„Hilfsorgan der Exekutive: Vom NSU-Untersuchungsausschuss in Baden-Württemberg fließen vertrauliche Informationen an die Ermittlungsbehörden“ – Kommentar des Journalisten Thomas Moser

Ein Polizeizeuge hatte sich an den NSU-Untersuchungsausschuss in Stuttgart gewandt – und erhielt ein Disziplinarverfahren. Dieser Fall führt aktuell zu Auseinandersetzungen zwischen dem Parlamentsgremium und dem Innenministerium in Baden-Württemberg. Doch es gibt einen zweiten Fall von Informationsweitergabe an die Behörden, der nun allerdings in die Reihen des Ausschusses selber führt – der Fall des NSU-Informanten Torsten O. (Hohenlohe-ungefiltert vom 29. Juli 2015).

Kommentar von Thomas Moser, Journalist

Besuch vom Staatsschutz

Im Sommer 2003 soll Torsten O. einem Verfassungsschutzbeamten des Landes von einer rechtsterroristischen Gruppierung namens „NSU“ berichtet und den Namen „Mundlos“ genannt haben. So sagte es der inzwischen pensionierte Günter S. vor den Untersuchungsausschüssen des Bundestages und des Landtages von Baden-Württemberg  selber aus. O. dagegen bestritt das ursprünglich, unter anderem bei seiner Anhörung in Stuttgart am 16. März. Doch im Juni 2015 bestätigte er den Sachverhalt im Gespräch mit dem Autor dieses Artikels. Er sei 2011 nach dem Auffliegen des NSU-Trios von anderen Verfassungsschützern unter Druck gesetzt worden, die Unwahrheit zu sagen, so seine Erklärung. Torsten O. war einmal V-Mann des Verfassungsschutzes, Deckname „Erbse“. Zur Zeit sitzt er eine Haftstrafe ab. Seine Geschichte wurde im Juli 2015 veröffentlicht (unter anderem von Hohenlohe-ungefiltert) – und führte prompt zu Reaktionen. Torsten O. bekam im Knast Besuch von drei Beamten des Bundeskriminalamtes, Abteilung Staatsschutz. Sie kamen im Auftrag des Generalbundesanwaltes, wie die Behörde bestätigt. Unter anderem erkundigten sich die Männer aus Meckenheim nach jenem BKA-Mann, von dem O. vor Jahren die Informationen über NSU, Mundlos und auch Böhnhardt bekommen haben will. Er gab ihnen bereitwillig Auskunft und nannte den Namen: Jochen R. Er habe den Eindruck gehabt, erzählt Torsten O., dass die BKA-Beamten bereits wussten, um wen es geht. Sie seien nicht überrascht gewesen, meint er.

Kein Geld sei geflossen

Insgesamt vier Stunden dauerte der Besuch. Dabei wollten die Kriminalbeamten auch Dinge wissen, die mit der Mordserie des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ nicht gerade etwas zu tun haben. Zum Beispiel, was O. für die Informationen bekommen habe. Sie seien verwundert gewesen, als sie erfuhren, dass weder Geld geflossen ist noch verlangt wurde.

Täterwissen

Und dann fragten die Vernehmer noch nach einem Sachverhalt, der sich gar nicht in den Veröffentlichungen fand. O. will nämlich das Gespräch mit dem Verfassungsschützer Günter S. im Sommer 2003 verdeckt aufgezeichnet haben. Er hat das in Briefen sowohl gegenüber dem Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) als auch dem NSU-Untersuchungsausschuss von Baden-Württemberg erwähnt. Das BKA wollte wissen, wo diese Aufzeichnungen sind, um sie zu holen. O. verweigerte beharrlich die Auskunft. Er will die Aufzeichnungen, die an einem geheimen Ort lagern sollen, selber holen, sobald er auf freiem Fuß ist, erklärte er. Ob diese Aufzeichnungen tatsächlich existieren, ist schwer zu überprüfen. Dass Torsten O. im Jahre 2003 Täterwissen hatte, kann auch ohne sie als belegt gelten – durch das Zeugnis des Ex-Verfassungsschützers S. sowie die historische Verifizierung des NSU nach 2011.

Leck bei den Ausschussmitgliedern?

Allerdings stellt sich in diesem Zusammenhang nun eine ganz andere Frage: Gab der Untersuchungsausschuss vertrauliche Informationen eines Zeugen an Ermittlungsorgane weiter? Noch dazu, ehe er den Zeugen – ein zweites Mal – selbst vernommen hat. Laut O. sollen die BKA-Beamten einen Mitarbeiter des Ausschusses zitiert haben, mit dem er telefoniert hatte. Kamen die Hinweise also von dort?

Brisante Frage

Das Sekretariat des Ausschusses bestreitet das: „Mit der Behörde des Generalbundesanwaltes oder dem Bundeskriminalamt hat keinerlei Kommunikation betreffend Herrn O. (…) und seinen Erklärungen gegenüber dem Ausschuss stattgefunden. Insbesondere wurden diesen Behörden keine Protokolle, Vermerke, Briefe oder andere Unterlagen zugesandt, die Herrn O. (…) oder seine Erklärungen gegenüber dem Untersuchungsausschuss betreffen“, lässt der Ausschussvorsitzende Wolfgang Drexler (SPD) schriftlich mitteilen. Drexler scheint die Brisanz der Frage bewusst zu sein. Denn gleichzeitig weist er darauf hin, dass Briefe von O. und Gesprächsvermerke „im Untersuchungsausschuss verteilt“ wurden. Er legt also nahe, Informationen könnten von anderen Ausschussmitgliedern weitergegeben worden sein –  der Versuch einer Absicherung.

Nicht die Wahrheit

Doch wie passt das damit zusammen, dass O. bei den BKA-Beamten ein Schreiben mit dem Landtagsbriefkopf gesehen haben will? Den Briefkopf kennt er aus seinem eigenen regen Schriftverkehr mit dem Ausschuss zur Genüge. Der bleibt dabei: „Keinerlei Kommunikation mit GBA oder BKA.“ Ausgerechnet die oberste Ermittlungsbehörde selbst straft den Ausschussvorsitzenden Lügen. „Ausgangspunkt der Befragung (von Torsten O.)“, schreibt die Bundesanwaltschaft auf Nachfrage, „waren Angaben, die der Hinweisgeber gegenüber dem Sekretariat des Untersuchungsausschusses getätigt hat.“ „Keinerlei Kommunikation mit GBA und BKA“? Diese Auskunft des Drexler-Büros entspricht jedenfalls nicht der Wahrheit.

Fehlern und Versäumnisse aufklären

Durch wen und auf welchem Wege sind die Informationen von Torsten O. tatsächlich zu den Ermittlungsbehörden gelangt? Mit der Weitergabe von Informationen eines Zeugen an eine Behörde hat der Ausschuss nicht nur die Vertraulichkeit gebrochen, er hat auch seinen eigenen Untersuchungsauftrag durch den Landtag missachtet. Der beinhaltet nämlich nicht nur die „Aufklärung von Fehlern und Versäumnissen der Justiz- und Sicherheitsbehörden von Baden-Württemberg im Zusammenhang mit der NSU-Mordserie“, sondern auch von Bundesbehörden, wie eben die Bundesanwaltschaft.

Vertrauliche Informationen weiter gegeben

Der Vorgang ist umso bemerkenswerter, als vor wenigen Tagen ein anderer Fall von Weitergabe vertraulicher Informationen aus dem Ausschuss bekannt wurde. Ein Polizist hatte sich im April per E-Mail an das Gremium gewandt. Dort sitzen auch Vertreter der Landesregierung. Das Innenministerium erfuhr von dem Beamten und leitete ein Disziplinarverfahren gegen ihn ein. Mutmaßlich waren die Ministeriumsvertreter die Überbringer der Nachricht aus dem Ausschuss. Wolfgang Drexler kritisiert dieses Verhalten und zog Konsequenzen: Zuschriften von Hinweisgebern werden den Ministerialen im Ausschuss seit einiger Zeit vorenthalten. Umso fragwürdiger: Was hier verurteilt wird, die Weitergabe vertraulicher Informationen an eine Behörde, wurde im Fall Torsten O. allem Anschein nach selbst praktiziert.

Viele Spuren verschwinden im Ermittlungsverfahren

Und noch in einem anderen Punkt verhalten sich der Ausschuss und sein Vorsitzender doppelbödig. Anfang Juli wurde Torsten O. in einem Schreiben in Aussicht gestellt, ihn erneut anzuhören, sollte er Aussagen mit „NSU-Bezug“ machen. Eine Entscheidung hat das Gremium bisher nicht getroffen. Allerdings nennt ein Mitarbeiter Drexlers den Zeugen O. im Gespräch „dubios“. Das kann man als Statement gegen eine erneute Vernehmung des ehemaligen V-Mannes durch den Ausschuss werten und hat im Lichte der jüngsten Entwicklungen durchaus seine Logik. Denn diese Vernehmung wurde ja dem Generalbundesanwalt überantwortet. Dort hat sie – nebenbei bemerkt – große Chancen, jetzt im allgemeinen Ermittlungsverfahren „NSU/Unbekannt“ zu verschwinden, so wie viele andere Spuren seit 2012.

Es mangelt am Aufklärungswillen

Was bleibt, ist ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss, der eigentlich die Exekutive kontrollieren soll und sich zu ihrem Hilfsorgan macht. Es ist eine Form der Selbstentmachtung. Dazu passt ein Allerletztes. Ob der Landesverfassungsschutz (LfV) dem Ausschuss die Akten über den Ex-V-Mann „Erbse“ geliefert hat und in welcher Form, beantwortet der so ausweichend wie kryptisch: „Der Beweisbeschluss zu ‚Erbse‘ wurde durch das LfV erfüllt. Zur Frage, ob tatsächlich Akten zu einer evtl. bestehenden Quelle ‚Erbse‘ bestehen, d.h. geliefert wurden, kann aufgrund Geheimschutzrechts keine Angabe gemacht werden.“ Schreibt so, wer aufklären will?

Nächste Ausschusssitzung am 21. September 2015:

Am Montag, 21. September 2015, findet die nächste Sitzung des NSU-Ausschusses von Baden-Württemberg statt. Dabei geht es erneut um den ungeklärten Tod des Neonaziaussteigers Florian Heilig, der im September 2013 in seinem Auto verbrannte. Unter anderem wird eine Person als Zeuge gehört, die eine Stunde vor dem Brand auf dem Cannstatter Wasen das Auto dort fahren gesehen haben will.

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