Ein polnischer Zwangsarbeiter wurde 1942 in Bretzfeld-Rappach hingerichtet – Eine private Initiative setzt sich für ein angemessenes Gedenken ein

Irena Maria Baran und ihre Familie vor dem Gedenkschild an ihren Vater Czeslaw Trzcinski.

Irena Maria Baran und ihre Familie vor dem Gedenkschild an ihren Vater Czeslaw Trzcinski.

Irena Maria Baran, geborene Trzcińska, besuchte vor kurzem auf Einladung von Udo Grausam das Grab ihres Vaters Czesław Trzciński im Gräberfeld der Universitätsanatomie auf dem Stadt­friedhof von Tübingen. Außerdem suchte sie mit ihrer Familie das Gelände der Hin­rich­tung ihres Vaters bei Rappach in der Gemeinde Bretz­feld im heutigen Hohenlohekreis auf.

Vom Verein Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V., Regionale Arbeitsgruppe Ba­den-Würt­tem­berg, Sektion Böblingen-Herrenberg-Tübingen

Der Besuch

Irena Baran legte in Tübingen einen Blumenstrauß des Vereins Gegen Vergessen – Für Demokratie auf das Grab und stellte ein mitgebrachtes Grablicht auf. Sie selbst, ihr Ehemann Eugeniusz Baran, ihr Sohn Radosław Baran und ihr Enkel Tomasz Baran beteten dort und gedachten des Toten.

Irena Baran dankte den Vereinsmitgliedern Esther Peylo und Udo Grausam für den Hinweis auf das Grab. Zum ersten Mal seit ihrer Geburt im Februar 1939 besuche sie das wirkliche Grab ihres Vaters. Sie schilderte, wie die Familie bisher am Todestag von Czesław Trzciński zu seinem Gedenken auf den Friedhöfen von Łódź und Będzin am Kreuz für die Personen oh­ne Grab Kerzen auf­stellte und betete. Der Besuch in Tübingen bedeute für sie Trauer um ih­ren Vater und Ab­schied von ihm. Sie erfahre auch eine Art Abschluss ihrer Lebensge­schich­te in Bezug auf ihre Eltern.

Irena Baran bemerkte die Stille über dem Gräberfeld, das einfach aber angemessen her­ge­rich­tet sei. Sie wün­sche sich, dass auch Angehörige von anderen dort Bestatteten diesen Ort be­su­chen könnten. Sie bat darum, das mitgebrachte Grablicht zwischen Allerhei­ligen und dem Todestag des Vaters am 11. November wieder anzuzünden. Udo Grausam versprach, dies zu tun.

Czesław Trzciński wurde in Bretzfeld-Rappach aufgehängt

Am zweiten Tag ihres Besuches suchte die Familie die Hinrichtungsstelle in Rap­pach in der Gemeinde Bretz­feld im baden-württembergischen Hohenlohekreis auf. Czesław Trzciński war dort, an seinem ehemaligen Arbeitsort, außerhalb des Dorfes in einem Geländeeinschnitt von der SS aus dem „Polizeigefängnis“ Welz­heim aufgehängt worden. Ein Nach­fahre aus der Familie seines Arbeitgebers leg­te zum Zeichen der Verbunden­heit mit der Familie Baran im Gelände eine Rose nieder.

Die Vorgeschichte

Vor ihrem Besuch hatte Irena Maria Baran eine Sammlung von historischen Dokumenten über den Vater Czesław Trzciński und Erinnerungen aus der Familie seines Ar­beitgebers erhalten, außer­dem einige Bilder vom Gräberfeld X des Tübinger Stadtfriedhofs. Die Sammlung war seit 2002 entstanden durch Recherchen im Universitätsarchiv Tübingen, im Staats­archiv Lud­wigs­burg, bei der Deutschen Dienststelle Berlin und beim In­ternationalen Suchdienst in Bad Arolsen. Der Band von 40 Seiten ist zur besseren Verständlichkeit für die Familie Baran mit einer polnischen Einladung versehen.

Der ehemalige Kriegsgefangene und „Zivilpole“ Czesław Trzciński wurde von seinem Ar­beitgeber in Rappach angezeigt und Ende Oktober 1942 als „Volksschädling“ in das „Polizei­gefängnis“ Welzheim in der Nä­he von Stuttgart eingeliefert. Spätere Aussagen einer Zeit­zeu­gin lassen vermuten, dass bei der Hinrichtung in Rappach am 11. November 1942 die Bürgermeis­ter der umlie­gen­den Ortschaf­ten beteiligt waren. Sie führten die Polen aus ihren Dörfern zur Hinrichtungsstelle und zwan­gen sie dazu, Augenzeugen des Mordes zu werden. Vermutlich hatte der Landrat des Krei­ses sie dazu auf­gefordert. Ein solches Vorgehen ist in mehreren Quellen für weitere Hinrich­tungen anderswo belegt.

Die Exekution von Czesław Trzciński muss wegen der antipolni­schen Gehässigkeit der Datumswahl am 11. November 1942 als Mord bezeichnet wer­den. Ziel war offen­bar die Demüti­gung, Verhöhnung und Einschüchterung der Polen an ihrem Na­tio­nal­feiertag. Der Hin­rich­tungstag 11. November war (und ist) der polnische Unab­hängig­keitstag, von 1918 bis 1939 und heute wieder der Nationalfeiertag. Bereits 1941 waren an die­sem Tag in Welzheim die bei­den Polen Franciszek Dembinski und Stefan Szczepaniak ge­henkt wor­den. Den niederen Beweggrund der Hinrichtung müssen die Bürgermeister der Rap­pacher Um­gebung erkannt haben. Denn die meisten hatten den 11. No­vem­ber 1918 selbst erlebt; als Katastrophe der deutschen Kriegsniederlage. Es muss ihnen klar gewesen sein, dass die Stutt­gar­ter und Welzheimer Gestapo am 11. November 1942 an Czesław Trzciński den für Deutsch­land negativen Aus­gang des Ersten Weltkrieges gerächt hat. Sie müssen sich als Er­füllungsgehilfen dieser Rache erkannt haben. Bisher konnte die Ge­denk­ini­tiative des Vereins Gegen Vergessen – Für Demokratie keine staatsanwaltschaftliche Ermittlung und kein Gerichtsver­fah­ren gegen die Mörder von Czesław Trzciński und ihre Gehilfen nachweisen. Der Mord scheint juristisch ungesühnt geblieben zu sein.

Irena Baran schaltete 1989 bei der Suche nach ihrem Vater das Rote Kreuz ein

Irena Maria Baran hatte 1989 das Polnische Roten Kreuz um Auskunft über ihren Vater gebeten. Der eingeschaltete Internationale Suchdienst in Bad Arolsen übermittelte den 11. No­vember 1942 als den Todestag, den Ort Rappach als den Sterbeort und die Exekution als die Todesursache. In der Nachricht fehlte aber offenbar der Hinweis auf das Grab in Tübin­gen, so erzählte Irena Baran beim Besuch. Dabei war bereits 1980 die Grabstelle durch eine Bron­ze­tafel mit dem Namen von Czesław Trzciński bezeichnet worden. Außer­dem hatte 1987 die Historikerin Benigna Schönhagen in ihrem Buch über das Grä­ber­feld X in Tübingen den Namen genannt. Es scheint in der Auskunft an die Frau Irena Maria Baran der Hinweis auf das Grab ihres Vaters versäumt worden zu sein. Unsere Gedenkinitiative erfuhr im Herbst 2008 von der Suche der Familie nach Czesław Trzciński und ließ über den Such­dienst eine Einla­dung zu einem Totengedenken in Tübin­gen aussprechen.

Uni Tübingen nutzte die Leichen der Hingerichteten zu Versuchszwecken

Auf dem Gräberfeld X des Tü­bin­ger Stadtfriedhofs, dem Leichenfeld der Universitätsanato­mie, sind mehrere Denkmäler zu sehen: drei Grabkreuze von 1952, die nur die Auf­schrift „1939 – 1945“ tragen, eine Stein­platte von 1960 mit einem Text, dann sechs Bronze­tafeln von 1980 mit den Namen von 517 NS-Opfern und eine Gedenktafel von 1990, auf der die Uni­versität Tübingen ausdrücklich ihre Verantwortung an der Ausbeutung der Leichen bekennt.

Unsere Initiative in der Gemeinde Bretzfeld im Hohenlohekreis

Seit Jahr 2002 hat unser Mitglied Udo Grausam in Rappach und in der Gemeinde Bretzfeld meh­rere Veranstaltungen zum Gedenken an Czesław Trzciński durchge­führt: einen Vortrag, zwei Seminare, eine Filmvorführung und zwei Mahnwachen. Unterstützt wurde er dabei von der Regionalen Arbeitsgruppe Baden-Württemberg durch den persönli­chen Einsatz der Mitglieder und durch eine Entschließung der Mitgliederversammlung von 2004. Beson­ders zu danken ist unserem Sprecher, Dr. Alfred Geisel aus Aalen, für seine persönli­che Anwesenheit bei zwei Veranstaltungen und für seine wiederholte Fürspra­che beim Bür­ger­meister der Gemeinde Bretzfeld. Auch die Europaabgeordnete des zugehö­renden Wahl­kreises Schwäbisch Hall-Hohenlohe, unsere Vereinskollegin Evelyne Gebhardt, hat in einem Brief den Bür­ger­meister Föhl der Gemeinde Bretzfeld um Unterstützung der Initiative gebeten.

Dem Bretzfelder Gemeinderat ist inzwischen mehrfach vorgeschla­gen worden, ein Gedenkzeichen an Czesław Trzciński aufzustellen. Das Straßenschild „Trzcinskiplatz“ ist der Gemeinde als Spende angeboten worden. Seit 2006 steht das Schild in Bretz­feld in einem privaten Vorgarten und kann von Passanten gelesen werden.

Bei ihrem Besuch haben Irena Maria Baran und ihre Familie das Schild besichtigt. Sie ge­statten unserer Initiative die weitere Verwendung zum Gedenken an den Vater und halten es als öffentliches Zeichen des Eingedenkseins für ange­messen. Die Familie Baran will das Gedenken!

(Übersetzung der Gespräche von Elżbieta Mauch und Marek Wojciechowski)

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