„Filmen von Demonstranten durch die Polizei ist häufig rechtswidrig“ – Kritik des Stuttgarter Bündnisses für Versammlungsfreiheit

Über einen Briefwechsel mit dem Innenministerium Baden-Württemberg zum Thema „Filmen durch die Polizei“ informiert das Stuttgarter Bündnis für Versammlungsfreiheit. Hohenlohe-ungefiltert veröffentlicht die Informationen in voller Länge.

Vom Stuttgarter Bündnis für Versammlungsfreiheit

Sehr geehrter Herr Gall, sehr geehrter Herr Prof. Dr. Hammann,

vielen Dank für Ihr Antwortschreiben vom 20.06.2012. Leider wurden unsere Kritikpunkte nicht zufriedenstellend beantwortet. So haben wir in unserem ersten Schreiben nicht die von Ihnen angesprochene permanente Video- bzw. Fotoüberwachung der Polizei kritisiert. Wir sprechen uns gegen die aus unserer Sicht nicht gedeckten Überwachungsaktionen der Polizei aus. So wird insbesonders im Urteil des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen vom 23.11.2010 (Aktenzeichen 5 A 2288/09) das Urteil des Verwaltungsgerichts Münster unanfechtbar bestätigt, dass allein das Agieren der Polizeikräfte mit einer Kamera allenfalls auf der Grundlage einer auf das notwendige Maß beschränkten gesetzlichen Ermächtigung zulässig ist. Hierbei ist es ausdrücklich nicht maßgebend, ob tatsächlich gefilmt wird bzw. die Daten übertragen werden oder nicht. Der Schutz von Demonstranten vor unerlaubter Überwachung oder dem Anschein einer Überwachung ist zu gewährleisten.

Anfangsverdacht reicht nicht aus, um einen Kameraeinsatz zu rechtfertigen

Lediglich die erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung lässt eine Ausnahme zu. Ein Anfangsverdacht reicht nicht aus, um einen Kameraeinsatz zu rechtfertigen. Dieser „Anfangsverdacht“ dient häufig als Rechtfertigung von Überwachungsmaßnahmen seitens der Polizei. Hier stellt sich die Frage, wie die Polizei vorher wissen kann, dass gleich eine Straftat erheblichen Ausmaßes passieren wird und warum diese Voraussage dann nicht bei allen Verbrechen angewandt wird.

Es wird weiter heftig gefilmt

Sie führen in Ihrem Schreiben auf, dass „die Videoüberwachungsmaßnahmen ständig auf Ihre Erforderlichkeit hin überprüft werden“. Leider führt diese Überprüfung nicht zu dem Ergebnis, dass die Polizei die Überwachungsmaßnahmen einschränkt bzw. einstellt. So wurden beispielsweise die in beigefügter Anlage aufgeführten Demonstrationen trotz offensichtlich fehlender erheblicher Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung von der Polizei gefilmt und fotografiert. Weitere Beispiele können Sie gerne unserer Homepage entnehmen.

Welche Schritte wird das Innenministerium unternehmen?

Wir stellen hier nochmals konkret die Frage, welche Schritte das Innenministerium bzw. die Landesregierung unternommen hat, um diese aus unserer Sicht vorliegenden Rechtsverstöße der Polizeikräfte des Landes Baden-Württemberg zu ahnden? Welche Schritte werden Sie unternehmen, um zukünftig diese Videofotografien zu verhindern?

Wie soll der Schutz, der von Ihnen selbst als rechtstreu bezeichneten Demonstranten gewährleistet werden?

Wir freuen uns auf Ihre Antwort und sind sicher, dass Sie die geeigneten Maßnahmen treffen werden, um das Recht von demokratischen Versammlungsteilnehmern zu schützen.

Wir machen Sie darauf aufmerksam, dass dies eine offene Anfrage ist und auch Ihre Antwort entsprechend von uns veröffentlicht wird.

Mit freundlichen Grüßen

Thomas Trüten, Bündnissprecher

Alfred Denzinger, Sprecher AG Demobeobachtung

Anlage an das Schreiben ans Innenministerium vom 22. August 2012

Nachstehende Auszüge belegen beispielhaft, wann und wie die entsprechenden Video- bzw. Fotoüberwachungen durch die Polizei stattfanden. Einen Anspruch auf Vollständigkeit der Auflistung dieser Polizeipraxis besteht nicht. Informationen zusammengestellt von Thomas Trüten vom Stuttgarter Bündnis für Versammlungsfreiheit.

Stuttgart, 30.07.2010, Proteste gegen das Bundeswehrgelöbnis – „Die friedlichen Demonstranten wurden mit vier unterschiedlichen Kameras abgefilmt, …“

Quelle:

www.versammlungsrecht.info/neu/pics/BfV-Pressemitteilung-Geloebnis.pdf

Schorndorf, 27.11.2010, Antifaschistische Demonstration. „Der Aufbau und das Eintreffen der Demonstrationsteilnehmer wurde durchgängig gefilmt, obwohl die Polizeisprecherin von „einem friedlichen Verlauf“ ausging.“

„Auch die Abschlusskundgebung wurde, trotz friedlichen Verlaufs, visuell durch die Polizei aufgezeichnet.“

Quelle:

www.versammlungsrecht.info/neu/ag_demobeobachtung.html

Stuttgart, 24.01.2011, Demonstration gegen Stuttgart 21. „Der Zug wurde seitens der Polizei von mindestens fünf Kamerateams (Kameramann plus Begleitperson) und vier Fotografen ununterbrochen provokant in Totalen gefilmt und fotografiert. Hauptziel dieser Filmaufnahmen waren die Bannerträger und Demonstranten in den ersten Reihen.“

Quelle:

www.versammlungsrecht.info/neu/pics/DBSpontandemo20110124.pdf

Stuttgart, 30.04.2011, Vorabend-Demo zum 1. Mai. „Während der gesamten Demonstration kam es trotz friedlichem Verlauf immer wieder zu illegalem Abfilmen/Fotografieren der Teilnehmer aus Polizeiautos, vom Pferd und zu Fuß.“

Quelle:

www.versammlungsrecht.info/neu/files/rev1termai2011.pdf

Heilbronn, 01.05.2011, Antifaschistische Demonstration. „Die Anfahrt per Bahn und Bussen gelang ohne größere Behinderung. Die mit dem Zug anreisenden Demonstranten wurden dann aber am Bahnhof festgehalten. Es wurde von der Polizei schon bei der Einfahrt des Zuges ständig gefilmt.“

Quelle:

www.versammlungsrecht.info/neu/files/demobeobachterberichtheilbronn_110501.pdf

Stuttgart, 02.06.2011, Kundgebung und Demonstration gegen Rassisten, 15:25 Uhr.

„Die Polizei filmt und fotografiert Demonstrations- bzw. Kundgebungsteilnehmer ohne erkennbaren Grund.“

Quelle:

www.versammlungsrecht.info/neu/files/demobeobachterberichtheilbronn_110501.pdf

Stuttgart, 30.07.2011, Proteste gegen die homophoben Piusbrüder auf dem CSD. 16:09 Uhr – „Die Polizei filmt das Geschehen.“

Quelle:

www.beobachternews.de/index_htm_files/DBBerichtCSD_Pius20110730.pdf

Heilbronn, 08.10.2011, Antifaschistische Demonstration. „Die Anreise per Bahn gelang ohne größere Behinderung. Die Polizei setzte bereits hier Fotoapparate und Kameras ein.“

„Ständiges Abfilmen durch die Polizei war die ganze Zeit „Normalsituation“ und wurde teilweise aus Zivilfahrzeugen durchgeführt.“

„Die Polizei setzte auf dem Neckar Boote ein, von einem der Boote wurde fotografiert.“ –

„Bei der Zwischenkundgebung filmte die Polizei ohne ersichtlichen Grund die friedlichen Demonstrationsteilnehmer ab. Ein Teilnehmer mit einer Fahne wurde aufgefordert, sich vor der Kamera zu entfernen. Das Antikonfliktteam der Polizei behauptete, dass nicht gefilmt wird. Allerdings war die Kamera eindeutig in Betrieb (blinkendes Rotlicht) und auf dem Monitor im Polizeifahrzeug war die Demonstration auch anschaulich zu sehen.“

Quelle:

www.versammlungsrecht.info/neu/files/demobeobachterberichtheilbronn_111008.pdf

Emmendingen, 22.10.2011, Demonstration gegen Naziaufmarsch. „Während der gesamten Zeit wurde seitens der Polizei ohne ersichtlichen Grund fotografiert bzw. gefilmt. Dies ist nach der aktuellen Rechtsprechung nicht zulässig.“

Quelle:

www.beobachternews.de/index_htm_files/DBBerichtEmmendingen_111022.pdf

Stuttgart, 10.12.2011, Kundgebung für einen inhaftierten Antifaschisten. „Der Versammlungsablauf wurde von Demobeobachtern des Stuttgarter Bündnisses für Versammlungsfreiheit verfolgt, die darauf hinwiesen, dass kurz nach Versammlungsbeginn von der Polizei Fotos von den Versammlungsteilnehmern gemacht wurden.“

Quelle:

www.beobachternews.de/index_htm_files/DB-Bericht_Chris_Stammheim_111210.pdf

Göppingen, 03.03.2012, Proteste gegen Nazimahnwache. 09:54 Uhr – „Die Beamten sind mit Videokamera, Fotoapparat und Polizeihunden im Einsatz.“

Quelle:

www.beobachternews.de/index_htm_files/120303_DB_Nazimahnwache_GP.pdf

Stuttgart, 18.03.2012, Demonstrationen und Kundgebungen zum Tag der politischen Gefangenen. „Die Polizei steht zwischen den TeilnehmerInnen und filmt und fotografiert rechtswidrig von Anfang bis zum Ende der gesamten Aktionen.“

Quelle:

www.beobachternews.de/index_htm_files/120318_DB_18_Maerz_Stuttgart.pdf

Backnang, 31.03.2012, Demonstration gegen Neofaschismus. 11:25 Uhr – „Die Polizei kann es einfach nicht lassen und filmt und fotografiert rechtswidrig friedliche DemonstrationsteilnehmerInnen ab.“

Quelle:

www.beobachternews.de/index_htm_files/120331_DB_Demo_gegen_Faschismus_BK.pdf

Göppingen, 07.04.2012, Proteste gegen Naziaufmarsch, 13:30 Uhr – „Die Polizei filmt friedliche Nazi-GegnerInnen ohne ersichtlichen Grund ab“.

Quelle:

www.beobachternews.de/index_htm_files/120407_Naziaufmaersche_%20GP_ua_01.pdf

Uhingen, 07.04.2012, Proteste gegen Naziaufmarsch, 16:08 Uhr – Die Polizei filmt und fotografiert GegendemonstrantInnen ohne erkennbaren Grund ab.

Quelle:

www.beobachternews.de/index_htm_files/120407_Naziaufmaersche_%20GP_ua_01.pdf

Stuttgart, 01.05.2012, 1. Mai-Demonstrationen. 11:18 Uhr – „Selbst bei dieser Gelegenheit kann es die Polizei nicht lassen, ihre rechtlich höchst bedenkliche „Filmerei“ zu veranstalten. Auch mehrere entsprechende Hinweise an den namentlich bekannten Polizeibeamten zeigen keinerlei Wirkung. Befindet sich die Polizei in Stuttgart in einem rechtsfreien Raum?“

Quelle:

www.beobachternews.de/index_htm_files/120501_Erster_Mai-Stuttgart_Teil_1_von_2.pdf

12:30 Uhr – „Der Demozug wird über die gesamte Wegstrecke von massiven Polizeikräften abgeschirmt und die TeilnehmerInnen werden ständig abgefilmt.“

12:52 Uhr – „Bei einer weiteren Zwischenkundgebung vor dem „Chalet“ werden wieder gezielt einzelne DemonstrantInnen abgefilmt. Als der Einsatzleiter darauf angesprochen wird, erklärt dieser, dass er Straftäter abfilmen dürfe. Er wird gefragt, woran er erkenne, dass es sich um Straftäter handle. Daraufhin erklärt er, dass er das eben könne, aber nicht sagen könne, woran er seine Erkenntnis festmacht. Aber er dürfe deswegen seine Mitarbeiter trotzdem filmen lassen. Verfügen Stuttgarter Polizeibeamte über hellseherische Fähigkeiten? Sachen gibt´s… wir sind beeindruckt!“

13:55 Uhr – „Die Polizei ist mit überdimensionalen Kameraobjektiven und mit Richtmikrofon im Einsatz.“

Quelle:

www.beobachternews.de/index_htm_files/120501_Erster_Mai-Stuttgart_Teil_2_von_2.pdf

Stuttgart, 05.05.2012, Antifaschistische Demonstration. 17:02 Uhr – „Eine Polizistin filmt die absolut friedlichen DemonstrantInnen bei der ersten Zwischenkundgebung am „Palast der Republik“ ab.“

17:20 Uhr – „An der Ecke Rotebühlplatz/Calwerstraße kommt es zu einer weiteren Zwischenkundgebung mit diversen RednerInnen. Auch hier wird wieder rechtswidrig gefilmt.“

17:40 Uhr – „Wieder kommt es zu ständigem Abfilmen der DemonstrantInnen durch Polizeikräfte.“

Quelle:

www.beobachternews.de/index_htm_files/120505%20Freiheit%20fuer%20Deniz.pdf

Waiblingen, 02.06.2012, Antifaschistische Demonstration. „Während des ganzen Demozuges wurden von Polizisten Kameras mitgeführt; dies wurde von Demo-TeilnehmerInnen als provozierend empfunden und gegenüber den Polizisten kritisiert.“

Quelle:

http://versammlungsrecht.info/neu/files/bdsvfagdemobeobachtungwn02062012.pdf

Lörrach, 07.07.2012, Antifaschistische Demonstration. „Auch die leidige Drohkulisse durch den Einsatz von Videokameras durch die Polizei kam nicht zu kurz.“

Quelle: Zeitschrift Beobachter

News, Ausgabe 8-9/2012, Seite 41

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„Hände hoch für mehr Waffenkontrolle“ – Aktion von Amnesty International (AI) beim Volksfestumzug

Jede Minute stirbt ein Mensch durch Waffengewalt. Am Volksfestsonntag vor dem Umzug machte die lokale Amnesty International-Gruppe in der Innenstadt auf Menschenrechtsverletzungen aufmerksam.

Von der Amnesty International-Gruppe Crailsheim

Klare Regeln für Waffenhandel gefordert

Es gibt klare internationale Regeln für den Handel mit Bananen und Dinosaurierknochen, jedoch nicht für die Lieferung von Maschinenpistolen, Panzern und anderen konventionellen Rüstungsgütern. Mit der Kampagne „Hände hoch für Waffenkontrolle“ setzt sich Amnesty International für mehr Regeln beim Waffenhandel ein. Mit ihrer Aktion am Volksfestsonntag am Schuhhaus Freitag stellte die lokale AI-Aktionsgruppe die Kampagne vor und warb um breite Unterstützung.

Weitere Informationen: www.amnesty.de/haendehoch

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