Kocherquartier 2009: Ein Jahrhundertprojekt säuft ab

Das als Jahrhundertprojekt apostrophierte Bauvorhaben „Kocherquartier“ erweist sich immer mehr als kommunale Fehl(planungs)investitition. Es ist allerdings verblüffend, in welch geringem Maße die meisten kommunalen Entscheidungsträger in Gemeinde- und Aufsichtsräten bisher ihren Kontrollaufgaben gerecht geworden sind und sich bisher allzu leicht vom Schwäbisch Haller „Stadtkonzernchef“, Oberbürgermeister Hermann-Josef Pelgrim, gängeln ließen. Da entspricht es auch durchaus dem praktizierten Führungsstil des „Stadtoberhauptes“, dass er sich der wenigen kritischen Stimmen im Gemeinderat und in den Ausschüssen durch eine Verkleinerung des Gemeinderats „als Sparmaßnahme“ am liebsten auch noch entledigen würde.

Kommentar von Hermann-Julius Bischoff, Schwäbisch Hall (Erstveröffentlichung in Alpha Press www.clubalpha60.de)

Dies veranlasste jüngst sogar den für jedwede widerborstige Äußerungen unverdächtigen FDP-Stadtrat Prof. Dr. Reiner Blobel zu der eher zögerlichen Formulierung in einem „offenen Brief“ an den OB Pelgrim: „Ihre Bemerkung könnte auch als Drohung gegenüber dem Gemeinderat verstanden werden und – rein spekulativ – dahin gedeutet werden, dass Sie mit einem verkleinerten Gemeinderat besser umgehen könnten, ihn besser in der Hand hätten.“

Doch bereits bei der Verabschiedung des kommunalen Doppelhaushaltes 2008/2009 verspürte die Mehrheit des Gemeinderats zumindest ein Unbehagen über den vom OB vorgelegten Etat-Plan-Gigantismus und versah eine Reihe von Vorhaben mit einem haushaltsrechtlichen Sperrvermerk und dies mit Rücksicht darauf, dass die Projekte „Kocherquartier“ und (Filial-)„Fachhochschule“ (der Hochschule Heilbronn) noch nicht „in trockenen Tüchern“ waren.

Wochen später wurde der Stadtkämmerer von einer erheblichen Gewerbesteuerrückforderung– im wesentlichen durch die Frankfurter DZ-Bank verursacht– überrascht und der OB beeilte sich, zu erklären, er hoffe, dass sich derartige Vorgänge in den folgenden Jahren nicht wiederholen werden.

Bruchstellen

Die Zahl der anfänglich bei der öffentlichen Projektvorstellung bereits bekannt gegebenen „Ankermieter“ des  Kocherquartiers konnte bis zum festlich inszenierten„Spatenstich“ nicht merklich gesteigert werden, was die Gemeinderäte und die Aufsichtsräte der Bauherren in Anbetracht des nach wie vor damit unverändert bestehenden Investistionsrisikos nicht sonderlich zu stören schien. Und so haben sie vermutlich auch bis heute noch nicht erfahren, dass die Allianz-Versicherung wegen des dort nicht zuverlässig einschätzbaren Risikos nicht bereit war, das Bauvorhaben zu versichern, so dass man sich „auf den letzten Drücker“ noch flugs nach einem anderen Versicherer umsehen musste. Es kann auch kaum noch erstaunen, dass der Umstand, wonach bis jetzt erst rund 75 Prozent der Verkaufsfläche fest vermietet sind, von gewisser Seite gar als Vorteil umgedeutet wird, denn schließlich wäre es geradezu peinlich, einem potentiellen Ankermieter erklären zu müssen, dass leider keine Ladenflächen mehr zur Verfügung stehen. Sinnigerweise wurden für den inszenierten Spatenstich des Jahrhundertprojekts unschuldige Kinder eines städtischen Kindergartens gedungen, also ausgerechnet diejenigen, die von den Folgen ihres von ihnen nicht zu verantwortenden Handelns umso mehr betroffen sein werden.

Und dann passierte es, dass in der Baugrube unerwartet Wasser einbrach, was im Ergebnis zu einem jetzt zusätzlich notwendigen öffentlichen Wasserechtsverfahren mit ungewissem Ausgang führt. Jedenfalls aber sind Mehrkosten und Zeitverzögerungen mit weiteren Konsequenzen nicht auszuschließen. Diese können unter anderem darin bestehen, dass durch die erheblich spätere Fertigstellung, abgeschlossene Mietverträge neu verhandelt werden müssen und dergleichen mehr. Um das „Jahrhundertprojekt“ zu retten, „opfern“ die städtischen Bauherren annähernd die Hälfte der projektierten Stellplätze durch Verzicht auf ein Parkdeck und „investieren“ in eine bis zu zwei Meter dicke Betonschicht zur Versiegelung der Baugrube. Damit werden die neu entstehenden Stellplätze die teuersten Parkplätze, die je in Hall gebaut wurden. Als Ersatz für die in Wegfall geratenen Stellplätze wird ein zusätzliches unterirdisches Parkhaus notwendig, dessen Standort zur Zeit noch ungeklärt ist.

Doch dessen ungeachtet beschwört OB Pelgrim in seiner Nachtrags-Haushaltsrede geradezu autistisch: „…dürfen wir nicht an den zentralen Zukunftsperspektiven der Infrastrukturentwicklung rütteln. Hier geht es in erster Linie um die Innenstadt mit dem Kocherquartier / ZOB als Leitprojekt.“

Wachsendes Unbehagen

Inzwischen bekommt sogar der Fraktionsvorsitzende der SPD-Fraktion, Dieter Vogt, kalte Füße, wenn er in seiner Rede zum Nachtragshaushalt ausführt: „…als wir beim Kocherquartier Probleme haben, die möglicherweise sogar eine Diskussion um eine Exit-Strategie erfordern“ und weiter in Bezug auf eine vorsichtige Haushaltsführung: „Dies gilt heute um so mehr, als sich bei der Fachhochschule unsere Warnungen vor möglichen Kostensteigerungen voll als zutreffend erwiesen haben. Dies gilt heute um so mehr, als wir am Beginn einer Weltwirtschaftskrise keinerlei Ahnung haben, wie die Welt zu Beginn des Jahres 2011 – also bei Fertigstellung des städtischen Einkaufszentrums – aussieht. Ich erinnere daran, dass das Hauptinvest im Kocherquartier mit 60 Millionen Euro bei der Stadt liegt und nur zu einem relativ geringen Teil ein privater Investor beteiligt ist.“

Die bohrenden Fragen im Stadtrat kommen allerdings nur von den Grünen, so erstmals mit Schreiben vom 16. Dezember 2008, worauf eine zeitnahe Reaktion durch den Stadtwerke-Geschäftsführer van Bergen bereits am übernächsten Tage erfolgte, wenn auch im Wesentlichen zunächst nur mit den Hinweisen auf die noch laufenden Untersuchungen. Doch am 21. Januar 2009 legten die Grünen mit einer 17 Fragen umfassenden Anfrage nach. Neun Fragen betreffen sehr detailliert die Problematik der nunmehr zweigeschossigen Tiefgarage und den Ersatz für jetzt fehlende Stellplätze.

– Wie hoch wären Kosten für einen kompletten Ausstieg aus dem Projekt Kocherquartier und wie setzen sich diese zusammen?

– Welche vertragliche Konsequenzen hätte dies mit der VR-Bank, den bereits gewonnenen Mietern, mit der Baufirma Leonhard Weiss?

– Unter welchen Voraussetzungen kann die GWG aus den Mietverträgen aufheben?

– Zu diesem gesamten Fragenkomplex steht die zeitnahe Beantwortung allerdings bis zum Monatsende Januar noch aus..

Und wo wir doch gerade beim Geld sind: OB Pelgrim ging in seiner Nachtrags- Haushaltsrede auch davon aus, dass zukünftig „immer noch zirka. 40 Prozent unserer Einnahmen finanzdienstleistungsorientiert sind“. Hierzu lohnt sich ein Blick auf die absehbare und abgelaufene Entwicklung: Bereits in der Ausgabe Nr. 373 (Juli/August 2008) hat die Redaktion des Haller Monatsmagazins Alpha Press über die Aktion der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen gegen die Bausparkassen wegen der behauptet unzulässigen Erhebung von Abschlussgebühren berichtet. Hierüber soll in Musterprozessen unter anderem gegen die Bausparkasse Schwäbisch Hall entschieden werden. Der erste Gerichtstermin fand bereits am 19. Februar 2009 vor dem Landgericht Heilbronn statt (Az. 6 O 341/08). Insgesamt wird sich das gesamte Verfahren möglicherweise über die Instanzen Landgericht, Oberlandesgericht und Bundesgerichtshof über mindestens drei Jahre hinziehen, bis höchstrichterlich entschieden sein wird, ob die Erhebung von Abschlussgebühren bei Bausparverträgen zulässig ist oder nicht. Und bis dahin wird es bei der Bausparkasse Schwäbisch Hall erforderlich sein, ausreichende Risikovorsorge durch gewinnschmälernde Rückstellungen zu treffen, was dazu führen wird, dass selbst bei einer (angenommenen) verlustfreien Geschäftsentwicklung der DZ-Bank keine zusätzlichen Gewerbesteuereinnahmen in Hall zu erwarten sind..

DZ-Bank: Fass ohne Boden

Die weltweit agierende DZ-Bank schließt das Geschäftsjahr 2008 nach internationalen Bilanzierungsstandards IFRS nach Steuern mit einem Verlust von mehr als einer Milliarde Euro ab. Bereits Mitte letzten Jahres hatten sich erhebliche Beteiligungsverluste der DZ-Bank an der französischen Natixis abgezeichnet, die sich bis zum Jahresende auf knapp 270 Millionen Euro summierten. Und so sieht die weitere „Erfolgsbilanz“ der DZ-Bank bis zum (vorläufigen) Jahresende 2008 aus: 360 Millionen Euro Verlust durch die Pleite der Lehman Brothers-Bank und 450 Millionen Euro Verlust durch Kredite an isländische Banken. Die Wertberichtigungen auf Wertpapiere bei der DZ-Bank und der verbundenen R+V-Versicherung belaufen sich auf etwa 1,2 Milliarden Euro und zusätzlich haben Staatsanleihen, Bankbonds und ABS-Papiere rund 1,5 Milliarden an Wert verloren. Gegen diese Ausfälle reicht es nicht aus, dass ihr die durch gesetzliche Vorschriften vor Spekulationsgeschäften geschützte und daher risikofreie Bausparkasse Schwäbisch Hall AG zirka 75 Millionen Euro aus dem Betriebsergebnis qua Abführungsvertrag überweist. Jetzt benötigt die DZ-Bank zusätzlich „frisches Geld“ von ihren Anteilseignern in Höhe von rund einer Milliarde Euro und „in der Erwartung, dass sich das Marktumfeld stabilisieren wird“…. Auf einer außerordentlichen Aufsichtsratssitzung am 18. Februar sollte festgelegt werden, wer wie viel zu dieser Kapitalerhöhung beizutragen hat. Anteilseigner der DZ-Bank sind zu rund 80 Prozent die rund 1000 Volks- und Raiffeisenbanken allerorten.

Von der Finanzkrise konnte in diesem Jahr die Bausparkasse Schwäbisch Hall besonders stark profitieren, indem sie das beste Neugeschäft beim Abschluss von Bausparverträgen – als besonders sichere Geldanlageform – in ihrer 77-jährigen Firmengeschichte mit rund 32 Milliarden Bausparsumme erzielte. Es ist geradezu aberwitzig, dass die durch fehlgeschlagene Spekulationsgeschäfte angeschlagene „Mutter“ DZ-Bank hierdurch mittelbar besonders profitierte.

Die Haller VR-Bank plant seit längerem eine Fusion mit der Crailsheimer Volksbank, die bei der Finanzierung einer Wohnanlage in Steinenbronn im Kreis Böblingen durch Kreditgewährung in rund 200 Fällen engagiert war. Dieses Projekt ist gescheitert und eine Reihe von Anlegern haben den Klageweg bis zum Europäischen Gerichtshof beschritten, durch dessen Entscheidungen zwischenzeitlich geschlossene Vergleiche und von der Crailsheimer Volksbank bisher gewonnene Prozesse bedroht sind. Wegen der neuen Rechtslage sind zur Risikovorsorge Rückstellungen zu bilanzieren, die damit zukünftig auch das Betriebsergebnis der fusionierten Bank beeinflussen werden mit dem Ergebnis geringerer Gewerbesteuerzahlungen an die Standortgemeinden.

Ob es da noch trösten kann, dass die VR-Bank einer der Investoren des Kocherquartiers ist?

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