Geschichtsvergessenheit im Stuttgarter Gemeinderat – Toleranz à la CDU?

Vier Stadträte der CDU haben sich in einem Antrag an den Stuttgarter Gemeinderat unter der Überschrift „Rechtsextremismus bekämpft man nicht mit Linksextremismus“ am 2. Februar 2010 „empört und beunruhigt“ gezeigt über eine Veranstaltung, die der Stadtjugendring Stuttgart (SJR) am 2. März 2010 plant.

Pressemitteilung der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten (VVN-BdA), Kreisvereinigung Stuttgart

Demokratie stärken – Rechtsextremismus bekämpfen

Als Ergänzung der gleichzeitig im Stuttgarter Rathaus gezeigten Ausstellung „Demokratie stärken – Rechtsextremismus bekämpfen, Baden-Württemberg für Toleranz und Menschlichkeit“ will der Stadtjugendring mit einem Vortrag über die rechte Musikszene und die darin transportierten rassistischen und faschistischen Ideologien informieren. Dazu hat der SJR eine Kennerin dieser Szene eingeladen, die sich seit langen Jahren nicht nur damit befasst, sondern auch im Arbeitskreis „Antifaschistische Stadtrundfahrten und Stadtrundgänge“ des SJR aktiv mitarbeitet.

Linksextremistische Aktivitäten

„Empört“ sind die CDU Stadträte allerdings nicht über die rechte Musikszene, sondern über die Referentin. Diese sei „Landesvorsitzende des Vereins ‚Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes‘ (VVN), der von „den Bundesverfassungsschutzbehörden als ‚linksextremistisch‘ eingestuft und vom Landesverfassungsschutz „wegen linksextremistischer Aktivitäten“ beobachtet werde. „Deshalb“, so die Gemeinderäte, „können wir es nicht akzeptieren, dass solche Veranstaltungen in Kooperation und unter dem Schirm der Landeshauptstadt ausgerichtet werden.“

CDU-Stadträte beschimpfen Referentin als „Linksextremistin“

Das meiste in der Begründung stimmt zwar nicht – die Referentin ist weder Landesvorsitzende, noch wird die VVN-BdA im Bundesverfassungsschutzbericht erwähnt. Der Landesverfassungsschutzbericht dagegen weiß zwar auch von keinen „linksextremistischen Aktivitäten“ zu berichten, erwähnt die VVN-BdA aber regelmäßig dennoch unter der Rubrik „linksextremistisch beeinflusste Organisation“ in seinem jährlichen Bericht. Die Begriffe „Linksextremismus“ und „Linksextremist“ sind anderswo weder rechtlich noch wissenschaftlich definiert. Den CDU-Stadträten reicht das aber alles aus, die Referentin, die sie gar nicht kennen, namentlich als „Linksextremistin“ zu beschimpfen. Das tun sie ausgerechnet im Zusammenhang mit einer von der Stadt Stuttgart im Rathaus vorgestellten Ausstellung gegen Rechts, deren Unterzeile „Für Toleranz und Menschlichkeit“ lautet.

Widerstandskämpfer von OB Schuster und Ministerpräsident Teufel geehrt

Schlimmer ist aber, dass die vier Stadträte zwar ausdrücklich die „gute und fachlich qualifizierte historisch-politische Jugendarbeit“, die der Stadtjugendring „in vielen Jahren aufgebaut hat“, loben, selbst aber einer erschreckenden Geschichtsvergessenheit verfallen sind. Die antifaschistischen Stadtrundfahrten und Stadtrundgänge waren von den Zeitzeugen, Widerstands­käm­pferInnen und Opfern des Faschismus aus der VVN-BdA initiiert und maßgeblich gestaltet worden. So steht es im Vorwort der Broschüre „Stadterkundungen“ des SJR, die diese Form der Jugendbildung begleitet. Zum 20. Jubiläum dieser Stadtrundfahrten im Jahre 2000 wurden die VVN-Mitglieder Erwin Holzwarth, Gertrud Müller, Hans Gasparitsch und Alfred Hausser vom SJR dafür ausdrücklich geehrt. Überdies erhielten die beiden letztgenannten aus der Hand des derzeit amtierenden Oberbürgermeisters Schuster das Bundesverdienstkreuz verliehen. Dem langjährigen Vorsitzenden und Ehrenvorsitzenden der VVN-BdA, Alfred Hausser, gratulierte der damalige Ministerpräsident Teufel zum 90. Geburtstag 2002 mit den Worten: „Ich verbinde damit zugleich meine Anerkennung für Ihr couragiertes Eintreten gegen die Gewaltherrschaft des Nationalsozialismus und die Bewahrung des Vermächtnisses der Widerstandskämpfer im Dritten Reich.“

Welt­um­spannende Anti-Hitler-Koalition bezwang faschistische Bestie

Alle vier waren zum Zeitpunkt, als sie solchen Widerstand leisteten, Mitglied der KPD beziehungsweise des kommunistischen Jugendverbandes. Sie haben wie viele Tausende mit ihnen bewiesen, dass man den Faschismus, den man heute gerne auch „Rechtsextremismus“ nennt, mit Hilfe der Linken sehr wohl bekämpfen kann – im Zusammenwirken aller, die für Menschlichkeit einzutreten bereit sind. Das bewies auch die welt­um­spannende Anti-Hitler-Koalition. Nur dem Zusammenwirken von Staaten, Armeen und Widerstands­grup­pen in vielen Ländern konnte es schließlich gelingen, die faschistische Bestie zu bezwingen. Es waren nach der Begrifflichkeit der CDU-Stadträte ausgewiesene „Linksextremisten“, nämlich Soldaten der Roten Armee, die vor 65 Jahren unter anderem das Konzentrationslager Auschwitz befreiten.

Notwendige Zusammenarbeit aller wach halten

Im deutschen Widerstand haben die Linken, die Arbeiterbewegung und darin besonders die Kommunisten, nachweislich und unbestreitbar die zahlenmäßig größten Opfer erbringen müssen. Nach der Befreiung haben sich die wenigen Überlebenden des Widerstandes in der VVN zusammengeschlossen mit dem Ziel, diese Erfahrung der notwendigen Zusammenarbeit aller wach zu halten und nie wieder einen neuen Faschismus zuzulassen. Diese Aufgabe verfolgt die VVN-Bund der Antifaschisten, der nun eine neue Generation von NazigegnerInnen angehört, bis heute. Vor diesem Hintergrund gehen wir davon aus, dass weder der Oberbürgermeister noch die Mehrheit des Gemeinderates der versuchten Ausgrenzung und Verächtlichmachung einer engagierten Nazigegnerin und einer auch in unserer Stadt wichtigen Organisation folgen werden.

Die VVN-BdA Stuttgart fordert dazu auf einen Offenen Brief an OB Schuster und die Stuttgarter Stadträte zu unterschreiben, um diese zu einer postitiven Entscheidung zu bewegen. Der Offene Brief zum Herunterladen: Offener_Brief_VVN-BdA

Die unterschriebenen Offenen Briefe sollen an folgende Adresse geschickt werden:

VVN-Bund der Antifaschisten Baden-Württemberg e.V., Böblinger Str. 195, 70199 Stuttgart, Telefon 0711/603237, Fax 0711/600718, E-Mail baden-wuerttemberg@vvn-bda.de

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3 Gedanken zu „Geschichtsvergessenheit im Stuttgarter Gemeinderat – Toleranz à la CDU?

  1. Die CDU-Leute haben aber recht. Der VVN-BdA ist ein kommunistische Vorfeldorganisation und wurde bis 1989 fast ausschließlich von der diktatorischen DDR finanziert. Jede Diktatur ist mit der demokratischen Verfassungsidee des Grundgesetzes unvereinbar.

  2. Sehr geehrter Freidenker60,
    was ist denn eine „kommunistische Vorfeldorganisation“?

    Bitte um Aufklärung.

    Ralf Garmatter, Hohenlohe-ungefiltert

  3. Das ist eine Organisation, die zwar nach außen sich selbständig gibt, aber aufgrund der Besetzung ihrer Führungspositionen mit Mitglieder kommunistischer Parteien (hier vor allem DKP und Partei Die Linke alias PDS alias SED)von diesen beherrscht wird und die schon aufgrund ihrer Finanzierung durch die diktatorisch herrschende SED von dieser sozialistischen Partei abhängig war (siehe auch:
    http://de.wikipedia.org/wiki/Vereinigung_der_Verfolgten_des_Naziregimes_%E2%80%)93_Bund_der_Antifaschistinnen_und_Antifaschisten

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