„Der ländliche Raum sollte angemessen in Stuttgart vertreten sein“ – Interview mit Ute Oettinger-Griese (FDP)

Wenige Tage vor der Landtagswahl in Baden-Württemberg hat die Redaktion von Hohenlohe-ungefiltert Kandidaten der Wahlkreise Schwäbisch Hall und Hohenlohe befragt. Den jeweiligen Fragenkatalog erhielten alle angefragten Kandidatinnen und Kandidaten am Sonntag, 20. März 2011, per E-Mail an Adressen, die sie auf ihren Internetseiten selbst angegeben haben. Die Fragen am schnellsten beantwortet hat Ute Oettinger-Griese (FDP/Wahlkreis Hohenlohe). Deshalb steht sie bei der Veröffentlichung an erster Stelle.

Von Ralf Garmatter, Hohenlohe-ungefiltert

Hohenlohe-ungefiltert: Die schon seit Jahren andauernden Proteste gegen Stuttgart 21 und auch gegen die Atomenergie zeigen, dass viele Menschen das Vertrauen in die Politik und die Politiker verloren haben. Was können Sie als Landtagsabgeordnete konkret tun, damit die Menschen Vertrauen in die handelnden Personen in Politik und Wirtschaft bekommen?

Ute Oettinger-Griese: Richtigerweise sollte die Frage lauten, was könnten Sie als Landtagsabgeordnete konkret tun, denn noch bin ich Kandidatin. Durch werteorientiertes Handeln, wie ich es in meinem Leben bisher gehandhabt habe. Ehrlichkeit, Verlässlichkeit, Höflichkeit, Pünktlichkeit, Eigenverantwortung, Verantwortungsbewusstsein, Zukunftsorientierung, Legalitätsprinzip um die wichtigsten zu nennen. Dies zu leben ist nach meiner Meinung und Erfahrung nur in der FDP mir möglich.

Welche Position beziehen Sie als FDP-Frau bei den Themen Hartz-IV, Leiharbeit und Ein-Euro-Jobs ?

Antwort zu Hartz-IV: Hartz IV ist ein Schutzschild, welches nach Ablauf der Zahlungen von Arbeitslosengeld 1 in Kraft tritt. Das von der Regierung Schröder zusammen mit den Grünen 2005 beschlossene Gesetz spricht von Fördern und Fordern. Diesem Ziel kann ich nicht widersprechen, wenn neben der staatlichen Förderung durch Geld und weiterbildende Angebote etc. dieser auch ein gerechtes Fordern nach Eigeninitiative zur Wiedererlangung eines Arbeitsplatzes entgegensteht. Die Höhe des Hartz IV-Satzes wurde ja vor kurzem neu berechnet, allerdings war die Umsetzung dieser Neuberechnung, inclusive der vom Verfassungsgericht geforderten transparenten Darstellung recht mühsam, da hat sich keine der beteiligten Parteien besondere Lorbeeren verdient. In der Berechnung des neuen Satzes werden keine Zigaretten und Alkoholika berücksichtigt, dies stellt für mich kein Problem dar, beziehungsweise wäre es anders hätte ich eines.

Leider ist das Gesetz recht schlampig formuliert, dies zeigt sich in den mannigfachen Urteilen verschiedener Gerichte, von denen ich die wichtigsten zitieren möchte.

22. November 2005:

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) erklärt in der sogenannten Mangold-Entscheidung die dem ersten Hartz-Gesetz eingeführte Einschränkung des Kündigungsschutzes für über 52-Jährige mit dem EU-Recht (Diskriminierung) als unvereinbar.

20. Dezember 2007:

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) erklärt die mit „Hartz IV“ eingeführten Argen für verfassungswidrig.

27. Januar 2009

Das Bundessozialgericht (BSG) hält die Regelleistung für Kinder unter 14 Jahren für verfassungswidrig und legt die Vorschrift dem Bundesverfassungsgericht zur Prüfung vor.

9. Februar 2010:

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) erklärt die Berechnung der Regelleistung generell für verfassungswidrig. Die Vorschriften bleiben bis zur Neuregelung, die der Gesetzgeber bis zum 31. Dezember 2010 zu treffen hat, weiter anwendbar.

Antwort zur Leiharbeit: Seit 1967 ist es auch in der BRD erlaubt Arbeitskräfte „auszuleihen“. Davor war dies verboten. Damit wurde ein Mittel geschaffen, welches den Betrieben erlaubt, temporär Mitarbeiter einzustellen, um Spitzenbedarfe abzudecken. Es sollte der Grundsatz gelten, gleiches Geld (Lohn) für gleiche Arbeit, das heißt aber auch gleiche Arbeitsleistung. In den Zeiten der Einarbeitung ist ein geringerer Lohn durchaus gerechtfertigt, da der Mitarbeiter oder die Mitarbeiterin auf einem anderen Leistungsniveau arbeitet. Durch die so genannte Leiharbeit oder wie sie zum Beispiel in der Schweiz als temporäre Arbeit bezeichnet wird, ergibt sich für die Betriebe die notwendige Flexibilität in Spitzenzeiten ihr Personal anpassen zu können. Für den Mitarbeiter ergibt sich die Chance seine Qualitäten überzeugend zu zeigen und sich für eine dauerhafte Einstellung zu empfehlen.

Antwort zu Ein-Euro-Jobs: Den Ersatz für die früher in der Sozialhilfe benannten gemeinnützigen zusätzlichen Arbeit durch einen Ersatz der entstehenden Mehrkosten von ca. 1..2,50 € (sog. 1 Euro Job) wäre sicher zu überdenken. Es handelt sich bei den 1…2,50€ nicht um einen Arbeitslohn sondern um eine Ersatzleistung für Fahrgeld und andere sonst nicht entstehende Kosten. Diese hauptsächlichen gemeinnützigen Arbeitsstellen sollen helfen, den Zugang zum Arbeitsmarkt zu öffnen und damit das Ziel einer selbständigen Versorgung wieder zu erlangen. Es wäre zumindest ein kleiner Schritt auf den Weg dahin.

Die Alternative wäre daher ein entsprechendes höheres Arbeitsentgelt für die jeweilige Arbeit zu zahlen, dieses wäre dann aber auf die Hartz-IV-Leistungen anzurechnen. Auch hier gleicher Lohn für gleiche Arbeit und gleiche Leistung. Bei Nichtannahme einer objektiv zumutbaren Arbeit, ist eine Kürzung bestehender Leistungen vorzunehmen, denn das Prinzip Leistung ohne Gegenleistung ist der Allgemeinheit nicht zuzumuten und abzulehnen.

Die FDP ist als Partei für den Bau des Stuttgarter Tiefbahnhofs und das Immobilienprojekt (Stuttgart 21). Welche Vorteile bringt der Bau des Stuttgarter Tunnelbahnhofs für die Bürgerinnen und Bürger des Landkreises Hohenlohe ? Welche Nachteile gibt es für die Bürgerinnen und Bürger dieses Landkreises beim Bau von Stuttgart 21 ?

Vorteile: Bessere und schnellere Anbindung an den Flughafen und die Messe Stuttgart.

Nachteile: Keine, ob Kopf- oder Tiefbahnhof ändert nichts an der geografischen Lage der Landeshauptstadt.

Sind Sie für einen Bürgerentscheid/Volksentscheid zum Immobilien- und Bahnprojekt Stuttgart 21 ? Meines Wissens ist dafür eine Zweidrittelmehrheit im Landtag erforderlich. Wie sollen diese über 66,6 Prozent der Abgeordnetenstimmen nach der Landtagswahl zusammenkommen ?

Ich bin nicht für einen Bürgerentscheid oder Volksentscheid zu diesem Projekt. Mit der Schlichtung von Heiner Geisler ist für mich das Thema abgeschlossen. Zum Thema Zweidrittelmehrheit empfehle ich Ihnen den Artikel 59 und 60 der Landesverfassung Baden Württemberg einfach mal nachzulesen.

Die Katastrophe in den Atomkraftwerken im japanischen Fukushima erschüttert die Welt. Hat die Atomkraft in Deutschland und insbesondere in Baden-Württemberg noch eine Zukunft, oder sollen die AKWs möglichst schnell abgeschaltet werden? Falls Sie fürs schnelle Abschalten sind: Wie könnte ein realistischer Zeitplan aussehen? Wie kann die Versorgungssicherheit in Deutschland mit Strom gewährleistet werden ?

Die AKW´s in Deutschland werden abgeschaltet, wenn sie nicht mehr gebraucht werden. Das heißt, wenn benötigter Strom in Deutschland aus Wind, Sonne, Wasserkraft, Kohle, Gas, Holz, sonstigen nachwachsenden Rohstoffen und so weiter zu akzeptablen Preisen zur Verfügung steht. Hauptgrund für einen Stopp der weiteren Nutzung der Kernenergie ist für mich das Fehlen eines wirklich geeigneten Endlagers für den Atommüll. Eine Energieversorgung, die den gesamten Kreislauf inklusive der Lagerung des bei der Energieerzeugung entstehenden Mülls nicht darstellen kann, ist abzulehnen. Wir dürfen unseren nachfolgenden Generationen keine derart ungedeckten Schecks als Erbe hinterlassen.

Wie beurteilen Sie das derzeitige Verhalten der Regierungsparteien im Bund (CDU und FDP) – und deren Kurswechsel – beim Thema Kernenergie in Deutschland?

Die derzeitige Überprüfung der Sicherheitsstandards der bestehenden AKW´s aufgrund der jüngsten Vorfälle in Japan war die einzig sinnvolle und richtige Entscheidung der Regierung und sollte ideologiefrei anerkannt werden. Als sicherheitstechnisch schlecht finde ich es, dass der sogenannte Atomkonsens von Rot-Grün zu einem Stopp der Sicherheitsinvestitionen bei den AKW´s geführt hat und man die Endlagerfrage nicht weitergeführt hat. In dem Regierungsbeschluss dieser Woche kann ich keinen Kurswechsel erkennen, sondern eher verantwortungsvolles Handeln.

Der CDU-Landtagsabgeordnete und CDU-Landtagskandidat Helmut W. Rüeck aus Crailsheim und die CDU im Land Baden-Württemberg brüsten sich mit dem ihrer Ansicht nach guten Abschneiden der Kinder und Jugendlichen aus Baden-Württemberg bei den Pisa-Tests. Welche Dinge liegen Ihrer Meinung nach beim Thema Bildung im Land im Argen ? Was muss besser werden und wie soll dies geschehen ? Bitte nennen Sie konkrete Beispiele und Begründungen.

Siehe Antworten unter 9, ist dort mit beantwortet.

8. Welche Position haben Sie beim Thema Ausbau der Autobahn 6 (A 6) ? Halten Sie diesen für notwendig oder gibt es bessere Alternativen ? Falls Sie den Ausbau für notwendig halten: Wie soll das Nadelöhr Kochertalbrücke bei einem sechsspurigen Ausbau (zuzüglich Standspur) bewältigt werden? Wie soll der Ausbau bezahlt werden?

Ausbau A 6 ist notwendig. Kochertalbrücke ist ebenfalls 6-spurig auszubauen. Dies sollte doch für ein technisch führendes Land wie die Bundesrepublik kein Problem darstellen. Derzeitige Breite von 30 Meter ist für 6-spurigen Ausbau etwas zu erweitern, die technische Machbarkeit scheint mir nicht unmöglich, ist aber von einem Techniker zu beantworten. Sollte ich in den Landtag gewählt werden, so werde ich mich gerne dieser Frage vertieft widmen.

Bezahlung: durch den Bund, dieser ist Herr der Bundesautobahnen. In der Regel werden zur Bezahlung derartiger Bauvorhaben Steuergelder verwendet, dazu sind sie ja da. Ich kann mir auch eine Maut vorstellen, schließlich hat man auch als Autofahrer Vorteile von diesem Ausbau. Eine alternative Finanzierung wäre eine öffentliche private Finanzierung (OPP) anzudenken, dies würde das Projekt beschleunigen und die Finanzierung bei bestehender Rechtslage erleichtern.

9. Welchen Themen wollen Sie sich als Landtagsabgeordnete besonders intensiv widmen – und warum ?

Stärkung unserer Infrastruktur:

– Stadtbahnverlängerung mindestens bis zum Gewerbepark Waldenburg

– 6-spuriger Ausbau der A 6 bis zur Landesgrenze vorantreiben

– Optimierung der Verkehrsinfrastruktur in Hohenlohe

– Nachhaltige Sanierung der Landesstraßen und kein kurzfristiges Flickwerk

Wirtschaft und Bildung:

– Konsequenter Bürokratieabbau

– Stärkung der mittelständischen Strukturen

– Sinnvolle Ganztagesbetreuung orientiert am örtlichen Bedarf

– Unterstützung individueller Betreuungsangebote für die Familien, gerade auch außerhalb kommunaler Trägerschaften

– Optimierte Verzahnung aller Schularten mit Wirtschaft und Handwerk

– Wieder mehr Durchlässigkeit im bestehenden Schulsystem

– Bessere Abstimmung der Lehrpläne hinsichtlich eines möglichen Wechsels der Schularten

Agrarwirtschaft – ländlicher Raum:

– Europaweit gleiche Rahmenbedingungen für die Landwirtschaft

– Wettbewerbsnachteile beseitigen durch nationale Sonderregelungen wie zum Beispiel im Stallbau, bei der Dieselbesteuerung oder beim Pflanzenschutz

– Agrarpolitische Vorgaben der EU in Deutschland 1:1 umsetzen – nicht weniger, aber auch nicht mehr

– Unternehmerische Landwirtschaft

– Medizinische Versorgung in unserer Region sichern

– Förderung der interkommunalen Zusammenarbeit

Warum:

Weil ich in Hohenlohe geboren bin und mich für dieses schöne Land und seine Menschen engagieren will. Der ländliche Raum sollte angemessen in Stuttgart vertreten sein.

Welche Parteien sind für Sie als Kandidatin der FDP mögliche Koalitionspartner bei der Regierungsbildung im Land – welche nicht (und warum nicht) ?

Derzeit sehe ich die CDU als möglichen Koalitionspartner an.

Nach eigenen Angaben übernahmen Sie 1987 das elterliche Lebensmittelgeschäft in Kupferzell, in dem Sie zuvor schon seit 1979 arbeiteten. Seit 2001 sind Sie Vorsitzende des FDP-Kreisverbands Hohenlohe. Seit 2004 Mitglied im Kreistag des Hohenlohekreises. Wie können Sie bei dieser Fülle von Aufgaben und Ämtern dem einzelnen Amt und dazu noch Ihrer Familie (Mann und zwei erwachsene Töchter) gerecht werden ?

Hier zeigt sich die Stärke der Frau. Ja, man kann tatsächlich mehrere Dinge gleichzeitig tun, kostet halt Zeit und Nerven. Ich habe zum Glück meine Familie hinter  mir; das heißt, wir waren in den vergangenen Jahren eine intakte Großfamilie, in so einem – inzwischen seltenen gewordenen Familienverbund – stellt eine ehrenamtliche Tätigkeit keine Belastung dar, sondern einen gesunden Ausgleich zum täglichen Stress im Geschäft wie Familie. Jetzt ist die Familie geschrumpft, die Eltern, der Hund gestorben, die Kinder erwachsen und der Mann in Altersteilzeit daheim. Geblieben die Leidenschaft für Politik und die Hoffnung diese in Stuttgart gestalten zu können.

Warum mussten Sie vor etwa zehn Jahren Ihre zehn Angestellten entlassen und den ursprünglichen Handel mit Lebensmitteln aufgeben ? Inzwischen betreiben Sie eine Postagentur, verkaufen außerdem Feinkost und Zeitschriften.

Wir haben den Lebensmittelladen geschlossen, weil wir Umsatz nicht mit Gewinn verwechselt haben. Wir hatten gemeinsam 1987 zu ersten Mal das Geschäft (in dritter Generation) neu gebaut, der nächste Bauabschnitt erfolgte in den 90er Jahren, die Investitionen waren nicht unerheblich. Wenn aber der Überschuss in einer Jahresbilanz für einen 14 Stunden Tag an 6 Tagen der Woche nur noch einen dreistelligen Gewinnbetrag aufzeigt, ist es Zeit zu schließen.

Wenn der Einzelhändler sein Sortiment so führen soll, dass er vor allem auch die Dinge im Angebot haben soll, die der nachfragende Kunde im Supermarkt der nächsten Stadt nicht findet, dann ist es Zeit zu schließen. Wenn es Wille des Kunden ist, seine Haupteinkäufe bei den großen Filialisten zu tätigen und nur die Lücken werden vor Ort gefüllt, dann ist es Zeit zu schließen, denn davon kann man nicht die notwendigen Erlöse erwirtschaften, um dauerhafte Arbeitsplätze zu gewährleisten.

Es war nicht leicht nach so vielen Jahren und Generationen den Laden von Oettinger zu schließen, da sind schon Tränen geflossen, aber es gelang für alle Mitarbeiter aufgrund ihrer guten Ausbildung entsprechende Arbeitsplätze zu finden.

Auch als engagierter Einzelhändler lebt man vom Erlös und nicht vom bloßen Dasein. Es gibt ja im Einzelhandel keine Subventionen oder Mindestpreise für Waschpulver oder eine Prämie von der Gemeinde, wenn man einen Laden führt. Jetzt betreibe ich einen kleinen Laden mit Postagentur, Zeitschriften, Weinen ausgewählter Winzer etc. und werde dabei von zwei lieben Mitarbeiterinnen unterstützt.

Die Zukunft bleibt spannend.

 

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