„Das Erste zum Leben sind Wasser und Brot“ – Positionspapier des Evangelischen Bauernwerk Württemberg zur Welternährung

Anlässlich der internationalen Diskussionen um Klimaschutz, Welternährungssicherung und der Förderung von Agro-Energien hat sich das Evangelische Bauernwerk Württemberg über seinen Arbeitskreis Internationale Landwirtschaft (AKIL) mit der aktuellen Situation der Landwirtschaft in den Entwicklungsländern befasst. Wir fordern, das Anliegen weltweiter Gerechtigkeit und der Bekämpfung von Armut und Hunger im öffentlichen Bewusstsein voranzubringen und im politischen Handlungsrahmen konsequenter als bisher zu verfolgen.

Positionspapier des Evangelische Bauernwerk in Württemberg ein Positionspapier zur Welternährungssituation

„Das Erste zum Leben sind Wasser und Brot“ (Sirach 29,21) – Hungerbekämpfung als erstes christliches Gebot

Sorge um die Welternährung

Im Hinblick auf die Welthungersituation gibt es eine Reihe aktueller Anlässe, die uns veranlassen, uns zu Wort zu melden:

Weltweit gerechtere Strukturen sind bisher nicht ansatzweise erreicht worden. Armut, Hunger, Unterentwicklung, fehlende Bildungschancen und mangelhafte Gesundheitsvorsorge prägen nach wie vor die Lebenssituation von Millionen von Menschen; die Zahl der Hungernden hat sich gegenüber dem angestrebten UN-Millenniumszielen sogar auf über eine Milliarde gesteigert.

Die Auswirkungen der weltweiten Klimaerwärmung, d.h. die Zunahme der Extreme wie Dürre und Unwetter beeinträchtigen in vielen Regionen der Welt, besonders in den Tropen und Subtropen die Landwirtschaft und verschärfen damit das Hungerproblem.

Auch der weltweite Trend zur Bioenergie führte zur Verknappung der landwirtschaftlichen Anbauflächen, verteuerte das Nahrungsangebot und verschärfte die Ernährungs- und Hungerproblematik. Die dadurch entstehende Hochphase der Agrarpreise im Jahr 2008 hat die prekäre Situation der Welternährung in den ärmsten Ländern in teilweise gewaltsamen Protesten drastisch zum Ausdruck gebracht und stellt für die Zukunft auch eine große friedenspolitische Herausforderung für die internationale Staatengemeinschaft dar.

Der Bericht des UN-Weltagrarrates aus dem Jahre 2008 gibt neue Denkanstöße für die politische Gestaltung der weltweiten Landwirtschaft im Interesse der Sicherung der Grundbedürfnisse der Bevölkerung in der Dritten Welt, wird bisher aber von der internationalen Politik mehrheitlich ignoriert.

Erfolgreichere Hungerbekämpfung

Obwohl es global genug Nahrungsmittel gibt, hungern weltweit mehr als eine Milliarde Menschen und ihre Zahl nimmt weiter zu. Dies liegt nicht nur an der fehlenden Agrarproduktion, sondern auch an fehlender Kaufkraft, denn Hunger ist nicht nur ein Erzeugungs-, sondern immer mehr auch ein Kaufkraft- und Verteilungsproblem. Daher sind einseitige technikorientierte Ansätze der Hungerbekämpfung, wie die Agrogentechnik, als nicht problemlösungsorientiert anzusehen.

Wir fordern:

die Anstrengungen zur Hungerbekämpfung müssen grundsätzlich verstärkt werden

die Nahrungsmittelverluste auf den Produktions- und Distributionswegen müssen international, aber insbesondere auch in den Entwicklungsländern dringend und deutlich durch organisatorische und infrastrukturelle Maßnahmen reduziert werden

die Bioenergieproduktion für die Industrieländer darf nicht auf Kosten der Nahrungserzeugung der Entwicklungsländer gehen

Bedürfnisorientierte Entwicklungspolitik

Fast drei Viertel der Menschen in den Entwicklungsländern leben auf dem Lande und auch etwa ebenso viele der Armen und Hungernden leben in ländlichen Regionen. Die Entwicklung der Kleinlandwirtschaft ist dabei entscheidend für die Bekämpfung des Hungers. Insbesondere leisten dabei die Frauen in der Landwirtschaft einen wichtigen Beitrag.

Wir fordern:

die Stärkung des ländlichen Raumes muss im Mittelpunkt der Entwicklungsanstrengungen stehen, um dem Hunger und der Landflucht entgegenzuwirken

Ziel der Entwicklungspolitik muss es sein, die regionalen ländlichen Strukturen in Landwirtschaft, Handwerk und Handel zu fördern

die kapitalintensive Landwirtschaft in den Industrieländern kann nicht als Vorbild für die Entwicklung der Nahrungsmittelerzeugung in den Entwicklungsländern stehen

die in vielen Hungergebieten tragende Rolle der Frauen muss bei den Entwicklungsprojekten vor Ort stärker Berücksichtigung finden

Umkehr in der Agrarforschung

Bisher konzentriert sich die moderne Agrarforschung auf Kulturen, Produkte und Methoden einer kapitalintensiven und hoch technisierten Landwirtschaft. Ihre Ergebnisse sind für die Mehrzahl der kleinbäuerlichen Produktionsstrukturen als Grundlage der Hungerbekämpfung kaum übertragbar und wenig von Nutzen.

Wir fordern:

eine unabhängige Forschung für eine sichere und nachhaltige Welternährung muss international ausgebaut werden

die Lebens- und Arbeitssituation sowie die unmittelbaren Probleme der Kleinbäuerinnen und Kleinbauern in den Entwicklungsländern müssen in das Zentrum der Forschungsarbeiten rücken

der wissenschaftliche Ansatz so genannter „Agrarexperten“ muss um eine partizipatorische Forschung erweitert werden, um gemeinsam mit den betroffenen Bäuerinnen und Bauern zu forschen und traditionelle Wissens- und Anbausysteme zu verbessern

wenn es um die Sicherung der Welternährung geht, dürfen die Wissenssysteme und methodischen Ansätze sowie die modernen Produktionssysteme des Landbaus der Industrieländer nicht ausschließlicher Bezugspunkt der öffentlichen Agrarforschung darstellen.

Faire Handelspolitik

Im Zeitalter der Globalisierung sind auch die Entwicklungsländer in das System internationaler Agrarbeziehungen eingebunden. Dabei darf der Export von Nahrungsmitteln aus den Industrieländern aber nicht die eigene Versorgungsbasis der lokalen, kleinbäuerlichen Landwirtschaft in Entwicklungsländern gefährden. Gleichzeitig bestehen Handelshemmnisse in den Industrieländern für die Einfuhr landwirtschaftlicher Erzeugnisse aus Entwicklungsländern, was den Ausbau des Agrarsektors und die Chancen seiner langfristigen Integration in den Weltmarkt hemmt.

Wir fordern:

mehr Berücksichtigung der Auswirkungen unserer agrarpolitischen Ziele und politischen Maßnahmen auf die Hungerländer

das Auslaufen von Exportförderung in Hungerregionen ist zügig fortzusetzen

Spekulationsgeschäfte mit landwirtschaftlichen Produkten sind international zu verbieten

den Entwicklungsländern sind Schutzmöglichkeiten für ihre Landwirtschaft vor den fatalen Schwankungen des Weltagrarmarktes einzuräumen

der Ausverkauf von Agrarflächen in Entwicklungsländern durch ausländische Investoren ist zu verhindern

Mehr Klimaschutz

Die gravierendsten Auswirkungen des Klimawandels werden in den Entwicklungsländern erwartet. In den gefährdeten Regionen des Südens wird sich der Abstand zwischen landwirtschaftlicher Produktion und Nahrungsmittelbedarf durch den Klimawandel noch weiter vergrößern. Ohne wirksamen Klimaschutz in den Entwicklungsländern werden die Bemühungen zur Hungerminderung wenig erfolgreich.

Wir fordern:

im Interesse internationaler Klimagerechtigkeit ist in den Industrieländern die langfristige Umstellung auf nachhaltige Produktions-, Vertriebs- und Konsumstrukturen voranzutreiben

unser Konsumverhalten ist insgesamt und speziell auch im Hinblick auf den weltweit steigenden Verzehr von tierischen Produkten unter den Aspekten des Klimaschutzes zu überdenken

Maßnahmen des Klimaschutzes und nachhaltiger Produktionsverfahren sowie der regenerativen Energieerzeugung sind auch für die Landwirtschaft in den Entwicklungsländern weiter zu entwickeln und politisch zu fördern

Konsequenzen aus dem Weltagrarbericht

Der Bericht des Weltagrarrates aus dem Jahr 2008 stellt einen Paradigmenwechsel zu den gängigen Konzepten der Hungerbekämpfung, Entwicklungsförderung und Agrarforschung dar. Er setzt nicht ausschließlich auf Marktlösungen und moderne technikorientierte Wissenschaft, sondern auf die konkrete Problemlösungskompetenz und die Genialität der Menschen vor Ort. Er setzt auch nicht einseitig auf die Übertragung von Methoden und Strukturen eines hoch technisierten Agrarsektors des Nordens auf die landwirtschaftlichen Produktions- und Lebensbedingungen des Südens, sondern auf die Verbindung und Weiterentwicklung von moderner Wissenschaft mit Methoden sowie traditionellem Erfahrungswissen und Kulturformen vor Ort.

Wir fordern:

der Weltagrarbericht soll von der deutschen Bundesregierung und der Europäischen Union anerkannt und unterstützt werden

der Weltagrarbericht soll in der Öffentlichkeit breit diskutiert werden

mit dem Weltagrarbericht fordern wir die Korrektur der Zielrichtung von Entwicklungshilfe und Agrarforschung

mit dem Weltagrarbericht fordern wird die Stärkung der ländlichen Regionen und der kleinbäuerlichen Landwirtschaft in den Entwicklungsländern

Waldenburg-Hohebuch, 11. Mai 2010

Weitere Informationen im Internet: http://www.hohebuch.de/index.php?index=1&menuid=15&id=210&filter[von]=dd.mm.yyyy&filter[bis]=dd.mm.yyyy

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