„Die Bahn hat bei Stuttgart 21 jahrelang systematisch getäuscht“ – Offener Brief an den SPD-Landtagsabgeordneten Nik Sakellariou

Einen „Offenen Brief“ hat das Schwäbisch Haller Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21 an den SPD-Landtagsabgeordneten Nik Sakellariou geschrieben. Sakellariou wohnt in Schwäbisch Hall. Hohenlohe-ungefiltert veröffentlicht den Offenen Brief in voller Länge.

Von Paul Michel, Schwäbisch Haller Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21

Sehr geehrter Herr Sakellariou,

Wir erinnern uns noch gut an eine Veranstaltung mit Ihnen im Vorfeld des Volksentscheids. Damals zeigten Sie sich felsenfest davon überzeugt, dass die 4,5 Milliarden Euro Kostendeckel solide geplant seien. Unserer Vermutung, dass sich das Projekt erheblich verteuern würde, konnten Sie nichts abgewinnen. Nun ist bereits seit Wochen bekannt, dass das Projekt Stuttgart 21 offiziell mindestens 5,6 Milliarden Euro plus 1,2 Milliarden „Risiken“ kosten soll. Vermutlich ist das aber noch nicht das Ende der Fahnenstange. Viele Menschen in diesem Lande sind empört darüber, dass sie jahrelang von der Bahn systematisch getäuscht wurden. Von Ihnen haben wir zum Thema Stuttgart 21 bisher keine Meinungsäußerung vernommen, seit diese Kostenexplosion auch von den Betreibern von Stuttgart 21 eingeräumt wird.

Es ist Zeit, die Reißleine zu ziehen

Wir erinnern uns auch gut daran, dass Sie auf der bewussten Veranstaltung immer wieder das Thema „Sprechklausel“ im Munde führten. Deshalb unsere Frage: Wie stehen Sie zum Koalitionsvertrag von Grün-Rot, in dem festgeschrieben ist, dass das Land keine weiteren Kosten übernimmt? Stimmen Sie uns zu, dass jetzt, nachdem es offenkundig ist, dass jahrelang die Öffentlichkeit systematisch getäuscht wurde, es an der Zeit ist, die Reißleine zu ziehen und das Projekt Stuttgart 21 zu beenden? Oder sind Sie der Meinung, dass das Land Baden-Württemberg – wie vom Bahnvorstand gefordert – neue Töpfe aufmachen und die 1,2 Milliarden Euro Mehrkosten übernehmen sollte?

Schmiedel, einer der energischsten Verfechtern einer Sparpolitik zu Lasten der Bildung

Der Vorsitzende Ihrer Landtagsfraktion, Schmiedel, hat diese Bereitschaft bereits erkennen lassen. Der gleiche Herr Schmiedel, der zu den energischsten Verfechtern einer Sparpolitik zu Lasten der Bildung gehört. Wie stehen Sie zur Sparpolitik Ihres Kollegen Schmiedel, der einerseits bis zum Jahre 2020 massiv bei der Bildung sparen und 11 600 Lehrerstellen abbauen will, im Gegenzug aber für das chaotisch geplante, unsinnige Bahnrückbauprojekt Stuttgart 21 neue Fässer ohne Boden aufmachen will, in die womöglich zusätzliche Milliarden reinfließen.

Antwort schuldig

Wir sind der Auffassung, dass Sie uns und der politischen Öffentlichkeit in Ihrem Wahlkreis eine Antwort auf diese Fragen schulden.

Mit freundlichen Grüßen

Schwäbisch Haller Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21

Weitere Informationen:

http://www.bei-abriss-aufstand.de/2013/01/10/spd-ob-von-schwabisch-hall-kritisiert-s21/

 

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3 Gedanken zu „„Die Bahn hat bei Stuttgart 21 jahrelang systematisch getäuscht“ – Offener Brief an den SPD-Landtagsabgeordneten Nik Sakellariou

  1. Verschleierte Kosten und Rückbau der Kapazität sind für sich alleine schon Aufreger genug. Für mich persönlich ist jedoch der Umgang mit dem Bürger unter dem Deckmantel der Demokratie der eigentliche Skandal. Nicht das ich so naiv wäre, anzunehmen, dass dies erst seit Stuttgart 21 so ist, aber das Internetzeitalter macht diese Farce nun erst so richtig sichtbar. Unzählige gesicherte Videos, aus Rundfunk und Fernsehsendungen, von öffentlichen Auftritten der Projektbefürworter zeigen wie versucht wurde, ein ganzes Land zu manipulieren., begleitet von einer Presse, die in Baden-Württemberg komplett von den ehemaligen Regierungsparteien gesteuert ist. Zum SWR erübrigt sich eigentlich jeder Kommentar. Es reicht, wenn man sich die Berichterstattung des Vollbratzlers zum Amtsantritt von Kuhn vor Augen hält. Unterirdisch und parteilich.
    Als ob dies nicht schon genug wäre, wurden Millionen aus Steuergeldern in die Werbung für das Scheißprojekt gesteckt. Wer erinnert sich nicht an den unsäglichen Schwachsinn: „Es stimmt, dass Stuttgart 21 mit 4,1 Milliarden Euro eine teure Angelegenheit wird. Es stimmt aber auch, dass die Region nur dafür Milliarden von Bahn, Bund, Land und EU bekommt.“
    Zur VA haben die Nutznießer des Projekts den Geldbeutel noch mal richtig aufgemacht. Um die Ausstiegslüge Kosten zu verbreiten, butterten IHK, Bahn und andere Unternehmen noch mal richtig rein. Tut ja nicht weh, lässt sich ja steuerlich wieder geltend machen. Und die Gegner? Hier sparten sich Rentner ihre Beteiligung an einem Großplakat buchstäblich vom Munde ab.
    Mit einer nicht zu überbietenden Ignoranz wurden Petitionen z.B. die an Minister Schmid abgetan, Kostensteigerungen seien nicht zu erwarten, man vertraue auf die Bahn und wies auf die anstehende VA hin, bei der man ja entscheiden könnte.
    Fazit: Ich begrüße eure Aktion, erwarte jedoch von den Angesprochenen nichts mehr. Diese Menschen sind durch und durch schlecht und nützen ihre Position gnadenlos aus. In diesem Land herrscht eine unglaubliche Korruption. Lügen und Betrügen ist Tagesgeschäft beginnend in den kleinsten Gemeinden. Ursache des Übels sind die Mitläufer in den Parteien die keinen Arsch in der Hose haben. Was hindert euch am Austritt? Die Sprache wird verstanden.

  2. Eine kleine Geschichte der sogenannten „Kostenexplosion“

    — 2009 —
    Bahnchef Rüdiger Grube gibt heute zu, dass der Finanzierungsvertrag zu Stuttgart 21 2009 auf der Basis des völlig veralteten Kostenstandes von 2004 (!) abgeschlossen wurde. Und natürlich mit Mehrkosten zu rechnen gewesen sei. [3]
    Intern kam die Landesregierung von Baden-Württemberg bereits 2009 auf Gesamtkosten zwischen 4,9 und 6,5 Mrd. EUR. Diese Zahlen wurden aber vom damaligen Ministerpräsidenten Günther Oettinger zurückgehalten. Und zwar auch wegen der SPD:

    Zitat: „Auf Wunsch des Herrn MP“, so heißt es in dem Vermerk, solle derzeit von einer „neuen Kostenberechnung abgesehen werden“. Entsprechende Zahlen seien „in der Öffentlichkeit schwer kommunizierbar“, schrieben Oettingers Beamte. Die Mitarbeiter äußerten zudem Bedenken, die ebenfalls zu den Bahnhofsbefürwortern zählende SPD über die neuesten Berechnungen zu informieren. Es sei damit zu rechnen, „dass die SPD bei Bekanntwerden der Kostenentwicklung von dem Projekt abrücken wird“. [4]

    — 2010 —
    Bei der Schlichtung im Herbst 2010 zu Stuttgart 21 sollten ausdrücklich alle Fakten auf den Tisch kommen, auch die Kosten. Schlichter Heiner Geissler sagte im Dezember 2012 dazu: „Die Bahn hätte über die Kosten schon bei der Schlichtung offen reden müssen, das hat aber Verkehrsminister Ramsauer vom Tisch gewischt.“ [5]

    — 2011 —
    Der Stresstest zur Leistung von Stuttgart 21 folgte im Juni 2011. Herr Geissler in einem Interview im Dezember 2012 auf die Frage, ob die Kostensteigerungen für ihn überraschend kämen: „Es war absehbar. Nach dem Stresstest im Juni 2011 war Fachleuten klar, dass die bisherige Kosten-schätzung nicht eingehalten werden kann. Das wussten auch der Bundesverkehrsminister und der Bahnvorstand.„ [6]

    Die Volksabstimmung zu Stuttgart 21 wurde im grün-roten Koalitionsvertrag festgelegt unter der Bedingung, dass zuvor Kostentransparenz hergestellt würde. Das ist allerdings nie geschehen: die DB AG und die verantwortlichen Politiker haben die Kostenobergrenze von 4,5 Mrd. EUR nie in Frage gestellt. So heißt es in der Informationsbroschüre des Landes zur Volksabstimmung: „Ende 2009 wurden die Projektkosten mit 4,088 Milliarden Euro kalkuliert. … Im September 2011 hat die Deutsche Bahn AG eine aktualisierte Risikobewertung vorgelegt. Darin konnten die Kostenrisiken erheblich reduziert werden, da große Projektteile bereits zu Festpreisen vergeben wurden. Bis heute gibt es keinerlei Belege dafür, dass der Kostenrahmen für S 21 nicht ausreichend bemessen wäre.“ [7]

    — 2012 —
    Und nur ein Jahr später gesteht die Bahn plötzlich 1,1 Mrd. EUR Mehrkosten ein, sowie weitere 1,2 Mrd. EUR an Kostenrisiken. Wie Heiner Geissler jetzt bestätigte: Ihm selbst und vielen anderen der für das Projekt verantwortlichen Personen bis weit hinauf in die Bundesregierung war frühzeitig klar, dass es erhebliche Kostensteigerungen geben muss.

    — Fazit —
    Wir alle wurden systematisch getäuscht. Wie konnte eine „Schlichtung“ und eine Volksabstimmung auf der Basis von nachweislich völlig unrealistischen Zahlen durchgeführt werden? Und welches Licht wirft das auf die verantwortlichen Volksvertreter, durch die eine demokratische Abstimmung zur reinen Farce verkommen konnte?

    Die Meinung von Herrn Ramsauer zur Kostenehrlichkeit ist zumindest bekannt: „Wenn man alle Risiken und Eventualitäten von Beginn an einrechnet, dann wird hier nicht mehr gebaut, dann haben wir Stillstand. Das kann sich Deutschland nicht leisten“. [8]

    Fragt sich nur, ob sich Deutschland noch Politiker wie ihn leisten kann. Oder solche, die nicht nur alles glauben, was ihnen aufgetischt wird, sondern auch Transparenz und kritisches Hinterfragen unterbinden wollen. Fällt ihnen ein ähnlich kompetenter „Volksvertreter“ ein? Dann schicken Sie ihm oder ihr doch einfach dieses Schreiben zu. Was hat beispielsweise Herr Schmiedel bisher zur Aufklärung der vielen offenen Fragen zu Stuttgart 21 unternommen?

    — Quellen —
    [3] Stuttgart 21 Grube hält trotz Mehrkosten an Finanzplan fest (StZ vom 22.12.2012):
    http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.stuttgart-21-grube-haelt-trotz-mehrkosten-an-finanzplan-fest.395b4d5a-1e7c-451a-b083-5d9f2284c6d9.html

    [4] „Regierung Oettinger verheimlichte Berechnungen“ (Spiegel Online vom 6.11.2011)
    http://www.spiegel.de/politik/deutschland/stuttgart-21-regierung-oettinger-verheimlichte-berechnungen-a-796112.html

    [5] Geißler stellt „Stuttgart 21“ in Zweifel (FAZ vom 13.12.201):
    http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/teures-bahnhofsprojekt-geissler-stellt-stuttgart-21-in-zweifel-11992085.html

    [6] Interview mit Heiner Geissler: „Kombi-Bahnhof wäre bis zu drei Milliarden billiger“ (Esslinger Zeitung vom 12.12.2012):
    http://www.esslinger-zeitung.de/lokal/stuttgart/stuttgart/Artikel969825.cfm

    [7] Staatsministerium Ba-Wü, Infobroschüre zur Volksabstimmung vom 27. November 2011:
    http://www.lpb-bw.de/fileadmin/lpb_hauptportal/pdf/volksabstimmung/Informationsbroschuere_Volksabstimmung_Stuttgart21.pdf

    [8] Die spektakulären Pannen deutscher Großprojekte (Die Welt vom 10.6.2012):
    http://www.welt.de/wirtschaft/article106483465/Die-spektakulaeren-Pannen-deutscher-Grossprojekte.html

  3. Der Tag wird kommen, an dem alle verantwortungs- und skrupellosen Betreiber und Abnicker dieses bodenlosen Murks21 zur Verantwortung gezogen werden. Er ist auch nicht mehr fern. Wowereit ist ein überdeutliches Beispiel dafür und besonders im Wahljahr sind die Parteien und ihre Abgeordneten gut beraten, wenn sie sich endlich an ihren gesunden Menschenverstand erinnern.

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