbogenfarben schimmerndes Rot. Bei diesem Anblick wurden ihm die Knie schwach und er ließ sich auf den Boden sinken. Es fröstelte ihn und er fragte sich still: Soll das nun tatsächlich mein Ende sein? Nachdem er die Frage widerstrebend mit einem eindeutigen Ja beantworten musste, erinnerte sich Carl Eugen Friedner an ein Buch, in dem Erzählungen von Menschen auf dem Sterbebett wiedergegeben werden. Es wurde berichtet was letzten Endes wirklich zählt. Das man wohl am meisten bereuen würde, was man hätte tun können, aber unterlassen hat, es zu Lebzeiten in die Tat umzusetzen. Während Carl Eugen begann die Unumgänglichkeit seines eigenen letzten Stündchens anzuerkennen, machte er in seinem Innersten eine Unterlassungsrechnung auf.

Heiligenschein

Dabei wurde ihm dann wieder heiß – waren es doch ziemlich gemeine und schlimme Unterlassungen, die er sich da geleistet hatte. Zuerst kam ihm nämlich seine geliebte Paula in den Sinn. Er hatte sie mit Fleiß betrogen und verraten. Als ihr vertrauter Steuerberater, Rechtsanwalt und Freund ließ er sie ganz gezielt geplant und eiskalt hinterrücks in die Falle laufen, die man für sie passgenau aufgestellt hatte. Und er half danach jahrzehntelang mit, den Betrug zu verschleiern und deckte die Täter samt seiner Selbst mit Schweigen zu. Leicht wäre es ihm möglich gewesen, Ross und Reiter bei der Staatsanwaltschaft, unten am Kocher in der Kreisstadt zu benennen – aber er zauderte wie eh und je. Bei seinen in letzter Zeit gemachten Versprechungen an Paula, die Bande endlich anzuzeigen, fehlte es ihm keinesfalls am Mut, den einst geschehenen Betrug aufzudecken. Nein, Carl war in den hintersten Winkeln seiner Seele lediglich beseelt von einem Heiligenschein, unter dem er sich zu weilen wähnte nämlich bei anderen im richtigen Licht dazustehen.

Schönmehlreden

In dieser selbstgefälligen Sichtweise fühlte er sich Paula artverwandt. Jedoch Paula Engel, stets darauf bedacht, in scheinbar betuchten mächtigen und einflussreichen Kreisen Eindruck zu schinden, überholte ihn in dieser Disziplin um Längen. Gewandt und mit einem undurchsichtigen Lächeln im Gesicht, schlängelte sie sich durch die kunstverständige und kulturbeflissene Öffentlichkeit der Kreisstadt. Sie gab nirgends und auch keinesfalls ein deutliches Widerwort. Nie und nimmer hätte sie sich einer Diskussion mit guten Argumenten gestellt – Paula hängte durch unterhaltsames Schönmehlreden, geflissentlicher Zustimmung und beredtem Schweigen ihr Fähnlein
nach dem Wind. Eine deutliche Parteinahme geschah ausschließlich und wohlüberlegt zugunsten von Männern in Amt und Würden. Diese waren bevorzugt Inhaber gehobener regional angesiedelter politischer Ämter und Vorsitzende verschiedener örtlicher Vereine und namhafter Einrichtungen.

Bubengymnasium

Zu Carls Bedauern waren diese Herren weit oberhalb seiner engen Wirkungskreise angesiedelt, was ihn wiederum neidisch machte. Somit verstärkte sich damals sein Wunsch und Streben, Paula aus Rache für ihre gelungene Anbiederung an andere, scheinbar einflussreiche Männer, so richtig reinzureiten. Es war nicht nur die vermeintliche Solidarität zu seinen Altersgenossen und Schulkameraden aus der Zeit im Bubengymnasium. Und selbst die Schuldigkeit, die man sich üblicherweise in honorigen Zusammenhängen zu erbringen hat, war nicht ausschlaggebend für sein schofeliges Verhalten, sogar einen ganzen Prozess für Paula Engel haushoch zu verlieren. Es war seine eigene arrogante Überheblichkeit, seine ziemlich verbohrte Besserwisserei, die er seinerzeit auch gar nicht überwinden wollte. Lieber setzte er, auch heute noch, so manchen Prozess für seine Mandanten in den Sand. Selbst seine Vorliebe für Paula Engel brachte ihn nicht dazu sein Verhalten zu ändern. Erst jetzt, im Angesicht des Todes, bereute er seine ganze gezeigte Liederlichkeit.

Geschmeichelte

Carl Eugen, er erkannte zudem, dass auch das Verbergen seines Neides und seiner Eifersucht einen falschen Eindruck bei Paula Engel entstehen ließen. Aus der jetzigen Sicht, hätte er Paula wegen ihrer Großmannssucht, in einer ausgewählten und sehr ruhigen Stunde, ansprechen müssen. Um verständlich zu machen, dass er dieses Verhalten als Verrat empfand. Weiterhin hätte er sie dann vor die Wahl stellen sollen, ob sie mit ihm so wie er war, oder mit den doch unerreichbaren Geschmeichelten zu tun haben wollte. Carl Eugen lächelte milde über seine späte Erkenntnis und konnte sich den deutlichen Nachklang nicht verkneifen, dass seine geliebte Paula damit aber sicherlich für alle Zeiten verloren für ihn gewesen wäre. Seufzend lehnte er sich mit dem Rücken an den einen Pflock des vermaledeiten Schildes und blickte aus den Augenwinkeln auf die Durchgangsstraße. Es war kein Mensch zu Fuß unterwegs, den er hätte um Hilfe anrufen können. Lediglich ein paar Laster donnerten durch die enge Kurve direkt vor seinem Eckhaus. Er spürte direkt wie die Schrift sich auf der Haut seines Rückens abzeichnete: „ANSCHEINEND GILT A BEI DR RECHTSVERDREHER – GUTMIADICHKEIT VERHILFT ZUR LIADRICHKEIT!“

Aus den Fugen geraten

Wer hatte das Schild derart bombensicher auf seinem Grund und Boden befestigt? Paula sicher nicht, so einen Aufwand hätte sie niemals bewerkstelligt. Es gab mehrere Mandanten, die dafür in Frage kommen würden. Weiter kam er in seinen geistigen Nachforschungen aber nicht, denn von weitem hörte er sein Telefon läuten. Sicherlich war das sein Freund Paul. Dieser würde nun in Zukunft alleine mit seinem vollkommen aus den Fugen geratenen Familienleben zurechtkommen müssen. Was sollte gerade er auch dazu sagen? Carl hatte keine Kinder und Problemen mit heranwachsenden Töchtern stand er schulterzuckend vis a vis.

Einfühlungsvermögen

Carl Eugen Friedner resümierte: Sein Einfühlungsvermögen gegenüber sich selber als Mann und gegenüber dem weiblichen Geschlecht, ja, das hätte er allerdings intensiver schulen müssen, um sein Mitgefühl zeigen zu können. Womöglich hätte er dann, anstatt neidisch und eifersüchtig zu sein, ein aufrichtiges Bemühen um ein liebevolles Miteinander an den Tag gelegt und wahres Verständnis, auch für sich selber, aufbringen können…

Fortsetzung folgt.

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