„Es gibt etwas zu verteidigen“ – Rede einer jungen Reporterin über den aktuellen Zustand des Journalismus

Die 32-jährige Journalistin Julia Friedrichs hat am Samstag (2. Juni 2012) in Hamburg eine Rede zur Lage des Journalismus gehalten. Ihre Worte zu Medienkrisen, Nachwuchsjournalisten und Faszination des Journalismus läuteten den zweiten Tag der Netzwerk-Recherche-Tagung ein.

Zusammengefasst von Christoph Nitz

Auszüge der Rede:

Ich bin Reporterin und so ist dies weniger eine Rede, eher eine Geschichte. Daran anschließen wird sich eine Bitte. Mehr noch: ein Aufruf, ein Appell.

2001 war die „Erste Medienkrise“

Ich bin 32 Jahre alt. Mein Weg in diesen Beruf war Liebe auf den ersten Blick. Das Gefühl, eine Stimme zu haben, die jemand hört oder besser liest. Es dauerte nicht lange, bis ich merkte, dass ich mich in einen verliebt hatte, dem es nicht gerade gut ging. 2001 war die „Erste Medienkrise“ der Auftakt eines ganzen Krisenreigens. Ich will nicht mit einer Rückschau auf zehn Jahre Medienkrise quälen.

Fast 40 Prozent der freien Journalisten verdienten 2008 weniger als 1000 Euro brutto im Monat

Die goldenen Zeiten des Journalismus habe ich nicht mehr erlebt. Journalismus ist auch ein Wirtschaftsgut. Diese Botschaft haben wir inhaliert. Fast 40 Prozent der freien Journalisten verdienten 2008 weniger als 1000 Euro brutto im Monat. Dass das ganz schön wenig ist, räumen auch manche der Verantwortlichen ein: Der Chefredakteur des Tagesspiegels sagte: Der Tageszeitungsjournalismus sei nicht geeignet, Freien einen Lebensunterhalt zu ermöglichen.

Klickraten, Quoten, Verkaufsauflagen

Das zweite, was wir gelernt haben, ist, den Erfolg unserer Arbeit vor allem in wirtschaftlichen Kriterien zu messen. Wenn eine meiner Dokumentationen im Fernsehen ausgestrahlt wurde, warte ich am nächsten Morgen nervös auf die Mail um neun Uhr. Die Mail mit den Minutenverläufen, den Umschaltpunkten und am Ende: der Zahl. Die Quote, in deren Takt der Sender tickt. Klickraten, Quoten, Verkaufsauflagen.

Aus Artikeln und Filmen werden ‚Produkte’ oder ‚Stücke’

„Wir haben einfach verpennt, dass aus unseren Artikeln und Filmen ‚Produkte’ oder ‚Stücke’ wurden, aus dem Kulturgut Journalismus ein Wirtschaftsgut namens ‚content’“, sagte Sonia Mickich, Leiterin der Inlandsredaktionen des WDR.

Konkurrent PR hat mehr Geld

Und noch eine dritte Lektion. Wir haben gelernt, dass es einen starken Konkurrenten gibt, der einfach mehr Geld hat. Inzwischen gibt es wohl mehr Public-Relations-Arbeiter als Journalisten. Journalist ist das, was man gerne wäre. PR ist das, was einen letztendlich ernährt, ist die Botschaft, die dahintersteht. Wer mit jungen Journalisten über das Verhältnis von PR und Journalismus spricht, der merkt schnell: Verstanden und akzeptiert.

Anständiger Journalismus braucht Prinzipien

Wer immer und immer wieder hört: „Die See ist rau! Die Zeiten hart! Pass Dich an!“, dem wird es schwerfallen, die Ideale mit denen er mal gestartet ist, zu bewahren. Die Träume. Die Prinzipien. Das, was anständiger Journalismus auch braucht.

Nachwuchs kriecht mit eingezogenen Fühlern

Aus meiner Sicht ist das der verheerendste Schaden, den die Medienkrise angerichtet hat: Dass der Nachwuchs mit eingezogenen Fühlern durch die Arbeitswelt kriecht, wenn man Adornos Geschichte der Schnecke als Metapher nimmt.

Es ist ungehörig, Gehälter und Honorare zu drücken

Wem ist der größere Vorwurf zu machen? Den jungen Journalisten, die bereit sind, alles zu tun, um einen Fuß in die Redaktionen zu bekommen? Oder denen, die genau das ausnutzen? Es ist ungehörig, Gehälter und Honorare zu drücken. Es ist erniedrigend, den Erfolg von journalistischer Recherche nur in Marktzahlen zu messen. Und es ist gefährlich, wenn die Grenze zwischen Journalismus und Public Relations nicht mehr unverrückbar steht. Vor lauter Lamento sollte nichts Wertvolles verloren gehen. Darum in aller Deutlichkeit: Es ist trotz allem ein großes Glück als Journalist arbeiten zu dürfen.

Auch wir Jungen können „Nein“ sagen, zu Dingen, die wir nicht wollen

Wir Journalisten dürfen das Wichtige vom Unwichtigen trennen. Das Interessante vom Belanglosen. Wir müssen nicht immer mitmachen. Wir dürfen widersprechen. Könnte es einen großartigeren Beruf geben? Es gibt etwas zu verteidigen. Der Journalismus, den wir vorfinden, und der, der in Zukunft sein wird, ist keineswegs naturgegeben. Wir alle prägen ihn. Jeden Tag. Auch wir Jungen können „Nein“ sagen, zu Dingen, die wir nicht wollen. Wir können Missstände recherchieren. Kritik üben. Wir können große Fragen stellen.

Aber Sie, die schon etwas länger dabei sind, seien Sie Vorbild.

Ohne journalistische Grundsätze, wie es mir zum Beispiel das lang umkämpfte Gebot des Netzwerk Recherche: „Journalisten machen keine PR“ war, ist es hart, Orientierung zu finden. Das Wichtigste aber zuletzt: Vergessen Sie bitte nicht, den Idealismus der Jungen zu bewahren. Hören Sie auf, uns immer und immer wieder auf die euphorisch ausgestreckten Fühler zu tappen. Ich bin 32 Jahre alt. Wenn alles gut geht, werde ich noch drei Jahrzehnte lang als Journalistin arbeiten. Müssen werden manche sagen. Dürfen, finde ich. Und hoffe inständig, dass das so bleibt.

Zur Person:

Julia Friedrichs, geboren 1979, studierte Journalistik in Dortmund. Heute arbeitet sie als freie Autorin von Fernsehreportagen und Magazinbeiträgen. Für eine Sozialreportage wurde sie 2007 mit dem Axel-Springer-Preis für junge Journalisten und dem Ludwig-Erhard-Förderpreis ausgezeichnet. Julia Friedrichs lebt in Berlin.

Auszüge aus Julia Friedrichs Rede im Internetblog von Netzwerk Recherche:

http://jk12.netzwerkrecherche.de/„es-gibt-etwas-zu-verteidigen/

Weitere Informationen und Kontakt:

http://jk12.netzwerkrecherche.de/

Weitere Artikel zu Diskussionen und Vorträgen bei der Jahrestagung 2012 von Netzwerk Recherche in Hamburg:

Rechtsextremismus und Medien – wenn die Recherche ausbleibt http://jk12.netzwerkrecherche.de/rechtsextremismus-und-medien-wenn-die-recherche-ausbleibt/

Der Rechtsextremismus von Nebenan http://jk12.netzwerkrecherche.de/der-rechtsextremismus-von-nebenan/

Daten-Munition für Journalisten http://jk12.netzwerkrecherche.de/daten-munition-fur-journalisten/

Kritik unerwünscht – Wie kritische Journalisten diffamiert und verfolgt werden http://jk12.netzwerkrecherche.de/kritik-unerwunscht/

Diskussion über die Bild-Zeitung Zwischen „guter Zeitung“ und „Drecksblatt“ http://jk12.netzwerkrecherche.de/zwischen-„guter-zeitung-und-„drecksblatt/

Der Streit ums Urheberrecht http://jk12.netzwerkrecherche.de/der-streit-ums-urheberrecht/

Haltung zeigen – auch werktags http://jk12.netzwerkrecherche.de/haltung-zeigen-auch-werktags/

Wie man der Sorgfaltspflicht genügt http://jk12.netzwerkrecherche.de/richtig-konfrontieren-wie-man-der-sorgfaltspflicht-genugt/

Vertrauen ist wichtig, Kontrolle ist besser http://jk12.netzwerkrecherche.de/vertrauen-ist-wichtig-kontrolle-ist-besser/

Investigative Dokumentationen http://jk12.netzwerkrecherche.de/investigative-dokumentationen-3/

Das Recht auf Auskunft http://jk12.netzwerkrecherche.de/das-recht-auf-auskunft/

Unsichtbar im Netz // Das Parallel-Netz http://jk12.netzwerkrecherche.de/unsichtbar-im-netz-das-parallel-netz/

Nota Bene // Vergissmeinnicht http://jk12.netzwerkrecherche.de/nota-bene-vergissmeinnicht/

In die Öffentlichkeit gezerrt http://jk12.netzwerkrecherche.de/in-die-offentlichkeit-gezerrt/

Ein süddeutsches Biotop http://jk12.netzwerkrecherche.de/ein-suddeutsches-biotop/

Global Investigative Journalism Network http://jk12.netzwerkrecherche.de/global-investigative-journalism-network/

Nazis im Visier http://jk12.netzwerkrecherche.de/nazis-im-visier/

Kindersoldat im Deutschlandtrikot http://jk12.netzwerkrecherche.de/kindersoldat-im-deutschlandtrikot/

Vierteljournalistische Projekte und Medienkritik: Niggemeier und Heinser http://jk12.netzwerkrecherche.de/vierteljournalistische-projekte-und-medienkritik-niggemeier-und-heinser/

Ohne Moos nix los? http://jk12.netzwerkrecherche.de/ohne-moos-nix-los/

„Ich selber wurde nie beklaut“ – Ulrich Wickert zur Urheberrechts-Debatte http://jk12.netzwerkrecherche.de/„ich-selber-wurde-nie-beklaut-ulrich-wickert-zur-urheberrechts-debatte/

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Ein Gedanke zu „„Es gibt etwas zu verteidigen“ – Rede einer jungen Reporterin über den aktuellen Zustand des Journalismus

  1. „Ich finde die Zivilisation ist eine gute Idee. Nur sollte endlich mal jemand anfangen, sie auszuprobieren.“

    Arthur C. Clarke (1917 – 2008)

    Was Zivilisation ist, beschrieb der Sozialphilosoph Silvio Gesell (1862 – 1930) in seinem makroökonomischen Grundlagenwerk „Die Natürliche Wirtschaftsordnung durch Freiland und Freigeld“ im Jahr 1916. Alle „Gegenargumente“ sind Vorurteile und Denkfehler.

    Dass eine Menschheit, die bereits Raumfahrt betreibt (und in „God´s own country“ schon wieder einstellen musste), sich noch immer im zivilisatorischen Mittelalter befindet und darum – was von den „Verantwortlichen“ noch gar nicht gesehen wird – heute vor der größten anzunehmenden Katastrophe der Weltkulturgeschichte (globale Liquiditätsfalle nach J. M. Keynes, klassisch: Armageddon) steht, erklärt der Umstand, dass sich das Paradies (die Marktwirtschaft) nicht von der Erbsünde (dem Privatkapitalismus) befreien lässt, um erst hinterher festzustellen, dass man sich schon im „Himmel auf Erden“ befindet:

    http://opium-des-volkes.blogspot.de/2011/07/die-ruckkehr-ins-paradies.html

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