„Offene Gesellschaft unter Pandemie-Vorbehalt“ – Kommentar des Historikers René Schott

„Der Staat greift mit seinen Corona-Maßnahmen massiv in unser Leben ein. Was den einen medizinisch geboten erscheint, weckt bei anderen die Furcht vor Überwachung und Denunziation. Unter Verdacht und Rechtfertigungsdruck stehen heute nicht mehr diejenigen, die Freiheiten einschränken, sondern diejenigen, die sie einfordern.“

Kommentar von René Schott

Bürokratie, Denunzierung, Ausschaltung des Kritikvermögens

Das Reich des Guten“ lautet der Titel eines Buches von Philippe Muray, das im Frühjahr dieses Jahres erstmals in deutscher Übersetzung erschien. Anfang der 1990er-Jahre hatte der französische Philosoph darin eine Dystopie (Anmerkung: Anti-Utopie mit negativem Ausgang) entworfen, die der Lage unseres Landes am Ende dieses annus horribilis ähnlich ist, wenn Muray beschreibt, was das „Reich des Guten“ charakterisiert: Bürokratie, Denunzierung, die Ausschaltung des Kritikvermögens, „die obszöne Dressur der Massen“ und „die Uniformierung der Lebensweisen“.

Menschliche Leidenschaften gelten als verpönt

In Murays „Reich“ ist man ausschließlich einer Sache verpflichtet: dem „Guten“. Menschliche Leidenschaften oder gar Exzesse gelten als verpönt, der Gesundheit allein hat sich alles unterzuordnen. „Die zeitgenössische Hölle ist mit wohlmeinenden Ergebenheiten gepflastert“, hieß es bei Muray schon vor 30 Jahren.

Gleichgültig hingenommen

Und mit Ergebenheit nahmen wir 2020 untertänig hin, was uns von einer wohlmeinenden Exekutive als Therapie verordnet wurde. Wie schnell gewöhnt man sich an ein Leben, in dem der Staat sich anmaßt, über alle sozialen Kontakte selbst innerhalb der Familie und der eigenen vier Wände zu entscheiden und notfalls alle gesellschaftlichen Beziehungen – womöglich in irreversibler Weise – zu kappen. Wie rasch wird das vollständige Verbot von Kunst und Kultur zu einer mit Gleichgültigkeit hingenommenen Selbstverständlichkeit, bei der es auf die eine oder andere Lockdownverlängerung schon nicht mehr ankommt. Unter Verdacht und Rechtfertigungsdruck stehen heute nicht mehr diejenigen, die Freiheiten einschränken, sondern diejenigen, die sie einfordern.

Zynischer Maßnahmenstaat

Denn wir leben Ende 2020 in einem eindimensional normierten Maßnahmenstaat, der in vermeintlich ironischen, eigentlich aber zynischen Videobotschaften nicht etwa den Gesundheitsschutz durch Bewegung und eine ausgewogene Ernährung propagiert, sondern die von Fernsehen, Chips und Cola begleitete Lethargie zum Ideal stilisiert.

Hohe Angstkonformität

Wie sehr sich zum Ende dieses Jahres hin die einst geltenden Maßstäbe verschoben haben, zeigt die hohe Angstkonformität, mit der sich die Menschen nicht nur dem Virus, sondern auch dem starken Staat und seinen Exekutivorganen unterordnen, denn die haben im Laufe der letzten Monate mehrfach demonstriert, wie sie mit einem Federstrich Millionen von Bürgerinnen und Bürgern die Existenzgrundlage rauben und sie zu Almosenempfängern machen können.

Schwarze Pädagogik

Mit schwarzer Pädagogik, vor der jeder Erziehungsratgeber warnt, werden Staatsbürger von oben herab diszipliniert: Wer sich jetzt abschottet, dem wird erlaubt, vielleicht Weihnachten zu feiern. Eventuell darf bald wieder Sport im Verein treiben oder im Chor singen, wer sich regelkonform verhält – wobei sich diese Regeln ständig ändern können. Die infantilisierende Wenn-dann-Rhetorik ist einer aufgeklärten Demokratie unwürdig. Doch nur das Wohlverhalten wird belohnt. Allein die „Vernunft“ regiert.

„Gefährder“

2020 hat aus jedem Mitmenschen zuallererst einen potenziellen Virenträger und damit „Gefährder“, ein Terminus aus der Terrorismusbekämpfung, gemacht. Und weil das die Zahlen nicht hergeben, wird Kants „kategorischer Imperativ“ zu einem „pandemischen“ pervertiert: Jeder solle sich einfach so verhalten, als sei er infektiös. Dabei ist nicht weniger als eine Zäsur zu konstatieren, die das sich dem Ende neigende Jahr markiert: Die offene Gesellschaft steht unter Pandemievorbehalt. Wenn Corona der von der Politik ausgerufene Charaktertest für unsere Gesellschaft ist, dann legt er offen, dass der Mehrheit der Deutschen ihre Vorräte an Toilettenpapier und Konserven wichtiger sind als ihre Grundrechte.

Fanatismus und Hysterie

Es steht zu befürchten, dass uns selbst eine Impfung nicht hinter die ins Autoritäre und in die Totale gerückten Verhaltensregeln zurückführen wird. Denn in Umfragen werden sie stets von einer Mehrheit goutiert, fordert eine nicht unbeträchtliche Minderheit sogar ihre Verschärfung. Wer noch abweicht, wird geächtet. Dabei warnte schon Hannah Arendt, dass „massenhafte Übereinstimmung […] nicht das Ergebnis einer Übereinkunft, sondern ein Ausdruck von Fanatismus und Hysterie“ ist.

Exekutive Exzesse

Begleitet werden die exekutiven Exzesse von einem besorgniserregenden Neusprech in Politik und Medien, in der die Maske „als Instrument der Freiheit“ und die Inzidenzziffer „als Mutter aller Zahlen“ gilt und in Zeitungen geschichtsvergessene Slogans wie „Leid lehrt Disziplin“, „nationale Kraftanstrengung“ und „Disziplin ist Freiheit“ zu lesen sind. Mit Worten wird so eine Wirklichkeit geschaffen, die der Dystopie Murays gefährlich nahekommt.

Info:

René Schlott ist Historiker und Publizist in Berlin. Er wurde 1977 in Mühlhausen geboren und studierte nach einem Diplom der Betriebswirtschaft Geschichte, Politik und Publizistik in Berlin und Genf. 2011 hat er mit einer kommunikationshistorischen Arbeit an der Universität Gießen promoviert.

Der Beitrag wurde auf Deutschlandfunk Kultur gesendet:

https://www.deutschlandfunkkultur.de/pandemie-und-freiheitsrechte-die-offene-gesellschaft-steht.1005.de.html?dram:article_id=488282

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„Lang beschattete Täler“ – Eine Fortsetzungsgeschichte von Birgit Häbich: Der Episoden sechsundzwanzigster Teil


„Lang beschattete Täler“ – Eine Fortsetzungsgeschichte von Birgit Häbich: Der Episoden sechsundzwanzigster Teil. Die geschilderten Handlungen, Personen und Namen sind frei erfunden. Es werden keine realen Namen von Personen angegeben. Etwaige Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Begebenheiten, lebenden oder toten Personen wären rein zufällig und sind weder gewollt noch beabsichtigt.

Von Birgit Häbich

XXVI Wende

… am nächsten Morgen erwachte Carl wie in einem dichten Nebel. Er kam nur ganz langsam zur Besinnung und versuchte den gestrigen Tag zu rekapitulieren. An Paulas Besuch erinnerte sich sofort und war hocherfreut – sie hatte ihm zugesagt – sie würde nachkommen. Sein schlechtes Gewissen darüber, ihr einst mit seinem miserablen Verhalten erheblich geschadet zu haben, belastete jedoch sein empfindsames Gemüt immer noch schwer. Zusammen mit der Wirkung des gestern Abend insgesamt im Übermaß einverleibten Rebensaftes, lag er regungslos in seinem Bett und vermied jede Bewegung, die seinen Kopf erschüttern könnte. Es fühlte sich an, als ob er sich zur vollen Stunde in einem Glockenturm befinden würde.

Stets verleugnen

Trotz der dumpfen Schwere seines Kopfes, hörte Carl Eugen nicht auf zu denken und ließ den unvermittelt auftauchenden Bildern freien Lauf. Er erinnerte sich daran, dass er damals nach der verlorenen Verhandlung vor dem Heilbronner Landgericht, jede Nähe zu Paula vermied. Am Telefon in seiner Kanzlei – die sich seinerzeit nicht mehr zentral in der malerischen Kocherstadt, sondern außerhalb in der östlich gelegenen Peripherie befand – ließ er sich von seinen Bürohilfen stets verleugnen. Rigoros und ohne jede Erklärung verweigerte er Paula die sonst übliche Aussprache. Besonders nach verlorenen Verhandlungen, ist es zwischen Rechtsanwalt und Mandant üblich, eine Prozessnachlese zu machen. Mit dieser guten Sitte brach er seinerzeit, ohne sich Paula in irgendeiner Art und Weise weiter zu erklären. Carl setzte sich damit nicht nur über übliche Umgangsformen in der Juristerei hinweg, sondern ließ Paula als seine Mandantin eiskalt im Regen stehen. Der Frau, die auf ihn baute, hatte er mit seinem unprofessionellen Gebaren nicht nur erheblich geschadet, sondern ihr zudem eine tiefe Verletzung zugefügt. Waren sie sich doch davor jahrelang und weitaus mehr als nur in einem geschäftlichen Beratungsverhältnis zugetan.

Scham

Bei der Vorstellung, Paula würde zu ihm in seine Kanzlei kommen und sich ihm nähern, erfasst ihn schlagartig eine lähmende Beklemmung. Er mied damals ebenfalls tunlichst jede mögliche Begegnung in der Öffentlichkeit; Termine mit interessanten Vorträgen und zu illustren Ausstellungen, die in seinem Kalender vermerkt waren, verstrichen, ohne von ihm überhaupt wahrgenommen zu werden. Die Lust sich irgendwo in der kulturellen Öffentlichkeit zu zeigen, war ihm vor lauter Scham, innerer Verwirrung und Sprachlosigkeit komplett vergangen.

Wie kastriert

Carl Eugen Friedner fühlte sich schon vor der Verhandlung vor dem Heilbronner Landgericht wie kastriert. Es war ihm damals unmöglich gewesen, Paula schlüssig zu erklären, dass er die vermaledeite Gerichtsverhandlung dann quasi für seine Mutter verloren hatte. Er seiner Mutter die Liebe als kastrierter Sohn, seine Unterordnung zeigen wollte. Damit demontierte er sein Selbstbild einer intelligenten und mächtigen Persönlichkeit. Und wähnte sich überdies in Unschuldsgedanken weil er sich wehrlos, wie ein kleiner Junge, der Macht der Mutter ausgeliefert sah und meinte sein Leben nicht leben zu dürfen. Nein! Was für ein Bild von einem kindischen Mann zeigte er damals der geliebten Frau? Er musste Paula unbedingt erklären, dass er in ihr für eine Weile seine Mutter sah und seiner damals noch völlig unbewussten Geschichte als Sohn, auf den Leim gegangen war. Was würde Paula nächste Woche dazu sagen? Ein ernüchternder Gedankenblitz schoss ihm durch den Kopf: Was, wenn Paula Engel ihm anstatt Verständnis zu zeigen, irgendwann in aller Öffentlichkeit, vor allen Leuten und hocherhobenen Hauptes eine knallen würde? Es wäre ihr nicht zu verdenken – denn diese Backpfeife hätte er fürwahr, mehr wie verdient!

Küche auf Hochglanz gebracht

Kaum hatte Carl diesen Gedanken zu Ende gedacht klingelte es. Er schlüpfte in seine bereitgelegte Hose und zog sich einen Pullover über, während er barfuß die Treppe hinuntereilte. Paul stand vor der Türe, betrachtete ihn von oben bis unten und grinste ihn wissend an: „Na, wie war es gestern?“ Die Hintergründe des gestrigen Abends, wollte Carl nun nicht mit dem Freund unter freiem Himmel erörtern und zog ihn kurz angebunden mit den Worten, „Los, Paul, komm rein“, in den Hausgang und schloss die Haustüre, „so bald habe ich nicht mit dir gerechnet, Paul. Aber schön, dass du jetzt da bist.“ Und die Freunde schlossen sich für eine gute Weile in die Arme. Nach diesem Zeichen echter Wiedersehensfreude, ging Carl voran und Paul folgte ihm in die blitzblank geputzte Küche. „War sie gar nicht da?“, fragte Paul erstaunt. „Doch! Den ganzen langen Abend“, erwiderte Carl. „Aber es sieht alles so aufgeräumt aus“, stellte Paul Carls Worte weiterhin in Frage: „Wie machst du das Carl? Du hast ihr doch ein ganzes Menü präsentiert? Und sag, vielleicht noch etwas mehr?“ und fügte süffisant lächelnd hinzu, „hat sie dir noch beim Aufräumen geholfen?“ „Nein, Paula wollte nach Hause und dann hat noch der Heiner angerufen. Und danach habe ich zur besseren Verdauung die ganze Küche auf Hochglanz gebracht. So wurde es halt spät“, beendete Carl seinen wahrheitsgetreuen Bericht an den neugierigen Freund.

Zweifelhafter Impfstoff

„Ich bin gespannt auf das Wasserkraftwerk* und was der Heiner uns da alles noch zur derzeitigen deutschen Energiepolitik* verdeutlichen wird“, wechselte Paul nun das Thema. „Es wird schwierig sein, Leute zum Mitmachen zu bewegen. Etwas konkret zu tun, sich direkt in Vorgänge einzumischen, die einen so unmittelbar, wie die Energie- und Wasserversorgung betreffen und direkt etwas angehen, war vor hundert Jahren bereits außergewöhnlich mutig, und ist auch heute noch nicht konform. Man lässt sich in der deutschen Republik lieber von Volksvertretern gängeln, anstatt selber etwas in Gang zu setzen und am Laufen zu halten. Breitgefächerte und vielfältige Demokratie nützlich und tagtäglich anzuwenden, mit Inhalten zu beleben und sie in langwierigen Denk- und Diskussionsprozessen dann auch noch tatsächlich umzusetzen, ist der klugen und gebildeten Bevölkerung sowohl im östlichen, als auch im westlichen Deutschland nicht eigen“, dozierte Paul unbeirrt weiter: „Und jetzt, wo im Rahmen der >Karinakrise< alles nur noch auf den Einsatz eines zweifelhaften Impfstoffes starrt, ist eine sinnvolle und kluge Auseinandersetzung, auch mit allen anderen Themen, auf lange Sicht gestorben. Man tanzt ja auch auf meinem Kontinent wie verblödet, um das neue goldene Kalb* herum; es sieht so aus, als würden sowohl die gewählten, als auch die selbsternannten Fürsten seit Monaten global und gezielt Ängste schüren, um die Situation schamlos für ihre eigennützige Machtgeilheit und ihre maßlose Geldgier auszunützen.“

Wache Zivilgesellschaft

Carl wollte Pauls düstere Prognose nicht unkommentiert im Raum stehen lassen und fügte seine lichten Gedanken hinzu: „Man kann nur hoffen, dass unsere wache Zivilgesellschaft sich bald ein Herz fasst, um den derzeitigen Wahnsinn >des an die Wand-Fahrens unserer Wirtschaft< beendet und die Weiterentwicklung unserer gewachsenen und gepflegten gesellschaftlichen Kultur endlich durch konstruktives und sinnvolles Handeln wieder aufleben lässt.“ … Fortsetzung folgt.

Nachtrag zur 24 Episode:

Der angegebene Link hat nicht funktioniert, bitte diesen verwenden, um die Rebsorte *Trollinger erklärt zu bekommen:

https://de.wikipedia.org/wiki/Trollinger

*Wasserkraftwerk: http://www.voehrenbach.de/linachtalsperre/linachkraftwerk/index.html

*Deutsche Energiepolitik:
https://www.umweltinstitut.org/mitmach-aktionen/geht-uns-aus-der- sonne.html?activeTab=3&utm_source=CleverReach&utm_medium=email&utm_camp aign=Newsletter+-+03.12.2020_EEG+Aktion&utm_content=Mailing_7637299

*Goldenes Kalb: https://de.wikipedia.org/wiki/Goldenes_Kalb

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„Friedrich Engels neu entdeckt“ – Zum politischen Frühschoppen im Gaisburger Waldheim anmelden

Einen politischen Frühschoppen mit dem Titel „Friedrich Engels neu entdeckt“ bietet das Gaisburger Waldheim (Stuttgart-Gaisburg) gemeinsam mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung als Präsenzveranstaltung an. Die Veranstaltung findet am Sonntag, 13. Dezember 2020, um 11.30 Uhr statt.

Informationen von Adele Sperandio, Stuttgart

Es spricht beim politischem Frühschoppen im Waldheim Stuttgart-Gaisburg Erhard Korn, Vorsitzender der Rosa-Luxemburg-Stiftung Baden-Württemberg.

Anmeldungen

Über die Internetseite bw.rosalux.de

Per E-Mail an bawue@rosalux.org 

Abstände und Maskenpflicht werden eingehalten.

Kommentar von Adele Sperandio:

An einem Sonntagvormittag ist es kein Problem, das Gaisburger Waldheim zu erreichen. Ich bin sehr froh, dass es gelungen ist,  im schönen Saal des Gaisburger Waldheims diese wichtige Veranstaltung zur Erinnerung an Friedrich Engels live anzubieten und nicht nur als Videoübertragung. Wir sollten selber auf unser Augenmaß vertrauen und uns nicht dadurch schrecken lassen, dass die Rechte im Übermaß die Coronakritik okkupiert hat.

Weitere Informationen im Internet:

bw.rosalux.de

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