„Auf den Spuren der Sinti- und Romakinder in Mulfingen“ – Gedenkvortrag heute Abend (Mittwoch) in Mulfingen

Heute jährt sich zum 68. Mal der Jahrestag der Verschleppung der Sinti- und Roma-Kinder aus der St. Josefspflege in Mulfingen ins Konzentrationslager Auschwitz. Dazu gibt es heute, Mittwoch, 9. Mai 2012, um 20 Uhr eine Gedenkveranstaltung im Container der Bischof-von-Lipp-Schule in Mulfingen (Bachgasse 90).

Von der St. Josefspflege Mulfingen

Referent: Diözesanhistoriker Dr. Stephan Janker

Der Diözesanhistoriker Dr. Stephan Janker hält einen Vortrag mit dem Titel „Auf den Spuren der Sinti- und Romakinder in Mulfingen“. Herzliche Einladung geht an die älteren Schülerinnen und Schüler der Bischof-von-Lipp-Schule und an die gesamte Mulfinger Bevölkerung sowie alle interessierten Bürgerinnen und Bürger.

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Pressemitteilung der Dözese Rottenburg-Stuttgart:

„Der schwärzeste Tag“  – Historiker Janker klärt Deportation von Sinti-Kindern aus Mulfingen auf

Rottenburg/Mulfingen. 8. Mai 2012. Der 9. Mai 1944 war für den katholischen Pfarrer des hohenlohischen Ortes Mulfingen der „schwärzeste Tag“ im Leben der örtlichen St. Josefspflege. An diesem Tag wurden 33 Kinder aus Sinti-Familien von den Nationalsozialisten in Mulfingen abgeholt und zum Bahnhof Crailsheim gebracht.

39 Kinder und eine Schwangere nach Auschwitz verschleppt

Von dort wurden insgesamt 40 Sinti, eine Schwangere und 39 Kinder, in das KZ Auschwitz-Birkenau deportiert. Der Rottenburger Diözesanhistoriker Stephan Janker konnte jetzt anhand von Archivmaterialien nachweisen, dass die Untermarchtaler Schwestern, die das Heim in Mulfingen betreuten, entgegen anders lautender hartnäckiger Gerüchte keine aktive Rolle bei der Deportation übernahmen. „Sie begleiteten die Kinder aus Fürsorgepflicht bis Crailsheim, sie waren selber Opfer des NS-Regimes“, sagt der promovierte Historiker.

Es war eine herzzerreißende Szene

Zu den von Janker ausgewerteten Dokumenten gehört ein Brief, in der die Oberin an eine Mutter schreibt: „Es war ein schwerer Tag und eine schwere Stunde, als der große Wagen anfuhr und die Kinder, von der Liste abgelesen, einsteigen mussten. Der Abschied ging gegenseitig sehr schwer. Es war eine herzzerreißende Szene. Auch die Leute vom Ort nahmen warmen Anteil an den Kindern und unserem Wehe. Auf unsere Bitte hin durften Fräulein Lehrerin und ich die Kinder begleiten bis Crailsheim. Von hier bis Künzelsau ging die Fahrt mit dem Postauto, in Künzelsau mussten wir in den abgedunkelten, abgesperrten Gefängniswagen einsteigen. In Crailsheim wurden noch eine Frau und mehrere Kinder dazugeladen. Nochmals munterten wir die großen Kinder auf, für die Kleinen besorgt zu sein, wieder herzzerreißendes Weinen und Wehklagen – wir zwei mussten den Zug verlassen und sehen, wie wir über Geleise und Schienen wieder auf einem Wege uns zurecht fanden.“

Rassische und eugenische Selektion

Mit weiteren Dokumenten kann Historiker Janker zeigen, wie willkürlich das NS-Regime mit kirchlichen Fürsorgeanstalten umgesprungen ist. Die Josefspflege in Mulfingen war durch den württembergischen NS-Heimerlass von 1938 zur ausschließlichen Aufnahme von schulpflichtigen Kindern der Kategorie V – „Zigeuner und Zigeunerähnliche“ – bestimmt worden. Über die rassische und eugenische Selektion der Heimkinder entschied und wachte der Landesjugendarzt Dr. Max Eyrich.

Pfarrer Volz sorgte sich vor „feindlicher Übernahme des Heims durch die Nationalsozialisten“

In einem von Janker gefundenen Schreiben an das Bischöfliche Ordinariat zeigt sich der Pfarrer und Anstaltsleiter Alois Volz zwei Tage nach der Kinderdeportation besorgt, das Mulfinger Heim könne gewissermaßen feindlich von den Nationalsozialisten übernommen werden. Seiner Ansicht nach sei „mit noch mehreren Aktionen in ein Lager zu rechnen …, da noch nicht alle Kinder, die nach Rasse dafür bestimmt sind, am letzten Dienstag fortgebracht [worden] sind.“ Die Sorge des Pfarrers galt nun den verbliebenen Sinti-Kindern, von denen mindestens zwei nachweislich sterilisiert worden sind.

Acht Kinder auf den Empfang der Erstkommunion vorbereitet

Für Janker ist nach Sichtung der historischen Dokumente klar, dass Pfarrer und Schwestern unter dem Zwang des Regimes praktisch keine Handlungsalternativen hatten. Als ihnen bekannt wurde, wer von den Kindern für die Deportation ausgesucht worden war, entschlossen sie sich, noch acht der Kinder auf den Empfang der Erstkommunion vorzubereiten. Dies gelang ihnen nur, wie die Oberin an anderer Stelle mitteilte, weil „der Transportwagen … einige Tage später eingelaufen [ist] als angesagt war“.

Reisekostenrechnungen der Kriminalpolizei Stuttgart gefunden

Als kleine Sensation bezeichnet der Diözesanhistoriker die von ihm aufgefundenen Reisekostenrechnungen der Kriminalpolizei Stuttgart. In ihnen sind die Verantwortlichen der Deportation namentlich genannt. Demnach reiste am 9. Mai 1944 der Leiter der „Dienstelle für Zigeunerfragen“ bei der Kriminalpolizeileitstelle Stuttgart, Adolf Scheufele, nach Crailsheim, um die Abwicklung der Deportation zu überwachen. Nachdem der Deportationszug Crailsheim um 18:44 Uhr verlassen hatte, kehrte Scheufele nach Stuttgart zurück. Eine zweite „Reisekostenabrechnung“ gibt mehr Auskunft. Sie berichtet „über eine auf Anordnung des Reichssicherheitshauptamts Berlin (RSHA) nach Auschwitz ausgeführte Dienstreise“ der Kriminalassistentin Kienzle aus Esslingen von 9. bis 15. Mai 1944. Als Zweck der Reise gibt Kienzle an: „Transport von Zigeunerkindern mit mehreren Begleitern“. Auf dem Rückweg unterbrach sie ihre Dienstreise, um den Sonntag in Wien zu verleben.

Ein Verbrechen, das an unschuldigen Kindern verübt wurde

Der Befund sei zweifelsfrei, sagt Janker: „Die Kripo Stuttgart, die für die Deportation der Sinti zuständig war, stellte für den Kindertransport nach Auschwitz extra eine weibliche Kriminalpolizistin ab. Die angesprochene Frau ist im Jahr 2002 verstorben.“ Zehn Jahre nach ihrem Tod dürfe nun ihr Name genannt werden. Der Transport aus Mulfingen traf bekanntlich am 12. Mai 1944 in Auschwitz ein. Nur vier Kinder überlebten. „Ein Verbrechen, das an unschuldigen Kindern verübt wurde, das wahrlich zum Himmel um Rache schreit“, heißt es in der Mulfinger Pfarrchronik.

Am Mittwoch, 9. Mai, gedenken in der Mulfinger Josefspflege Kinder und Eltern der Opfer der damaligen Deportation.

Ergänzung durch Hohenlohe-ungefiltert:

Bei einem Gottesdienst am Mittwoch, 9. Mai 2012, um 11 Uhr in der katholischen Kirche in Mulfingen gedachten die Schülerinnen und Schüler der Bischof-von-Lipp-Schule den deportierten Sinti- und Roma-Kindern. Heute Abend (Mittwoch, 9. Mai 2012, um 20 Uhr) hält der Diözesanhistoriker Dr. Stephan Janker einen Vortrag mit dem Titel „Auf den Spuren der Sinti- und Romakinder in Mulfingen“.

 

 

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Ein Gedanke zu „„Auf den Spuren der Sinti- und Romakinder in Mulfingen“ – Gedenkvortrag heute Abend (Mittwoch) in Mulfingen

  1. Hallo, sorry aber hier fehlt noch ein bescheidener Fakt: Wieviele der armen Kinder waren in Wahrheit JENISCHER Herkunft!? Und warum wird dieser signifikante hier mit keinem Wort erwaehnte Umstand derart versucht zu verstecken!? Uebrigens wird auch vo. Justin selbst in ihrer Dissertation bestaetigt das eben ein Teil der Kinder gar keine Sinti sondern eben um Angehoerige der von Ritter damals noch als „jenischer Menschenschlag“ bezeichneten jenischen Ofdergruppe! Warum wird diesen Kindern sowie deren Leid hier keinerlei Aufmerksamkeit gewidmet!? Das hinterlaesst doch mehr als nur einen sehr bitteren Nachgeschmack, meine Herren! Einen angenehmen Tag noch …

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