„Verantwortung Deutschlands in der Welt muss diskutiert werden“ – Verteidigungsexperte Arnold sprach bei den SPD-Kreisverbänden Hall und Hohenlohe

Von links: Werner Müller (Kreisvorsitzender Hohenlohekreis), Rainer Arnold (MdB & veteidigungspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagafraktion, Annette Sawade (Sprecherin des Eschentaler Kreises), Nik Sakellariou (MdL & Kreisvorsitzender Landkries Schwäbisch Hall)

Von links: Werner Müller (SPD-Kreisvorsitzender Hohenlohekreis), Rainer Arnold (Bundestagsabgeordneter und verteidigungspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Annette Sawade (Sprecherin des Eschentaler Kreises), Nik Sakellariou (Mitglied des Landtags und Kreisvorsitzender des Landkreises Schwäbisch Hall).

Rainer Arnold, SPD Bundestagsabgeordneter aus Nürtingen und Experte für Verteidigung und Äußeres sowie Mitglied des Untersuchungsausschusses zur Kundus-Affäre war kürzlich Gesprächsgast des „Eschentaler Kreises“. Der Sprecherin des Eschentaler Kreises, Annette Sawade sowie den beiden Kreisvorsitzenden Werner Müller (Hohenlohe) und Nik Sakellariou (Schwäbisch Hall) war es kurzfristig gelungen, Rainer Arnold zu diesem brisanten Thema nach Eschental zu gewinnen.

Von Walter F. Leyh, Pressesprecher des SPD-Kreisverbands Schwäbisch Hall

„Gefahr des Getötet-Werdens oder des Töten-Müssens ist immer gegeben“

Schon Werner Müller sprach gleich bei der Begrüßung in Bezug auf Afghanistan von einem Thema, das „uns allen an und ins Herz geht“ und stellte den Bezug zum jüngst veröffentlichten Positionspapier des Parteivorstandes und der Bundestagsfraktion her. Die Meinungen dazu seien zerrissen und konträr. Gleich zu Beginn seines einführenden Referats appellierte Rainer Arnold an die SPD selbst und forderte eine offene Diskussion zur Verantwortung Deutschlands in der Welt. Er lobte, dass die SPD mit Sigmar Gabriel im Januar dazu einen deutlichen thematischen Aufschlag gesetzt habe. Arnold versicherte, dass sich niemand der SPD-Abgeordneten im Bundestag und darüber hinaus die Entscheidung für einen Auslandseinsatz der Bundeswehr je einfach gemacht habe. Die Gefahr des Getötet-Werdens oder des Töten-Müssens sei immer gegeben und der Einsatz deshalb immer eine Gewissensentscheidung. Er verwies ferner darauf, dass vor Jahren noch zirka 11 000, derzeit aber nur noch 6800 Bundeswehrsoldaten weltweit im Einsatz seien.

Militärischer Einsatz ist aus sozialdemokratischer Sicht nicht das Mittel Erster Wahl

Arnold betonte, dass ein militärischer Einsatz aus sozialdemokratischer Sicht nicht das Mittel „Erster Wahl“ ist. Alle bisherigen Einsätze seien aber im Interesse Deutschlands gewesen und Deutschland habe eine ethische Maxime zu beachten. Das wiedervereinigte Deutschland kann sich nicht mehr verstecken und die Verantwortung abschieben oder anderen überlassen wie zu Zeiten des Kalten Krieges. Heute muss Deutschland sein Interesse an Stabilität international aktiv vertreten. Damit sei nicht „Blut für Öl“ gemeint, wie Arnold betont. Es kommt erschwerend hinzu, dass Afghanistan problematische Nachbarstaaten hat, ist das Land instabil, so birgt dies weitere Gefahren. Es herrscht ein erhöhtes Kriegsrisiko in der ganzen Region dort, die Mission steht deshalb unter großem Erfolgszwang.

Grundsätzlich müssen Handelswege und die Seefahrt sicher sein

Was kann grundsätzlich durch die Bundeswehr bei Auslandseinsätzen geleistet werden? Arnold stellt klar, hinter jedem operativen Einsatz muss ein militärisches und politisches Konzept stehen. Ohne ein solches klares Konzept würden keine Soldaten entsandt, einem Staat etwas von außen aufzuzwingen, geht nicht. Diese Maßstäbe gelten auch für Afghanistan. Rainer Arnold erinnert kurz an einige Ereignisse, die zum deutschen Engagement in Afghanistan geführt haben: schwere Terroranschläge 1998 in Nairobi und Daressalam, zu denen sich Al Kaida beziehungsweise Bin Laden bekannte. Damals wurde auch über eine dreistellige Anzahl deutscher junger Männer berichtet, die in Camps von Al Kaida ausgebildet wurden. Dann die Sprengung der Buddha-Statuen. Schließlich wurde nach dem 9. September 2001 deutlich, dass Afghanistan Rückzugsraum für Terroristen biete. Zunächst war Deutschland ab November 2001 am Antiterrormandat beteiligt, dieses sei inzwischen zum Glück nicht mehr mandatiert, wie Arnold berichtet. Der Einsatz deutscher Soldaten geschieht im Rahmen der ISAF und das sei in Form und Organisation gut, urteilt der SPD-Bundestagsabgeordnete.

Staatengemeinschaft muss die Stabilität erhalten, beziehungsweise wieder herstellen

Im Zusammenhang mit Afghanistan von Krieg zu sprechen sei falsch, meint Arnold und schildert die allgemeine Sicherheitslage. Es gibt 356 Distrikte, in 80 herrschen die Taliban und damit die Anarchie, weitere 40 gelten als fragil. In allen anderen Distrikten herrscht Ruhe, so zum Beispiel in Faisabat und Massar el Scharif, davon sei allerdings in den Medien und der Öffentlichkeit nichts zu hören und werde nicht berichtet. Die jüngste Offensive in kritischen Distrikten sei erfolgreich gewesen bewertet Arnold. Deshalb könne dort im Moment wirkliche Hilfe geleistet werden. Die in Afghanistan engagierte Staatengemeinschaft muss die Stabilität dort erhalten, beziehungsweise wieder herstellen. Die Taliban haben vor drei Jahrzehnten die Russen rausgebombt und in 2009 nahm die Anzahl der Terroranschläge um 77 Prozent zu. Perfide kommt hinzu, dass Ersthelfer und Sicherheitskräfte nach Anschlägen unter Beschuss genommen werden. Dieses differenzierte Bild der Sicherheitslage müsse besser kommuniziert werden, fordert Arnold.

Die Menschen wollen arbeiten und in Frieden leben

Kernziel sei der zivile (Wieder-)Aufbau, wie Arnold klarstellt. Die Menschen wollen arbeiten können und in Frieden leben und nicht auf Dauer Almosen empfangen, weiß Arnold von  seinen zahlreichen Besuchen und Gesprächen in Afghanistan. Er kritisiert vehement die wiederholte Behauptung Peter Scholl-Latours „Dort wäre alles Mittelalter“. Arnold berichtet, es herrsche dort durchaus eine einfache Modernität vor. Die Menschen denken an eine gute Zukunft ihrer Kinder. Er stellt fest, dass viele Aktivitäten des zivilen Hilfswesens nebeneinander her laufen und nicht koordiniert seien und fordert eine Strategie dahingehend, dass die linke Hand weiß, was die rechte tut.

Schlechte hygienische und medizinische Versorgung

Afghanistan ist nach Angaben Arnolds das fünftärmste Land der Erde. Dies zu ändern, heiße viel zu tun für dieses Land. Ein Indikator der Armut ist die schlechte hygienische und medizinische Versorgung im Land und damit verbunden eine sehr hohe Säuglingssterblichkeit. Ein Beispiel nachhaltiger ziviler Hilfe ist die Hebammenschule in Kundus. Durch die Schulungen von Frauen dort haben in 2009 etwa 70000 mehr Babys überlebt als in den Vorjahren. Auch gehen wieder 40 Prozent der Mädchen zur Schule, berichtete Arnold. Er stellt fest, dass in Gebieten mit hoher Stabilität oft nur wenig Hilfe ankommt und es dadurch zu Ungeduld unter der Bevölkerung kommt. Andererseits kommt aber auch in Unruhegebieten zu wenig Hilfe an: Organisationen wagen dort keine Einsätze und finanzielle Mittel könnten verloren gehen. Keineswegs mangele es in Afghanistan nur an Geld, ist sich Arnold sicher.

In den vergangenen Jahren wurde viel beschlossen, aber nur wenig umgesetzt

Nach über 30 Jahren Krieg im Land beziehungsweise in der afghanischen Gesellschaft könne es ein „weiter so“ nicht geben. Die afghanische Regierung versucht zusammen mit der Staatengemeinschaft baldige und dauerhaft friedliche Zustände im Land zu schaffen. Arnold berichtete von verschiedenen Konferenzen zu Afghanistan, deren jüngste im Januar 2010 in London stattfand. Den dort gefassten Beschlüssen müsste nun echtes Handeln folgen. Die Umsetzung könne in Teilschritten erfolgen, erläutert Arnold. Er kritisiert frühere Konferenzen in denen auch jeweils viel beschlossen, aber so gut wie nichts umgesetzt wurde, weil sich letztlich niemand verantwortlich und zuständig fühlte. Alle Beteiligten müssen mehr tun, so Arnolds Grundforderung. Wichtig sei der umgehende Aufbau von eigenen Sicherheitssystemen und Sicherheitskräften. Es sei aus Sicht des afghanischen Staates nicht akzeptabel, dass in kritischen Distrikten ein Patt herrsche zwischen Taliban und eigener Armee. Auch gelte es, genügend Polizisten ordentlich auszubilden. Zur Zeit sind es erst 9200, Ziel ist es, möglichst rasch eine Zahl von 30.000 zu erreichen. Ein großes Problem von Behören und Polizei ist die Korruption. Insbesondere die Polizei gilt als korrupt und ist schlecht ausgebildet und schlecht angesehen. In der Armee herrschen ähnliche Verhältnisse: nur ein geringer Teil der Soldaten ist gut ausgebildet, der Bedarf wäre aber um ein vielfaches höher.

„Man muss mit seinen Feinden reden!“

Frei nach Hamid Karsai hatte Kurt Beck vor Jahren formuliert: „Man muss mit seinen Feinden reden!“ Er wurde dafür ausgelacht und kritisiert, heute ist klar: es muss passieren. Es verdient hohen Respekt, dass das afghanische Volk unter schwierigen Bedingungen für die Verfassung stimmte. Die Wähler scheuten vor Gefahr für Leib und Leben nicht zurück und ließen sich von den Taliban nicht einschüchtern. Es geht nun darum, die „Harten“ unter den Stammesfürsten und Taliban heraus zu finden und nach Wegen des Umgangs zu suchen. Sollte es im Einzelfall solche geben, die positiv gestimmt werden können, so sollte dies getan werden. Zur Reintegration von Taliban in die zivile Gesellschaft wurde ein internationaler Fonds aufgelegt, an dem auch  Deutschland mit 20 Millionen Euro beteiligt ist.

Arnold berichtete von der Afghanistan-Konferenz im Willy-Brandt-Haus im Januar 2010, an der unter anderem der ehemalige Außenminister Afghanistans teilgenommen habe. Es wurde eine Zeitschiene des Rückzugs beziehungsweise der Übergabe erarbeitet:
– Rückzug ab 2011
– Sicherheitsverantwortung soll Zug um Zug in afghanische Hoheit zurückgegeben werden (in Kabul schon geschehen, in Faisabad für Anfang 2011 geplant), dadurch werden 400 Soldaten frei, diese sollen dann nur noch als Mentoren eingesetzt werden.
– Afghanen müssen bis in fünf Jahren mit ihren Sicherheitsaufgaben/ihrer Sicherheitsarchitektur selbst zurecht kommen.
– Ein längerer Zeitraum, zum Beispiel 15 Jahre weiterer Verbleib wie von manchen gefordert oder prognostiziert, wäre für beide Seiten nicht durchhaltbar.
– Ein Scheitern des Afghanistan-Einsatzes wäre eine klare Botschaft an die Islamisten: „Gott straft den Westen.“

Die Pazifisten nicht den Linken überlassen

Wie schon  bei der Petersberger Konferenz in Bonn besprochen, engagiere sich Deutschland wegen der Menschen in Afghanistan, stellte Arnold in seinem Fazit klar. Die SPD sei immer Friedenspartei gewesen, insbesondere in schwieriger Zeit wie dem 1. Weltkrieg und der Weimarer Zeit und nicht zuletzt dem Kalten Krieg, das müsse und solle so bleiben, macht er deutlich und fügte an, dass die SPD die Pazifisten keineswegs den Linken überlassen dürfe.

Oberst Klein habe sich für ein sofortiges Bombardement ausgesprochen

Arnolds einführenden Worten schloss sich eine lebhafte und engagierte Diskussion der anwesenden SPDler aus den Landkreisen Hohenlohe und Schwäbisch Hall an. Nachgefragt wurde nach den traumatisierten Soldaten und der Hilfe für sie. Die Herkunft des hohen Ansehens Deutschlands und der Deutschen in Afghanistan wurde erläutert; auch, dass es das afghanische Volk gar nicht gebe, da es aus 25 Ethnien bestehe. Auch der Kampf gegen Drogenanbau und -produktion wurde offen angesprochen und Vergleiche mit Südostasien gezogen. Abschließend ging Arnold noch auf den Kundus-Untersuchungsausschuss ein. Offenbar hatte Oberst Klein den Vorschlag der Amerikaner zum Überfliegen der feststeckenden LKWs, um die Zivilisten zu vertreiben, abgelehnt und für ein sofortiges Bombardement plädiert. Er stellte einen gewissen Dilletantismus der Mannschaft um Ex-Verteidigungsminister Jung fest, gehe doch aus einer SMS die Empfehlung hervor, man möge das Feststecken der LKWs im Sand der Öffentlichkeit verschweigen. Über den neuen Verteidigungsminister urteilt Arnold klar, er habe bisher nichts geleistet und keine Positionen bezogen, weder in seinem alten noch seinem neuen Amt.

In seinem Dankes- und Schlusswort stellte Nik Sakellariou fest, er sei froh in Eschental mit dabei gewesen zu sein, habe er doch viele Dinge gehört, die nicht in der Zeitung oder den Medien zu lesen waren oder in Berichten vorkamen.

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