„Schmierenkomödie der Polizei“ – Polizeieinsatz gegen S21-GegenerInnen und anschließende mediale Verarbeitung

Propaganda-Offensive gegen S21-GegnerInnen: Die Dramatisierung einer angeblichen Attacke auf einen Polizisten kennt keine Grenzen. Es geht darum, die Proteste gegen den Bahnhofsneubau in ein möglichst negatives Licht zu rücken und politisch zu isolieren.

Von Paul Michel, Schwäbisch Hall

Gelände des Grundwasssermanagements besetzt

„Gewalt bei Stuttgart 21 Protesten“ lauteten die Schlagzeilen in den Medien, nachdem am 20. Juni 2011 im Anschluss an eine Demonstration in Stuttgart zirka 1000 GegnerInnen des Bahnprojekts Stuttgart 21 das Gelände des Grundwasssermanagements besetzt hatten. Das mediale Trommelfeuer stützt sich im wesentlichen auf zwei von der Polizeiführung behauptete Punkte..

1) Es sei ein am Boden liegender Polizeibeamter von S21-Gegnern mit Fußtritten und Schlägen traktiert und dabei lebensgefährlich verletzt worden.

2) Acht Polizisten hätten durch die Explosion eines Böllers schwere Hörschäden davon getragen. Sie mussten sich in ärztliche Behandlung begeben.

Faktencheck:

Inzwischen ist durch Zeugenaussagen und Videoaufnahmen ersichtlich, dass es sich bei den Aussagen der Polizei um politisch motivierte Falschaussagen handelt.

Beim Beamten in Zivil handelte es sich vermutlich um einen „Agent Provokateur“

Zu 1) Mehrere Zeugen bestätigen, dass es sich bei dem vermeintlich schwer verletzten Beamten in Zivil um einen „Agent Provokateur“ handelt. Er habe selbst Baumaterialien, die auf dem Gelände lagerten,  herumgeworfen und Umstehende aufgefordert desgleichen zu tun. Offenbar wollten einige der Platzbesetzer ihn daran hindern.Daraufhin ist es zu einer Rangelei gekommen. Der Rest ist in einem im Internet kursierenden Video gut zu sehen: Es gab eine Rangelei mit einem Mann. Der Polizeibeamte konnte sich daraus befreien und lief davon, wurde dann von einer weiteren Gruppe in Empfang genommen, wobei er zwar zum Teil beschimpft, aber nicht tätlich angegangen wurde. Anschließend entfernte er sich und ging zu einem Polizeiwagen, wo man ihn telefonieren sah. Weit und breit ist kein Polizei-Sanitäter im Bild, der ihn behandelt hätte. Auf dem Video ist nicht zu erkennen, dass der Polizeibeamte irgendwelche Verletzungen erlitten hätte.

Demonstranten standen näher beim Ort der Detonation – Keiner hatte einen Hörschaden

Zu 2) Gegen 19.15 Uhr wurde ein Knallkörper gezündet. Keine Rohrbombe mit TNT – ein einfacher Knallkörper. Auf einem Video ist zu erkennen: Rund 30 Demonstranten standen zu diesem Zeitpunkt ganz in der Nähe des Detonationspunktes – allerdings auf der anderen Seite des Zauns, aber viel näher als die Polizisten am Detonationsort. Seltsamerweise hat niemand von diesen Leuten Hörschäden davongetragen. Die betreffende Gruppe von Polizisten war zu diesem Zeitpunkt zirka 25 Meter vom Ort des Knalls entfernt. Auf dem Video ist nicht zu erkennen, dass einer der Beamten irgendwie Reaktionen auf den Knall zeigte. Keiner langte sich ans Ohr oder gab zu erkennen, dass ihm etwas weh tat. Wären hier Verletzungen entstanden, wäre Hektik in den Reihen der Polizei zu erkennen gewesen und es wären die Polizeikräfte an dieser Stelle vermutlich verstärkt oder ausgetauscht worden. Nichts davon war aber der Fall.

Eine andere Sache fällt aber auf: Ein Beamter hält sich kurz vor der Explosion des Knallkörpers die Ohren zu. Es handelt sich um einen Polizeiführer, der mit zwei Funkgeräten ausgestattet war und just zu diesem Zeitpunkt seine Ohrstöpsel ans Ohr drückte. Ein Schuft, der böses dabei denkt.

Polizeiliche Schauspielerei

Die Videos lassen das, was die Polizeiführung hinterher vor laufenden Mikrophonen und Kameras verlautbarte, als völlig unglaubwürdig erscheinen. Aus niedrigen politischen Beweggründen führten dennoch diverse Vertreter der Staatsorgane eine wahre Schmierenkomödie auf. «Es ist erschreckend und nicht hinzunehmen, dass ein 42-jähriger Polizeibeamter von Störern zusammengeschlagen und erheblich verletzt wurde», sagte Baden-Württembergs Innenminister Reinhold Gall (SPD). «Wir haben um sein Leben gefürchtet,» dramatisierte Stuttgarts Polizeipräsident Thomas Züfle. Bei dieser Inszenierung konnte natürlich auch nicht die Stuttgarter Staatsanwaltschaft fehlen. Sie verkündete lauthals, sie wolle wegen „versuchten Totschlags“ ermitteln. Aber das kann nicht weiter verwundern – versucht doch Oberstaatsanwalt Bernhard Häussler schon seit langen, die Bewegung gegen S21 zu kriminalisieren, während die Ermittlungen wegen Polizeigewalt vom 30. September 2010 reihenweise eingestellt wurden.

Polizei legt keine Bilder vor

Auffälligerweise können und wollen Polizei und Staatsanwalt kein Bildmaterial für ihre Anschuldigen vorlegen – was sie sonst immer tun. Daran, dass es keines gibt, kann es nicht liegen. Denn gewiss waren bei dem Polizeieinsatz wieder polizeiliche Dokumentationstrupps im Einsatz, die gewissenhaft ihrer Aufgabe nachgekommen sind. Im Haller Tagblatt vom 25. Juni 2011 hat ein Polizeisprecher dafür eine besonders originelle Erklärung: Man sei noch immer mit der Auswertung der zahlreichen Filmaufnahmen beschäftigt. Schließlich müsse das Ermittlungsergebnis gerichtsfest sein. Auch der Krankheitsverlauf des angeblich lebensgefährlich verletzten Zivilpolizisten ist äußerst verwunderlich. Bereits am nächsten Tag ist er bereits wieder aus dem Krankenhaus entlassen worden.

Ziel der Polizei: Einen Keil in den Widerstand treiben

Die von Polizei und Staatsanwaltschaft aufgeführte Dramatisierung einer angeblichen Attacke auf Polizisten hat wenig mit der Wahrheit, dafür viel mit politisch motivierter offensiver Öffentlichkeitsarbeit zu tun. „Die Polizei phantasiert, dramatisiert und kriminalisiert, um einen Keil in den Widerstand zu treiben“, stellte der Sprecher des Widerstandes, Matthias von Herrmann, zu Recht fest. Es geht um die Delegitimierung des Widerstands gegen S21, der politisch an die Wand gestellt werden soll. Und es geht darum, einen Spaltungskeil zwischen die S21-GegnerInnen zu treiben. Die grünen Mitglieder der Landesregierung, an vorderster Stelle Ministerpräsident Kretschmann spielen dieses Spiel leider mit. Kretschmann stellt die polizeiliche Verzerrung der Tatsachen nicht in Frage und forderte die Demonstranten auf, weiter friedlich und sachlich zu bleiben. Verkehrminister Herrmann äußerste sich in ähnlicher Tonlage.

Unverfrorene Entstellung der Tatsachen

In einer Situation, wo sogar die gewiss S21-freundliche Südwestpresse die Aussagen der Polizei anzweifelt, sehen weder Kretschmann noch Herrmann Anlass, selbiges zu tun. Man/frau sollte zumindest erwarten, dass die Landessregierung einen Untersuchungsausschuss einrichtet, um die Vorfälle zu klären. Anzeichen dafür gibt es gegenwärtig leider nicht. Für die GegnerInnen von S21 ist es gewiss kein gutes Zeichen, dass die Grünen hier – aus welchen Gründen auch immer – untätig sind. Für die Bewegung gegen S21 sollten die Vorfälle vom 20. Juni 2011 kein Grund sein, vor Regierung, Polizei und Bahn auf die Knie zu fallen und drei mal „Mea Culpa“ zu sagen. Wenn hier jemand sich entschuldigen sollte, dann ist das die Polizeiführung, nämlich für ihre unverfrorene Entstellung der Tatsachen in der Öffentlichkeit. Der grüne Teil der Landesregierung hat durchaus Anlass, darüber nachzudenken, ob er mit seinem leichtfertigen Vertrauen in die von der Polizeiführung verbreiteten Märchen der eigenen Sache nicht einen Bärendienst erweist.

 

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