„Wilhelm Zieher wurde 1941 in Hadamar vergast“ – Gedenkstätte in Hessen bestätigt den Mord an dem Kleinbauern aus Gaggstatt-Mistlau

Jahrzehntelang ungeklärt blieb das Schicksal des Kleinbauern Wilhelm Zieher aus Kirchberg/Jagst-Mistlau. „Er ist während der Nazizeit nachts abgeholt worden“, berichteten Mistlauer Zeitzeugen in den 1990er Jahren. „Danach ist er nie mehr wiedergekommen. Wahrscheinlich wurde er von den Nazis umgebracht“, vermutete seinerzeit eine Nachbarin aus dem heutigen Kirchberger Teilort. Dieser Verdacht hat sich inzwischen bestätigt. Wilhelm Zieher wurde am 17. Juni 1941 im hessischen Hadamar vergast. Zwei weitere Bewohner des Altenheims Tempelhof bei Marktlustenau (Altkreis Crailsheim) wurden am gleichen Tag ebenfalls in Hadamar ermordet.

Von Ralf Garmatter, Hohenlohe-ungefiltert

Nazis verschleierten Todesdatum

Recherchen von Hohenlohe-ungefiltert in der Gedenkstätte Hadamar haben inzwischen ergeben, dass Wilhelm Zieher von Nazi-Handlangern tatsächlich umgebracht wurde. Gestorben ist der Mann aber nicht wie es die Nationalsozialisten den deutschen Behörden zur Verschleierung falsch mitteilten am 30. Juni 1941, sondern bereits am 17. Juni 1941. Das war der Tag an dem Wilhelm Zieher, Georg Lackner und Georg Feuchter von der Heilanstalt Weinsberg nach Hadamar in Hessen verlegt worden waren. Drei Monate vorher, am 14. März 1941, waren die drei Männer vom Altersheim Tempelhof nach Weinsberg gekommen. Offiziell, um festzustellen, ob sie noch arbeitsfähig waren. Bereits Anfang Oktober 1940 waren zwei Ärzte, Dr. Otto Mauthe und Dr. Eyrich, auf Grund eines Erlasses des württembergischen Innenministeriums ins Altersheim Tempelhof bei Crailsheim gekommen. Der Anstaltsleiter Otto Knöll berichtete 1948 als Zeuge im Grafeneck-Prozess gegen Otto Mauthe wegen Euthanasie, dass er zunächst nicht erfuhr, „welche Kranken die beiden Ärzte zur Abholung ausgesucht haben“. Fünf Monate später, am 14. März 1941, mussten Wilhelm Zieher, Georg Lackner und Georg Feuchter nach Weinsberg verlegt werden, sagte Tempelhof-Leiter Otto Knöll 1948 in seiner Zeugenaussage weiter.

Claudia Stul, Pädagogische Mitarbeiterin der Gedenkstätte Hadamar schreibt am 15. Juni 2020 in ihrer Antwort auf eine Anfrage von Hohenlohe-ungefiltert:

„Von Weinsberg gelangte Herr Zieher in einem Transport mit 23 weiteren Patientinnen und Patienten am 17. Juni 1941 nach Hadamar. Die Patientinnen und Patienten eines solchen Transports wurden in der Regel noch am Tag der Ankunft in die im Keller der Anstalt befindliche Gaskammer geschickt und ermordet. Das damals offiziell mitgeteilte Todesdatum und die Todesursache wurden falsch angegeben, um Angehörige und Behörden zu täuschen. Hadamar war zwischen Januar und August 1941 in die so genannte „Aktion T4“ eingebunden. Der Sitz der Verwaltungszentrale war in der Tiergartenstraße 4 in Berlin. Nach der Ermordung der Menschen wurden die Patientenakten nach Berlin verschickt. Dort sind sie zum großen Teil bis Kriegsende vernichtet worden. Dies geschah zumindest zum Teil absichtlich durch das dortige Personal. Die verbliebenen Akten wurden von der Stasi archiviert. In den 1990er Jahren sind diese Akten „wiederentdeckt“ worden und in die Bestände des Bundesarchivs Berlin überführt worden. Für die 1941 über 10.000 in Hadamar ermordeten Menschen befinden sich dort heute etwa 3.000 Akten. Wir haben eine Kooperation mit dem Bundesarchiv und können anhand der Unterlagen recherchieren, ob dort eine Patientenakte vorhanden ist. Leider ist unseren Unterlagen zufolge die Patientenakte von Herrn Zieher nicht mehr erhalten, so dass wir nicht in der Lage sind nähere Angaben zur Kranken- und Verfolgungsgeschichte zu machen. Es muss davon ausgegangen werden, dass die Akte bis Kriegsende vernichtet wurde.“

Am Ankunftstag ermordet

Ebenfalls am 17. Juni 1941 getötet wurden in Hadamar zwei weitere Männer aus dem Altersheim Tempelhof bei Marktlustenau: Georg Lackner aus Kupferzell und Georg Feuchter aus Michelbach. Wilhelm Zieher, Georg Lackner und Georg Feuchter waren am 14. März 1941 vom Altersheim Tempelhof in die Anstalt Weinsberg verlegt worden. In Weinsberg mussten sie bleiben, bis sie am 17. Juni 1941 in die Tötungsanstalt Hadamar transportiert wurden. „Dort wurden sie am Ankunftstag ermordet“, berichtet die pädagogische Mitarbeiterin der Gedenkstätte Claudia Stul. Weinsberg sei zu diesem Zeitpunkt eine so genannte „Zwischenanstalt“ für die Tötungsanstalt Hadamar gewesen. „Von Januar bis August 1941 war Hadamar eine von sechs „Euthanasie“-Tötungsanstalten der „Aktion T4. Das heißt, Patientinnen und Patienten aus anderen Anstalten wurden in `Zwischenanstalten´ zunächst gesammelt und bald darauf nach Hadamar verlegt“, erklärt Claudia Stul weiter. „Leider sind unseren Unterlagen zufolge die Patientenakten von Herrn Lackner sowie von Herrn Feuchter ebenfalls nicht mehr erhalten, so dass wir nicht in der Lage sind, nähere Angaben zur Kranken- und Verfolgungsgeschichte zu machen. Es muss davon ausgegangen werden, dass die Akten bis Kriegsende vernichtet wurden.“

Weitere Informationen im Internet und Kontakt zur Gedenkstätte Hadamar:

Mönchberg 8 / 65589 Hadamar

Telefon: 06433-917442

Fax: 06433-917175

E-Mail: claudia.stul@lwv-hessen.de

Internet: www.gedenkstaette-hadamar.de

Weiterer Artikel in Hohenlohe-ungefiltert über das Schicksal des Kleinbauern Wilhelm Zieher vom 19. April 2020:

„1941 in die Tötungsanstalt Hadamar verlegt“ – Nazis fällten Todesurteil über Wilhelm Zieher, einen Kleinbauern aus Gaggstatt-Mistlau

https://www.hohenlohe-ungefiltert.de/?p=26457

Weitere Informationen über das Mordopfer Wilhelm Zieher:

Wilhelm Zieher am 5. Dezember 1881 im heutigen Kressberger Teilort Mariäkappel geboren. Am 7. September 1907 heiratete er in Gaggstatt Babette Göller aus Gaggstatt-Mistlau. Das Paar bewirtschaftete einen kleinen Bauernhof in Mistlau. Nach Aussagen von Zeitzeugen hatten sie keine Kinder. Die Frau sei vor dem Mann gestorben. Wilhelm Zieher musste am 1. März 1939 seinen Hof in Mistlau verlassen und wurde im Altenheim Tempelhof bei Marktlustenau untergebracht. Am 14. März 1941 wurde er nach Weinsberg verlegt. Der Sterbeort von Wilhelm Zieher ist im Familienregister des Standesamts Kressberg (Gemeinde im heutigen Landkreis Schwäbisch Hall) „unleserlich“ eingetragen, sagte eine Rathaus-Mitarbeiterin auf Nachfrage. Das bisher angenommene Sterbedatum war der 30. Juni 1941. Durch die Auskunft der Gedenkstätte Hadamar auf die Nachfrage von Hohenlohe-ungefiltert gibt es jetzt Gewissheit, dass Wilhelm Zieher, Georg Lackner und Georg Feuchter aus dem Altersheim Tempelhof am 17. Juni 1941 in Hadamar ermordet wurden.

Weitere Informationen der Gedenkstätte Hadamar zu Georg Lackner und Georg Feuchter:

Georg Lackner, geboren am 29. Mai 1883 (Anmerkung der Redaktion: in Kupferzell), wurde zu einem uns unbekannten Datum in die Anstalt Tempelhof aufgenommen.

Georg Feuchter, geboren am 26. April 1876 (Anmerkung der Redaktion: in Michelbach) wurde zu einem ebenfalls uns unbekannten Datum in die Anstalt Tempelhof aufgenommen. Von dort wurden beide am 14. März 1941 in die Anstalt Weinsberg verlegt.

Von Weinsberg gelangten Georg Lackner und Georg Feuchter im selben Transport wie Wilhelm Zieher mit 22 weiteren Patientinnen und Patienten am 17. Juni 1941 nach Hadamar und wurden dort am Ankunftstag ermordet.

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